Hamburger SV:Aufstand der Luschen

Hamburger SV v FC Augsburg - Bundesliga

Tragischer Held: Erst schießt er das einzige Tor und dann verletzt er sich schwer: HSV-Stürmer Nicolai Müller.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der bisherige Gladbacher André Hahn hat die Atmosphäre bei seinem neuen Arbeitgeber, dem Hamburger SV, zuletzt so beschrieben: "Sie ist fünfmal verrückter als bei der Borussia." Das ist womöglich arg untertrieben. Im kleinen Mönchengladbach gibt es zwar noch ein paar Romantiker, die den großen Zeiten mit Netzer und Heynckes nachhängen. Aber es gibt keinen Klaus-Michael Kühne, der zwischen seinen Rollen als Investor, Mäzen und aufgebrachtem Fan changiert und der diejenigen, denen er mit seinem Geld bisher die Bundesliga erhalten hat, aufs Heftigste beschimpft. So hat er es nach der 1:3-Pleite im DFB-Pokal beim Drittligisten VfL Osnabrück gerade wieder gehalten.

Die darauffolgende Woche, so hat es Verteidiger Dennis Diekmeier ausgedrückt, war "hart". Da gab es "Tacheles" von Trainer Markus Gisdol, wie Torwart Christian Mathenia anmerkte, Kritik der heimischen Medien. Und eben jene Anmerkungen, die Kühne via Sky und Spiegel unter die Leute brachte. Er nahm, nicht das erste Mal, den Coach, die Vereinsführung ("Ist auf der falschen Chaussee") und die Profis aufs Korn. Wobei der Spieler Pierre-Michel Lasogga besondere Erwähnung fand, als "Lusche" und "Flop des Jahrhunderts". Wie soll man da im Duell der "Pokal-Deppen" (Augsburgs Daniel Baier, denn auch der FCA schied beim Drittligisten Magdeburg aus) einigermaßen Fußball spielen?

Nun, der HSV schaffte nach sieben Jahren erstmals wieder einen Startsieg in der Bundesliga. Doch dem 1:0 gegen ordentlich kombinierende, aber harmlose Augsburger haftete nur bedingt etwas Befreiendes an. Zum einen ging die Auseinandersetzung mit dem unzufriedenen Geldgeber in die nächste Runde. Während Trainer Gisdol die Rüffel nicht so "hochkochen" wollte, man befinde sich schließlich "im Showgeschäft", schlug Klubchef Heribert Bruchhagen erstmals verbal zurück. Er konterte via Sky, Kühnes Diktion der Enttäuschung sei "nicht der Sprachgebrauch, den ich im Umgang miteinander erwarte". Mal sehen, was sich aus diesem Infight entwickelt - Kühnes Rückzug?

Die Tragik des Spiels ereignete sich dann schon in der achten Minute. Nicolai Müller, der seinen Vertrag bisher nicht verlängert hat, was Kühne der HSV-Führung anlastet, hatte eine Flanke von Wallace zum einzigen Treffer des Spiels verwandelt. Doch dann, beim Jubel an der Eckfahne, verdrehte sich Müller das Knie. Er musste gegen Aaron Hunt ausgewechselt werden. Am Sonntag traf die niederschmetternde Diagnose ein: Müller fällt mit einem Kreuzbandriss im rechten Knie sechs Monate aus, mindestens. Sucht der Klub jetzt einen Ersatz für den Profi, der laut Gisdol einer der wichtigsten in seinem System ist?

"Wir haben den Charaktertest bestanden"

Nach dem Unfall versuchte es der HSV nur noch mit Konterfußball im eigenen Stadion. Die Augsburger, vor der Saison in Halil Altintop, Paul Verhaegh und Raul Bobadilla ihrer drei erfahrensten Profis beraubt, verfügten zwar über mehr Ballbesitz, gewonnene Zweikämpfe, Flanken und Eckbälle, aber es gelang ihnen nicht, das HSV-Tor ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Über weite Strecken fühlte sich der erste Spieltag des HSV so an wie die vergangenen Jahre: nach Abstiegskampf. Dabei hat der Klub bereits mehr Guthaben auf dem Konto als im Vorjahr nach zehn Spielen, da waren es zwei Punkte. Entsprechend euphorisch war der Frohsinn auf den Rängen - man ist bescheiden geworden.

Augsburgs Trainer Manuel Baum urteilte später, sein Team habe "ein gutes Spiel gemacht, das wir nicht verlieren durften". Doch letztlich hätten nur zwei Szenen der Partie eine andere Wendung geben können. Wäre Schiedsrichter Daniel Siebert auf die Schwalbe des früheren Hamburgers Michael Gregoritsch hereingefallen, hätte es in der 20. Minute 1:1 stehen können, per Elfmeter. Doch Siebert zeigte dem Stürmer die gelbe Karte, und das Publikum traktierte den früheren HSV-Profi mit Pfiffen. In der 44. Minute holte Gideon Jung dann FCA-Angreifer Alfred Finnbogason von den Beinen. Siebert ließ weiterspielen und wurde nicht von der Außenstelle in Köln behelligt - der Videobeweis fiel in Hamburg aus technischen Gründen aus.

Ein 18-Jähriger fällt positiv auf

Immerhin: Die Sechser, der gerade erst genesene Albin Ekdal und Wallace, gaben dem HSV diesmal etwas Halt. Der 18-jährige Niederländer Rick van Drongelen hatte ein ordentliches Debüt auf der linken Seite. Er kam zum Einsatz, weil Gisdol sein Versprechen wahr gemacht hatte, Spieler, von deren hundertprozentigem Einsatz er unter der Woche nicht überzeugt ist, auszumustern. Es erwischte den abwanderungswilligen Brasilianer Douglas Santos.

Ersatz-Kapitän Kyriakos Papadopoulos befand jedenfalls: "Wir haben den Charaktertest bestanden." Auch, weil die Augsburger "im letzten Fünftel" des Spielfeldes, "nicht gefährlich" waren, wie Gregoritsch erkannte. Und weil die Hamburger stets ein Bein oder einen Körper dazwischenbrachten. Wie im Abstiegskampf eben.

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