Hamburger SV:Bilanz des Scheiterns

VfB Stuttgart v Hamburger SV - Bundesliga

Nicht mehr anzuschauen: Der HSV taumelt wieder dem Abstieg in die zweite Liga entgegen, weil die Probleme der letzten Saison nachhallen.

(Foto: Simon Hofmann/Getty Images)

Verfehlte Transfers, verhinderte Führungsspieler: Auch wenn der HSV am Montag doch noch den Klassenerhalt schaffen sollte, muss die neue Führung einsehen, dass ihr nicht allzu viel geglückt ist.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Selbst wenn der Hamburger SV am Montagabend nach dem Relegations-Rückspiel beim Karlsruher SC so gerade noch den ersten Abstieg aus der Bundesliga verhindern sollte, müsste die im vergangenen Jahr installierte neue Führung unter Klubchef Dietmar Beiersdorfer sowie den Direktoren Peter Knäbel und Bernhard Peters für ihre erste Saison eine Bilanz des Scheiterns ziehen. Auch ihnen, den ausgewiesenen Experten, ist es nicht gelungen, mit diversen kostspieligen Transfers (in der Summe mehr als 30 Millionen Euro) und einem neuen Führungsstil eine Mannschaft auf den Weg zu bringen, die mit dem Abstieg nichts mehr zu tun haben sollte und mittelfristig an frühere Erfolge anknüpfen könnte. Im Gegenteil: Nach dem enttäuschenden Relegations-Auftakt daheim, dem 1:1 vom Donnerstagabend, muss der HSV nun am Montag (19 Uhr, ARD und Sky) um die Bundesliga-Zugehörigkeit zittern.

Theoretisch hat das Trio an den richtigen Schrauben gedreht und war doch so machtlos wie eine Kapitänsbesatzung, der das Ruder nicht mehr gehorcht. Dabei gab es für jeden Zugang gute Argumente. Bei ihren alten Klubs hatten sich die angeblichen Verstärkungen durchaus einen Namen gemacht. Und die Analyse der Schwachpunkte des alten, schon im vergangenen Jahr nur knapp am Abstieg vorbeigeschrammten Teams, war ebenfalls einsichtig. Doch Theorie und Praxis passen leider oft nicht zusammen, wenn die sogenannte Chemie nicht stimmt.

Verfehlte Transfers, verhinderter Führungsspieler

So hatten die Führungskräfte erkannt, dass in der Gruppe ein "bad guy" fehlte, ein böser Junge, der nicht nur dem Gegner mit rustikalen Tacklings die Bälle klaut, sondern auch intern für Reibungspunkte sorgt, damit man nicht zu schnell zufrieden ist. Ausgeguckt hatte man sich dafür Valon Behrami, einen Schweizer Nationalspieler vom SSC Neapel. Doch bald stellte sich heraus, dass Behrami zwar an besseren Tagen ein guter Bälleklauer war, sonst aber wenig zum Aufbauspiel beitrug. Zudem hat er die Rolle des Kotzbrockens deutlich übertrieben. Mit den Mitspielern Pierre-Michel Lasogga und Johan Djourou prügelte er sich, auch die anderen Kollegen gingen auf Abstand zu ihm. Jetzt ist der vermeintlich wichtigste Mann im finalen Abstiegskampf angeblich verletzt. Und der HSV ist offenbar bemüht, für ihn den neunten Klub seiner Profikarriere zu finden.

Auch für die Verpflichtungen von Nicolai Müller und Lewis Holtby gab es nachvollziehbare Gründe. Der flinke Müller, in Mainz immerhin Nationalspieler geworden, sollte die Außenbahn stark machen, Holtby (drei Länderspiele) wurde schon als Nachfolger für den schnell gealterten Spielmacher Rafael van der Vaart geholt. Das Problem: Müller war nur so weit gekommen, weil ihm der damalige 05-Trainer Thomas Tuchel immer wieder Zunder gab und ihn sofort auswechselte, wenn er seine Anweisungen nicht befolgte. So einen Coach hatte er in Hamburg bisher nicht. Holtby, zuletzt mit dem FC Fulham aus der englischen Premier League abgestiegen, macht abseits des Rasens eine deutlich bessere Figur als auf dem Platz. Sein einstiger Trainer Felix Magath hatte gewarnt, ihm fehle echter Kampfgeist. Deshalb traue er Holtby trotz seines Talentes eine große Karriere nicht zu. Bisher hat Magath Recht behalten.

Allergischer Schock: Olic muss ins Krankenhaus gebracht werden

Die Transfers von Marcelo Diaz und Ivica Olic schienen ebenfalls logisch zu sein. Diaz, der Chilene vom FC Basel, hatte eine gute WM gespielt und hat den neuen Mitspielern etwas voraus: er spielt wenig Fehlpässe und könnte dem Spiel im Mittelfeld mehr Balance geben. Das Problem: Diaz verletzte sich bald, fiel neun Wochen aus und hat jetzt Schwierigkeiten, sich an den schnellen Bundesliga-Fußball zu gewöhnen.

Olic, dessen Söhne seit seiner ersten Zeit in Hamburg (2007 bis 2009) HSV-Fans sind, wurde nicht nur als Verstärkung des schwächsten Angriffs der Liga geholt. Mit seiner Mentalität des Niemals-Aufgebens sollte er auch die Einstellung der Mannschaft verändern. Doch im Alter von 35 Jahren stößt er ebenfalls an seine Grenzen. Man ist froh, wenn der Dauerläufer überhaupt 90 Minuten durchhält. Am Samstag fehlte Olic beim Training des Teams von Trainer Bruno Labbadia. Er hatte am Freitagabend einen allergischen Schock erlitten und war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dort befand sich der Kroate am Samstag zur Beobachtung. Sein Einsatz in Karlsruhe ist wegen Rückenproblemen ohnehin fraglich.

Kacar und Westermann gesperrt, vier Offensive angeschlagen

Am Samstag fehlte außerdem auch Ivo Ilicevic im Training. Der Torschütze zum 1:1-Endstand im Hinspiel laboriert an Adduktorenbeschwerden. Der HSV hat in der Offensive ohnehin Personalprobleme, da auch Torjäger Pierre-Michel Lasogga angeschlagen und Maximilian Beister nach langer Verletzungspause noch nicht wieder hundertprozentig fit ist. In Karlsruhe fehlen in der Defensive auf jeden Fall Heiko Westermann und Gojko Kacar, die im Hinspiel jeweils ihre fünfte Gelbe Karte sahen und gesperrt sind.

Bleibt die Frage, weshalb viele Profis beim HSV in ein Leistungsloch fallen. Das HSV-Mitglied Olaf Kortmann, früherer Volleyball-Bundestrainer und heute Mentalcoach, hat dafür eine ganz einfache Erklärung: "Sie waren gut, wenn sie in einer Mannschaft gespielt haben, in der jeder wusste, was er zu tun hat." Davon ist der HSV, der in dieser Saison vier Trainer mit unterschiedlichen Schwerpunkten verbrauchte, noch immer so weit entfernt wie von seiner nächsten Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb. Vielleicht sogar von einer Fortsetzung der scheinbar unendlichen Zugehörigkeit in der Bundesliga.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: