Hängende Spitze:Steile Thesen auf allen Kanälen

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(Foto: N/A)

Irgendwo in Deutschland gibt es einen Verschiebebahnhof, auf dem der Betrieb der Fernseh-Fußballexperten geregelt wird. Ab Freitagfrüh wird dort in Doppelschichten und Akkordarbeit hin und her rangiert.

Von Philipp Selldorf

Irgendwo in Deutschland gibt es einen riesigen Verschiebebahnhof, auf dem der Betrieb der Fernseh-Fußballexperten geregelt wird. Ab Freitagfrüh wird dort in Doppelschichten und Akkordarbeit hin und her rangiert: Hier werden die Metzelder-Matthäus-Calmund-Gruppe und der unverwüstliche Hamann-Didi für die Wochenendeinsätze beim Sender Sky aufs Gleis gesetzt, dort macht man den roten Sammer-Express für das Eurosport-Spiel am Abend fertig - und während sich eine stattliche Kolonne von bewährten, wenn auch teils angejahrten Kennern für den Sonntagstalk bei Sport 1 in Bewegung setzt, regt sich auch hinten auf dem vermeintlichen Abstellgleis etwas Leben.

Dort versammeln sich die Fachleute für die RTL-Nitro-Sendung am Montagabend, für die Spielanalyse-Besprechung bei Sport 1, für die zirka drei Dutzend Regionalsportsendungen der ARD sowie das Fußballfrühstücksfernsehen bei Bibel-TV. Immer in Bereitschaft zu halten sind zudem: sofort lieferbares Personal für ARD-Brennpunkte, Maischberger, Christiansen etc. Die Auslandsabteilung bearbeitet die Aufträge aus dem arabischen Raum (Matthäus) und Nordamerika (Ballack).

Es ist kein leichter Job, Europas größtem Expertenmarkt zu organisieren. Wenn der Schichtführer auf seine Tagesordnung schaut, sieht er sich großen Tücken ausgesetzt. Es gibt sehr viele Sendungen über Fußball, aber noch mehr Experten, die über Fußball reden können. Manche müssen es sogar. Jeder hat seine spezifische Verwendbarkeit. Einen Neururer etwa muss man sensibel platzieren. Manche sind eingeschränkt, andere universell nutzbar. Sehr beliebt ist das Modell Effenberg: robust, renommiert, meinungsstark, dazu mit - extra kostenpflichtigem - FC-Bayern-Hintergrund.

Den hat der Dispositionschef neulich beim Länderspiel zur ARD und ein paar Tage später zum Kicker-Stammtisch geschickt, jetzt lässt er ihn beim ZDF über die Bayern reden. Sorgen bereitet dagegen die vormalige ARD-Luxuslösung Scholl: An ihn traut sich im Moment keiner ran. Vielleicht China?

Wenn all die Experten im Fernsehen mit steilen Thesen für Aufsehen sorgen, freuen sich auch die Männer auf dem Verschiebebahnhof. Als der Matthäus kürzlich dem FC-Bayern-Torwart Sven Ulreich "Nachtblindheit" vorgeworfen hat, haben darüber am Bahnhof alle herzlich gelacht. So etwas entschädigt dann alle für die anstrengende Arbeit.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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