Gründe für den Absturz des BVB:Wieso Dortmund bald Letzter ist

Bayern München - Borussia Dortmund 2:1

Wieder eine Niederlage: Die BVB-Spieler in München

(Foto: dpa)

Es mangelt an Fitness, die Zugänge haben sich noch nicht eingewöhnt und Trainer Jürgen Klopp wirkt verunsichert wie nie: Sieben Gründe, warum Borussia Dortmund in der Bundesliga derart abgestürzt ist.

Von Thomas Hummel

Der VfB Stuttgart ist derzeit berühmt für die seltsamsten Ergebnisse in der Bundesliga, irgendwo zwischen 5:4, 0:4 und 3:3 pendeln die Schwaben hin und her. Weshalb sich Borussia Dortmund nicht auf diesen VfB verlassen kann.

Dennoch ist dieser wankelmütige Klub die letzte Hoffnung für den großen BVB. Sollte Stuttgart in Bremen nicht gewinnen, dann können sich alle Schalker von Samstagabend, 20.20 Uhr, bis mindestens Sonntag, 17.30 Uhr, die Tabelle ausschneiden und übers Bett hängen. Denn dann ist Borussia Dortmund mindestens für diese 21 Stunden und zehn Minuten Letzter der Bundesliga. Ob sich danach daran etwas ändert, ist zudem mehr als ungewiss. Dortmund spielt zu Hause gegen Mönchengladbach.

Der BVB führt den steilsten und schnellsten Absturz der jüngeren Bundesliga-Geschichte vor. Vermutlich der jüngeren Weltfußball-Geschichte. Viermal in Serie landete Dortmund auf Platz eins oder zwei, und nun dieser "Albtraum", wie es Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nennt. Er sagte: "Wir sind nicht durch Zufall oder böse Mächte dahin gekommen, wo wir stehen." Doch wie konnte das passieren?

Sieben Gründe für die Krise des BVB. Plus ein Erklärungsversuch, warum es am Dienstagabend in der Champions League gegen Galatasaray Istanbul wieder klappen kann.

1. Verletzte und Blessierte

Ist es Pech? Oder die körperlich sehr anspruchsvolle Spielweise der Dortmunder? Zu ungestümes Verhalten im Zweikampf?

Jedenfalls begleitet den Klub seit Jahren eine Verletztenmisere, die ihresgleichen sucht. All die Brüche, Risse oder Wirbelnerventzündungen sind kaum mehr zu überblicken. Die Auswirkungen in dieser Saison dagegen schon. Es gibt Spieler, die fallen seit längerem aus (Sahin, Kirch, Blaszczykowski, Schmelzer). Einige kehren nach monatelanger Absenz zurück, haben ihr früheres Leistungsniveau aber noch nicht erreicht (Gündogan, Subotic). Andere stolperten von einer Verletzung in die nächste und sind ebenfalls noch nicht die alten (Reus, Hummels, Bender).

2. Fehlende Fitness

Vor dem Spiel in Mainz sagte Trainer Jürgen Klopp: Wenn die Mainzer einen Abnutzungskampf anstreben würden, dann bitte sehr. Er gab sich sicher, seine Mannschaft würde ihn am Ende gewinnen. Da täuschte er sich. Mainz war nach der Pause fitter, schneller, stärker. Wie die meisten Gegner in dieser Saison, was direkt mit Punkt 1 zusammenhängt.

In einer Tabelle, die nur die zweite Halbzeit berücksichtigt, wäre Dortmund längst Letzter: fünf Unentschieden und fünf Niederlagen. Zählte nur die erste Halbzeit, wäre alles halb so schlimm: mit zwölf Punkten stünde die Borussia im Mittelfeld der Tabelle. Kann die Mannschaft das Spiel in der ersten Halbzeit nicht entscheiden, dann schwinden zunehmend Kraft und Zutrauen.

3. Weggang Lewandowski

Eine alte Regel besagt: Wie wichtig jemand ist, merkt man erst, wenn er fehlt. Insofern war Robert Lewandowski lebenswichtig für Borussia Dortmund. Erstens als Vollstrecker in der Spitze, in der vergangenen Saison wurde er mit 20 Treffern Torschützenkönig. Zweitens als vorderste Anspielstation bei den gefürchteten Überfallangriffen: Bei Ballgewinn in der Defensive folgte der lange Pass auf Lewandowski, der die Kugel oft gegen mehrere Gegenspieler verteidigte und sie dann auf die im Vollsprint nachrückenden Kollegen verteilte.

Das System war so einfach wie wirkungsvoll, weil Lewandowski im Bällebehaupten fast einzigartige Fähigkeiten besitzt. Eins zu eins hätten die Dortmunder den Polen wohl nur mit Edin Dzeko ersetzen können, dessen Spielweise und Stärken ähnlich ausgeprägt sind. Doch dessen Scheich-Gehalt von Manchester City wollte die Borussia nicht übernehmen.

Neue Spieler brauchen Zeit

4. Traditionelle Eingewöhnungszeit der Zugänge

Zur Erinnerung: Lewandowski saß in seiner ersten Saison 2010/2011 in Dortmund fast immer auf der Bank, wurde häufig erst spät eingewechselt. Ilkay Gündogan benötigte ein halbes Jahr bis er zu einem grandiosen Spielgestalter wurde. Es ist ein bisschen Tradition bei Trainer Jürgen Klopp, dass neue Spieler Zeit brauchen, um sich auf die besondere Spielweise einzustellen.

Das ist eine Erklärung dafür, dass bislang kein Sommerzugang vollends überzeugt. Was vor allem im Angriff schmerzt, weil Ciro Immobile und Adrian Ramos ihren Vorgänger Lewandowski bei weitem nicht ersetzen können. Weder was Präsenz noch was Torquote betrifft. Selbst Rückkehrer Shinji Kagawa muss sich offensichtlich wieder neu gewöhnen an Klopps Vollgas-Fußball. In München erinnerte er immerhin eine Halbzeit lang an den früheren Kagawa. Dann musste er nach 70 Minuten entkräftet raus.

5. Gegner haben sich auf den BVB eingestellt

War in den Meisterjahren 2011 und 2012 das Klopp'sche Pressing und Gegenpressing noch neu und in seiner Kraft einzigartig, haben sich inzwischen viele Mannschaften in der Bundesliga darauf eingestellt. Und Gegenmittel gefunden. So bevölkern sie nun geschickt mit vielen Spielern die Mitte des Platzes, rücken sehr eng zusammen. Ballverluste führen deshalb nicht mehr zwangsläufig dazu, dass der Dortmunder Schnellangriff startet. Die Räume sind zumeist verstellt.

Ein typischer Spielverlauf etwa gegen Mainz, Hamburg oder Hannover sah so aus: Dortmund rennt und kämpft, tut und macht, kommt dennoch zu wenigen Möglichkeiten, die wegen der Punkte 3 und 4 auch noch vergeben werden. Später lässt wegen der Punkte 1 und 2 die Kraft nach und die Gegner entscheiden das Spiel. Auf ein Gegentor kann die Borussia nicht mehr reagieren.

Sprachloser Klopp

6. Kaum Variationen in der Spielweise

FC Bayern München - Borussia Dortmund

Derzeit ziemlich ratlos: Jürgen Klopp beim Bayern-Spiel

(Foto: dpa)

Pep Guardiola drückte den Dortmundern wie immer seinen großen Respekt aus. Nach dem 2:1-Sieg seiner Bayern sagte er: Seine Spieler hätten in der ersten Halbzeit vielleicht ein wenig Angst gehabt, weil der "BVB die beste Kontermannschaft der Welt ist". Es ist langsam ein leicht vergiftetes Kompliment, denn das sagt Guardiola, seitdem er in Deutschland angekommen ist. Er hat sich ebenfalls längst darauf eingestellt.

Der Eindruck drängt sich auf: Dortmund kann kein Alternativkonzept. So tut sich die Mannschaft sehr schwer gegen tief stehende Defensivreihen. Sie pflegt ihre "unökonomische, aufwendige Spielweise", wie es Watzke einmal nannte, obwohl sie aufgrund ihrer Einzelspieler eigentlich in der Lage sein müsste, die allermeisten Gegner mit spielerischen Mitteln überfordern zu können.

Auch die Standardsituation, mit der etwa die deutsche Nationalmannschaft bei der WM so manchen zähen Gegner knackte, ist bislang nicht im Repertoire der Borussia. Allein Mats Hummels kommt da zu Chancen, doch der ist ja schon wieder verletzt (siehe Punkt 1)

7. Trainer Jürgen Klopp

So ratlos, blass, fast sprachlos hat der deutsche Fußball Jürgen Klopp noch nie erlebt. Wirkte der Coach sonst wie ein Energiefeld für seine Mannschaft, das bisweilen die Grenzen der Fairness gegenüber Gegnern und Schiedsrichtern missachtete, steht nun ein schlaffer Trainer mit hängendem Kopf am Spielfeldrand. Die Tatsache, dass vielleicht zum ersten Mal in seiner Karriere kaum mehr etwas funktionieren will, nimmt den 47-Jährigen mit. Bisweilen stellt sich die Frage, wer mehr Unterstützung und Aufbauhilfe benötigt: die Mannschaft oder der Trainer?

Am Samstag in München leitete Klopp mit einer taktischen Umstellung zur Halbzeit den Niedergang seiner Elf ein: Statt die Bayern weiterhin offensiv zu attackieren, rief er den Rückzug aus. Es war eine Strategie des Zweifels. Eine Abkehr von den eigenen Stärken. Jürgen Klopp wirkt verunsichert wie noch nie in Dortmund.

Nun kommt Galatasaray. In der Champions League hat der BVB drei Siege und 9:0 Tore. Ein Paradox? Vielleicht. Aber zumindest ein Problem aus der Bundesliga stellt sich hier nicht: Die Gegner haben sich längst noch nicht auf Pressing und Gegenpressing eingestellt. Und das können die Dortmunder noch so gut, dass sie bisweilen zu leichten Siegen kommen. Aber nur in der Champions League.

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