Hamburger SV:Der Dino ist unverwüstlich

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In einer dramatischen Relegationspartie sichert sich der Hamburger SV den Klassenerhalt. Der Karlsruher SC darf sich 90 Minuten lang als Aufsteiger fühlen - bis zu einem Fehler des Schiedsrichters.

Von Claudio Catuogno, Karlsruhe

Soll sie wirklich so zu Ende gehen, die Geschichte von 52 Jahren in der Bundesliga? In diesem alten, aus der Zeit gefallenen Stadion, umgeben von grün und blau? Grün ist der Wald, den sie hier Wildpark nennen. Blau sind die 1100 Polizisten. Dass die alle hier sind, elf Hundertschaften, nennen sie in Karlsruhe "Hochrisikospiel". Weil so vieles dran hängt. Aussterben oder Überleben: Man muss das Spiel nicht übermäßig überhöhen, um festzustellen, dass es darum geht.

Es hat geregnet den ganzen Tag, aber als das Fernsehen am frühen Abend seine Kameras einschaltet, ist plötzlich alles in ein mildes Abendlicht gehüllt. Die Sonne geht unter im Wildpark, und mit ihr versinkt der Hamburger SV. 90 Minuten lang. Und dann ist doch wieder alles anders.

52 Jahre Bundesliga, runtergebrochen auf ein paar Szenen. Die erste in der 78. Minute: Der KSC-Stürmer Rouwen Hennings bedient Reinhold Yabo, der in seiner Heimatstadt Karlsruhe im Gemeinderat sitzt; Yabo ist gerade eingewechselt worden, er nimmt den Ball an und überwindet René Adler, der in einem früheren Leben mal Nationaltorwart war. Im Relegations-Rückspiel steht es 1:0 für den Karlsruher SC, den Zweitligisten, und weil die Badener im Hinspiel ein 1:1 erreicht hatten, sind sie jetzt fast schon aufgestiegen.

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Die zweite Szene dann allerdings kurz vor dem Abpfiff: Noch mal Freistoß für den HSV. Eine Fehlentscheidung von Schiedsrichter Manuel Gräfe (Berlin). Jonas Meffert hatte den Ball aus etwa einem Meter gegen den angelegten Arm bekommen. "Den darf man nicht geben, das ist Wahnsinn", fand nicht nur KSC-Sportdirektor Jens Todt. "Mit der Regel kann man den nicht erklären", sagte KSC-Trainer Markus Kauczinski über den Freistoß, den Marcelo Díaz schließlich tritt. Wunderschön tritt. Der Ball zappelt im Netz. Verlängerung. Und schließlich die 115. Minute, Cléber bedient Nicolai Müller.

Fürs Protokoll: beide ebenfalls eingewechselt, keiner im Gemeinderat. 2:1 für den HSV. In der Nachspielzeit der Verlängerung pariert dann René Adler noch einen Elfmeter von Rouwen Hennings. Der HSV, der unverwüstliche Dino, hat sich doch noch einmal gerettet. "Ich bin sehr, sehr froh, dass wir heute glücklicher waren", sagte HSV-Trainer Bruno Labbadia. Torwart René Adler gab an: "Das brauche ich nicht so oft. Ich bin gefühlt drei Jahre gealtert. Es war ein Sieg der Gemeinschaft."

"Dino" - wie oft wurde diese Zuschreibung im Zusammenhang mit dem HSV in den vergangenen Wochen bemüht? Dino, das soll die knuffige Umschreibung sein für "besonders alt". So gesehen ist der KSC allerdings ebenfalls ein Dino. Auch er war ja 1963 als Gründungsmitglied der Bundesliga mit dabei. Bloß hat sich dieser Saurus badensis halt hin und wieder aus seinem Habitat vertreiben lassen. Sechs Mal aus der ersten Liga abgestiegen, fünfmal wieder aufgestiegen, jetzt fast ein sechstes Mal.

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Der KSC, das hätte vielleicht der Unterschied sein können, ist den Überlebenskampf gewohnt. Der HSV hat sich allerdings ebenfalls zunehmend damit vertraut machen dürfen: Schon vor einem Jahr rettete man sich in der Relegation, damals gegen die SpVgg Greuther Fürth. Und jetzt also erneut.

Mit noch mehr Dusel. Das einzige Gründungsmitglied zu sein, das niemals aus der ersten Liga abgestiegen ist, das bleibt weiter das Alleinstellungsmerkmal der Hamburger. Und dafür sorgen sollte jetzt auch ein Mann, von dem viele in Hamburg sagen, er sei auch irgendwie vom Aussterben bedroht: der Holländer Rafael van der Vaart, der seit seiner durch ein Investoren-Darlehen finanzierten Rückkehr an die Elbe exemplarisch für all das steht, was diesen Verein zuletzt kennzeichnete.

Kurz zusammengefasst: großes Investment, nicht ganz so großer Ertrag. Im Hinspiel hatte van der Vaart auf der Bank gesessen, der spät zum HSV gestoßene Trainer Bruno Labbadia vertraute anderen. Aber unter anderem wegen der gelben Karte, die sich Gojko Kacar beim 1:1 in Hamburg eingehandelt hatte, kam es jetzt noch einmal auf den Holländer an. "Das ist unglaublich für den ganzen Verein, die ganze Stadt", sagte Kapitän Rafael van der Vaart nach dem Spiel. Der HSV und sein Holländer - entweder sie retten sich gemeinsam oder sie gehen gemeinsam unter.

Eine besondere Pointe. Was der HSV immerhin begriffen hatte: dass er sich wehren muss. Ohne ein eigenes Tor würde man sicher absteigen, das war die Ausgangslage. Mehr engagiert als raffiniert kombinierten sich die Hamburger also wieder und wieder in Richtung Karlsruher Strafraum, dort trafen sie allerdings auf zwei dicht gestaffelte Abwehr- reihen, in der jeder nur darauf wartete, den Ball zu erobern und überfallartige Konter zu starten.

Die erste große Hamburger Chance hatte Pierre-Michel Lasogga in der 19. Minute - der KSC-Verteidiger Philipp Max warf sich noch in den Schuss. Dann war ein Weitschuss von van der Vaart kein Problem für den KSC-Torwart Dirk Orlishausen (26.), ebenso wenig wie ein Kopfball von Lasogga (39.) sowie diverse weitere Halb-, Drittel- und Viertelchancen. Unmittelbar vor der Pause wiederum setzte der KSC-Innenverteidiger Daniel Gordon einen Kopfball knapp über das Tor von Adler. Wirklich zwingend war aber lange kein Team. In der 52.

Minute trat Lasogga aus kurzer Distanz einen Gewaltschuss übers Tor. Einen Tick weniger Rücklage, vielleicht wäre der Ball rein gegangen - an solchen Dingen hängt es jetzt plötzlich. Sein oder Nicht-Sein. Die 63. Minute: KSC-Verteidiger Daniel Gordon ist mit aufgerückt und rutscht knapp an einer scharfen Hereingabe vorbei. Die 69. Minute: Díaz schlägt einen Schuss von Gulde noch von der Linie (69.). In der 77. Minute ist es dann wieder Lasogga, ein Versuch aus kurzer Distanz, Orlishausen bekommt noch die Hand an den Schuss. Und auch nach Yabos Führung hatte der HSV weitere Gelegenheiten, Lasogga traf den Pfosten (81.). Es sollte nicht sein. Noch nicht. Wenn ein Dino sich rettet, dann mit dem ultimativen Knalleffekt.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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