Hamburger SV:Wie Abstieg ohne Kampf

Hamburger SV v Bayer 04 Leverkusen - Bundesliga

Nach dem Spiel stellten sich Sicherheitskräfte mit Hunden zwischen die Spieler und die aufgebrachten Anhänger.

(Foto: Martin Rose/Getty)
  • Der Hamburger SV verliert auch sein Bundesliga-Heimspiel gegen Leverkusen und liegt in der Tabelle nun sechs Punkte hinter dem Relegationsplatz.
  • Beim HSV hoffen sie, dass die Mannschaft künftig häufiger so spielt wie in den letzten 20 Minuten, als sie zumindest noch das 1:2 schoss.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen und zur Tabelle der Bundesliga.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Die Uhr im Volksparkstadion zeigte am Samstag 54 Jahre und 177 Tage an. So lange ist der Hamburger SV ununterbrochen in der Bundesliga. Doch besonders erboste Anhänger hatten schon vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen ein Plakat gemalt, in dem sie den HSV-Profis drohten: "Bevor die Uhr abgestellt wird, jagen wir Euch durch die Stadt." Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Versprechen in die Tat umsetzen, ist nach der 1:2-Niederlage gegen die Rheinländer zumindest theoretisch erheblich gestiegen. Sechs Punkte liegt der HSV jetzt schon hinter Relegationsrang 16. Und Klubchef Heribert Bruchhagen setzte sich schon einmal mit dem Schlimmsten auseinander: "Frankfurt und Köln sind schon fünfmal aus der Bundesliga abgestiegen, Schalke dreimal - aber die Vereine gibt es noch immer."

Das ist derzeit ein schwacher Trost. Denn auch dieser Fan-Aufruf "zur Gewalt, bei dem die Grenzen überschritten wurden" (Sportchef Jens Todt), hat den Spielern keine Beine gemacht - aber nach Abpfiff fast zu einen Platzsturm geführt. 60 Minuten dackelten die Hamburger den spielerisch eine Klasse besseren Leverkusenern hinterher. Es wirkte wie Abstieg ohne Kampf. Erst dann, als sie schon fast chancenlos waren, erwachten sie noch einmal. In der 66. Minute scheiterte der eingewechselte Bobby Wood an Bayer-Keeper Bernd Leno. In der 71. Minute erzielte der ebenfalls eingewechselten André Hahn den Anschlusstreffer. Und dann machten die Hanseaten mit dem Mut der Verzweifelten noch einmal Druck - vergeblich trotz einer fünfminütigen Nachspielzeit.

Vorher aber hatten die Gäste das Spiel locker, ja fast arrogant bestimmt. Und als der Brasilianer Douglas Santos kurz vor der Pause einen scheinbaren Fehlpass des Leverkuseners Dominik Kohr im Strafraum vertändelte, hatte Leon Bailey keine Mühe, den Ball zum 0:1 im HSV-Tor unterzubringen. Und als kurz nach der Pause Kai Havertz ein Zuspiel von Benjamin Henrichs spielerisch leicht zum 0:2 verwandelte, hatte man zunächst eher das Gefühl, bald falle das 0:3 anstatt des 1:2.

Vor der Partie hatte Bayer-Coach Heiko Herrlich die Befürchtung gehabt, das Spiel könne wegen der akuten Abstiegsangst der Hamburger zu einer Holzerei ausarten. Vor gut einem Jahr beim 1:0-Sieg des HSV seien die Zweikämpfe ja, sagte Herrlich, "nicht mehr innerhalb der Grenzen gewesen". Deshalb hatte er öffentlich gewarnt, der Schiedsrichter möge diesmal besonders aufpassen. So eine Schlacht wie 2017 wurde es dann aber unter der Leitung von Referee Felix Brych nicht. Gleichwohl zählte Herrlich auch diesmal einen Verwundeten. Schon in der 16. Minute musste Wendell nach einem Foul von Mergim Mavraj gegen Henrichs ausgewechselt werden. Auch Sejad Salihovic hätte nach einem Foul an Kevin Volland die rote statt der gelben Karte sehen können. Und auch Sven Bender humpelte mal wieder, wie so oft, in die Kabine.

Selbst erfahrene Hamburger waren mit der Situation überfordert

Auch wegen dieser Zwischenfälle gab es nach dem Spiel noch eine kleine verbale Auseinandersetzung zwischen den Verantwortlichen. Der neue HSV-Trainer Bernd Hollerbach (der als Spieler einst den Spitznamen "Holler-Axt" trug) erwähnte, dass sein Team in der Fairness-Tabelle über den Leverkusenern stünde. Darauf konterte Herrlich, in diesem Match hätten die Hamburger aber mit 15:10 Fouls gewonnen.

Es war allerdings eher so, dass den HSV-Profis aufgrund der immer prekäreren Situation - der Tabellensechszehnte Mainz hatte am Vorabend 2:0 in Berlin gewonnen - die Beine extrem schwer wurden. Spieler wie der 18-jährige Jan-Fiete Arp, aber auch erfahrene Leute wie Kapitän Gotoku Sakai waren dabei offensichtlich überfordert. Erst als fast alles vorbei war, "zeigten sie wieder die Moral und hauten alles rein, wie ich es aus den ersten Spielen kannte", sagte Hollerbach. Er will mit der Mannschaft über die ersten 60 Minuten intensiv reden.

Was kann dem HSV denn überhaupt noch Hoffnung machen? Es ist derzeit schwer vorstellbar, dass das Team am nächsten Samstag das Nordderby in Bremen gewinnen kann. Und spätestens beim darauf folgenden Heimspiel gegen den Tabellennachbar Mainz 05 geht es vermutlich um die letzte Chance, wenigstens noch den Relegationsplatz wie 2014 und 2015 zu erreichen. Jens Todt sieht die einzige Möglichkeit darin, dass der HSV nicht nur 20 Minuten so aufspielt wie am Ende gegen Leverkusen. Wer weniger Zuversicht hatte, suchte schon einmal den ersten Spieltag der Zweitliga-Saison 2018/19 heraus. Es ist der 3. August.

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