Hamburger Debakel in München:"Einer der schwärzesten Tage in der HSV-Geschichte"

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Stellte sich nach dem Debakel als einziger: HSV-Kapitän Heiko Westermann (rechts), hier getröstet von Bastian Schweinsteiger. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Selten ist eine Mannschaft in München so untergegangen: Der Hamburger SV kassiert neun Gegentore und wird von den eigenen Fans verhöhnt. Trainer Thorsten Fink streicht seinen Profis kurzerhand den eigentlich freien Ostersonntag.

Aus dem Stadion von Sven Haist

Frank Arnesen war in seiner Analyse gerade beim 0:8 angelangt, über das 0:6 und 0:7 ging er schnell hinweg, aus gutem Grund. Der Sportchef des Hamburger SV hatte noch ein beachtliches Stück vor sich bei der Aufarbeitung eines Fußball-Tages, den man aus Sicht der Norddeutschen "gerne schnell vergessen will, aber nie vergessen wird".

Noch ehe Arnesen sich eine Mitschuld am Desaster attestieren konnte ("nicht nur die Spieler, nicht nur der Trainer, auch ich habe Fehler gemacht"), bog Karl-Heinz Rummenigge im Innenraum der Münchner Arena um die Ecke. Aufmunternd klopfte er seinem Kollegen kurz auf die Schulter und steckte ihm einen Rat zu. "Trink' einen Schnaps", witzelte Rummenigge und wünschte "Frohe Ostern."

Arnesen blieb allein zurück vor einer Schar an Menschen, die von ihm eine Erklärung verlangten für ein absurdes Ergebnis. 2:9 (0:5) ließ sich der HSV vom Fast-Meister FC Bayern aus dessen Arena schleudern. Zeitweise ging es zu wie beim Handball - so häufig lag der Ball im Netz. "Für mich ist das einer der schwärzesten Tage in der HSV-Geschichte", sagt Kapitän Heiko Westermann: "Ich schäme mich für die Mannschaft und das Trikot getragen zu haben."

FC Bayern in der Einzelkritik
:Perlen in lockerer Aufwärmübung

Luiz Gustavo übt sich für das Juventus-Spiel als Schweinsteigers Adjutant, Claudio Pizarro schießt seine Saisontore eins bis vier, nur Arjen Robben muss wegen drohenden Übermuts ausgewechselt werden. Der FC Bayern beim 9:2 gegen den Hamburger SV in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Immerhin stellte sich Westermann den Fragen der Journalisten, als einziger Spieler seines Teams. Führungskräfte wie René Adler oder Rafael van der Vaart schlichen wortlos in den Mannschaftsbus. Westermann klagte: "Es ist unerklärlich für mich, ins Spiel zu gehen und zu denken: Wir spielen einfach mal locker mit, als wäre es ein Trainingsspiel gewesen. Mit Hacke-Spitze geht es eben nicht."

In der Tat beeindruckten die Hanseaten mit einer riskanten Taktik. Trainer Thorsten Fink ordnete seine Abwehr sehr weit entfernt vom eigenen Strafraum an, wollte so die Bayern früh attackieren. Beim 4:1 in Dortmund funktionierte das, in München nicht. Die Idee, im Spielaufbau Rincon zwischen beide Innenverteidiger zu stellen und die Außen nach vorne zu schieben, ermöglichte dem Rekordmeister bei Balleroberungen so viel Platz wie noch nie in dieser Saison.

Schon nach fünf Minuten fand Kroos zentral vor dem HSV-Tor den Wendekreis eines Lastfahrzeuges vor, er nützte Zeit und Raum, um das 1:0 von Xherdan Shaqiri einzuleiten. Für die übrigens acht Treffer mussten sich die Münchner ebenso wenig anstrengen. "Da pennen wir einfach, das ist ein Witz", schimpfte Westermann, "schlechter kann man nicht aussehen."

Als die Gäste ihren Arbeitstag endlich aufnehmen und durch zwei Kopfballtore von Bruma zum 1:8 (75.) und Westermann zum 2:9 (86.) für Sarkasmus im eigenen Anhang sorgen ("Auswärtssieg! Auswärtssieg!"), war die historische Dimension der Niederlage nicht mehr aufzuhalten. Nur einmal, am 7. März 1964, verlor der Bundesliga-Dinosaurier genauso hoch: in München. Gegen den TSV 1860. Die positive Deutung des Resultats könnte noch sein, dass es nicht zweistellig ausgefallen ist.

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:"Sie stand in alle Himmelsrichtungen"

Jürgen Klopp findet eine anschauliche Beschreibung für Marcel Schmelzers Nase. Thomas Tuchel fühlt sich wie ein Verlierer, Heiko Westermann schämt sich für den HSV und Christian Streich lobt Max Kruse ausufernd.

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"Die Bayern haben uns hergespielt nach allen Regeln der Kunst", resümierte auch Trainer Fink. Was blieb, waren Platitüden: Er wolle nicht auf die Mannschaft draufhauen, sagte Fink, sondern das Spiel schnell abhaken. In der Pause sei es laut geworden. Fink meinte jedoch nicht sich selbst, sondern die Spieler.

Trotz der Schmach liegen die Hamburger nur vier Punkte hinter dem Qualifikationsrang zur Champions League. Dennoch besteht die akute Gefahr, dass aus einem schlechten Tag schnell eine schlechte Saison wird. "Jeder, der denkt, dass das genug war, soll von mir aus in die dritte Liga gehen oder sonst wohin", urteilte Westermann. Trainer Fink versuchte es mit tags darauf mit einer kleinen Strafmaßnahme. Anders als besprochen zitierte er seine Spieler an diesem eiskalten Ostersonntag auf den Trainingsplatz - "zu recht," wie Westermann dort bemerkte.

Irgendwann in seinen zehnminütigen Ausführungen wurde Sportdirektor Arnesen dann gefragt, an was es denn nun gelegen habe. Am Respekt vor den Bayern? An der Ehrfurcht, der Naivität oder der Angst? Arnesen zögerte nicht lange, versuchte auch nicht, die Wörter miteinander zu kombinieren oder neue hinzuzufügen.

Er sagte bloß: "An allem."

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