Hängende Spitze:"Ein Herr Kramer" schaut lieber Handball

Am Wochenende hat sich wieder erwiesen, wie sehr Uli Hoeneß der Liga fehlt: Eine Beleidigung des FC Bayern bleibt unwidersprochen.

Von philipp selldorf

Der römische Kaiser Nero hat angeblich nach seinem ersten Todesurteil gesagt, dass er sich wünschte, niemals schreiben gelernt zu haben. Diese Äußerung lässt auf eine empfindsame Natur schließen, die an den Lasten des Amtes und der öffentlichen Verantwortung zu leiden hatte. Allerdings ist es nicht bei diesem ersten Todesurteil geblieben, später hatte Nero, wenn man den Überlieferungen glauben darf, auch kein Problem damit, in der engsten Verwandtschaft aufzuräumen, sofern er das für nötig hielt. Seine Mutter Agrippina und sein Stiefbruder Britannicus bekamen es zu spüren. Wie der römische Boulevardreporter Sueton berichtete, musste der arme Britannicus auch deswegen sein Leben lassen, weil er das Pech hatte, noch besser singen zu können als der Herrscher von Rom. Auch war es nicht empfehlenswert, Nero die erwünschten Huldigungen zu versagen, wenn dieser seiner künstlerischen Leidenschaft nachging. Ein bedeutender Senator hätte fast sein Leben verwirkt, als er den Fehler machte, bei einer Gesangsvorführung des Kaisers einzuschlafen. Besser machte es der schlaue Philosoph Seneca, der Nero seinerzeit als antike Version eines Spin-Doctors zur Seite stand, indem er die Vortragskunst seines Mandanten mit der des Gottes Apollon verglich.

Nun ist es natürlich nicht angebracht, Uli Hoeneß mit dem Kaiser Nero zu vergleichen, niemals hat er in der Allianz Arena auf der Laute gespielt oder an der Säbener Straße Gedichte vorgetragen. Aber es gab auch diese Zeiten an der Schwelle des 21. Jahrhunderts, in denen Hoeneß nahezu täglich verkündete, der FC Bayern sei der gesündeste, bestgeführte und sowieso beste Klub der Welt und sein Festgeldkonto das schönste auf Erden. Und wenn dann jemand den Applaus verweigerte oder gar durch sein Tun diesem Glaubenssatz zuwiderhandelte, dann war er ein Geächteter, dann war er nur noch "ein Herr Lemke" oder "ein Herr Möllemann".

Wie sehr also Uli Hoeneß der Liga fehlt, hat sich am Wochenende wieder erwiesen, als ein Herr Kramer, Vorname Christoph, Beruf: Weltmeister, ungeniert erklärte, er werde am Sonntag lieber das Handball-EM-Finale sehen - anstelle des zeitgleich stattfindenden FC-Bayern-Spiels. Das Imperium Bavaria sagte zu dieser Beleidigung: nichts.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: