Halbfinale der Fußball-WM:Mehr grober Spachtel als Pinselstrich

  • Frankreich und Belgien liefern sich ein interessantes, aber nicht immer hochklassiges WM-Halbfinale.
  • Am Ende entscheidet eine eher profane Aktion das Spiel zugunsten der Franzosen.
  • Das Team von Trainer Deschamps will nun wie 1998 wieder Weltmeister werden.

Von Claudio Catuogno

Mitte der ersten Halbzeit wurde es stiller und stiller auf den Tribünen der Arena am Newa-Strand, aber nicht, weil irgendjemand enttäuscht gewesen wäre von diesem Halbfinale zwischen Frankreich und Belgien. Eher war es so, dass die Fanlager beider Teams irgendwann das Singen vergaßen, zwischendurch musste man fürchten, dass es so still werden würde wie beim Schach. Dabei erinnerte das, was sich auf dem Rasen tat, eher an einen knisternden Boxkampf.

Frankreich ringt die Belgier nieder

Frankreich gegen Belgien, das war ein angespanntes Umeinander-herum-Schleichen, auf Fehler des Gegners lauernd, Frankreich zunächst tief in der eigenen Hälfte, Belgien mit mehr Ballbesitz. Aber da war kein Klammern zwischen den Boxern, um Zeit zu gewinnen, kein unfaires Auf-die-Nieren-Trommeln, um sich gegenseitig mürbe zu machen. Fouls gab es lange so gut wie gar nicht. Auge in Auge, so belauerten sie einander, jederzeit bereit, den einen entscheidenden Punch auszuführen.

Aber weil beide Teams auch immer wieder überfallartig ins Risiko gingen, weil auf beiden Seiten Ballverteiler am Werk waren, die mit ein, zwei Zügen aus dem Fußgelenk in Richtung K.o. bzw. Schachmatt ausrücken können, blieb es unterhaltsam. Erstaunlich war dann nur, dass es ein Innenverteidiger war, der den entscheidenden Ball per Kopf ins Tor wuchtete, nach einer Ecke in der 51. Minute: Der Franzose Samuel Umtiti, 24, vom FC Barcelona. Banal? Profan? Ja, aber andererseits auch wieder folgerichtig. Wenn die Kunst sich neutralisiert, braucht es halt irgendwann den groben Spachtel statt des feinen Pinselstrichs.

Es blieb bei diesem 1:0, und der Torschütze Umtiti sagte später im TV-Interview: "Ich bin superstolz. Wir haben Druck gemacht. Wir haben gedrängt. Ich habe das Glück gehabt. Wir haben ein großes Match gemacht." Frankreich steht nun im WM-Finale, erstmals seit der Niederlage gegen Italien 2006 in Berlin, 20 Jahre nach dem bislang einzigen WM-Gewinn, beim Turnier im eigenen Land. Am Sonntag (17 Uhr/ZDF) in Moskau geht es gegen England oder Kroatien. Für die Belgier bleibt es dabei: Weiter als bis ins Halbfinale sind sie bei einer WM nie gekommen. Das bisher einzige Mal war ihnen das 1986 in Mexiko gelungen.

Für einen bietet sich am Sonntag nun die Gelegenheit, eine besondere Erfolgsgeschichte zu schreiben: Didier Deschamps, 49, der Trainer der Bleus, war ja der Kapitän jener Elf um Zinédine Zidane gewesen, die 1998 in Paris den Titel gewann. Er kann als dritter Fußballer als Spieler und Trainer Weltmeister werden, bisher ist das nur dem Brasilianer Mario Zagallo und dem Deutschen Franz Beckenbauer geglückt. "Es ist etwas Außergewöhnliches", sagte Deschamps: "Chapeau für meine Spieler."

Er hatte seine Elf auf einer Position verändert im Vergleich zum 2:0 gegen Uruguay: Blaise Matuidi verdrängte nach verbüßter Gelbsperre Corentin Tolisso auf dem linken Flügel. Die Belgier schickten wieder ihre Best-of-Premier-League-Elf ins Rennen; bis auf Alex Witsel, der in China sein Geld verdient, sind alle in England unter Vertrag. Darunter diesmal auch ein Dembelé: Moussa Dembelé von Tottenham Hotspur für den gesperrten Thomas Meunier. Nicht zu verwechseln mit Ousmane Dembélé, dem Flügelsprinter der Franzosen.

Kylian Mbappé unternimmt Ausreißversuch

Und dann begann also dieses Wechselspiel aus Abwarten und Zustoßen. Kylian Mbappé unternahm gleich nach dem Anstoß einen Ausreißversuch die Außenlinie entlang (1.), Antoine Griezmann sauste im Zentrum hinterher - das belgische Peloton fing die Ausreißer noch ab. Dann brachte Paul Pogba einen steilen Pass auf Mbappé auf den Weg - allerdings zu steil, selbst für den schnellsten Renner auf dem Platz (13.). Es blieb eine der wenigen auffälligen Szenen des Franzosen Pogba, den die Belgier gezielt aus dem Spiel zu nehmen versuchten. Marouane Fellaini stand Pogba jedenfalls so penetrant auf den Füßen herum, als habe er beim russischen Auslandsgeheimdienst noch schnell einen Crashkurs im Fach Beschatten belegt.

Nach einer Viertelstunde begann dann die beste Phase der Belgier: Eden Hazard, dem in der ersten Halbzeit kein einziger Pass schief rausrutschte, kam gleich zweimal zum Abschluss, einmal schoss er aus steilem Winkel knapp vorbei (16.), einmal rutschte der Ball noch Raphaël Varane über den Scheitel und von dort über die Latte (18.). Und in der 21. Minute zeigte sich dann erneut, dass die Franzosen sich in Russland auf ihren Kapitän und Torhüter Hugo Lloris verlassen können: Nach einer Ecke bekam er die Finger noch an einen Schuss von Toby Alderweireld. Lloris scheint inzwischen immer schon loszuspringen, bevor jemand schießt, eine Art Lucky Luke zwischen den Pfosten.

Weil die Franzosen nun auch mehr Bälle im Mittelfeld gewannen, wurden sie gefährlicher - Olivier Giroud, der Mittelstürmer, verstolperte allerdings mehrere Gelegenheiten. Die beste hatte dann Benjamin Pavard, der junge Rechtsverteidiger vom VfB Stuttgart. Er schoss Thibaut Courtois an den Fuß - hätte er den Ball in der Rücken der Abwehr geschoben, hätte Griezmann ihn nur noch einschieben brauchen.

Die zunächst so abgeklärten Belgier verloren nach und nach alles: ihr Selbstvertrauen, ihre Passsicherheit, ihre Genauigkeit im Abschluss. Kevin De Bruyne hatte den Ausgleich auf dem Fuß, traf aber den Ball nicht richtig (61.), Fellaini erwischte eine Flanke mit dem Kopf, knapp daneben (65.). Und draußen, auf ihrer Bank, sah das einer der berühmtesten Stürmer mit an, den Frankreich je hervorgebracht hat: Thierry Henry, 40, der als Co-Trainer der Belgier dabei war. Henry, der Weltmeister von 1998, der dieser goldenen Generation der Belgier den letzten Schliff geben sollte. Am Sonntag hält er wieder zu den Franzosen, auch wenn die sich am Ende ins Ziel gemauert hatten.

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