Großkreutz in der DFB-Elf:Dann halt Rechtsverteidiger

Training deutsche Fußball-Nationalmannschaft

Plötzlich wieder Nationalspieler: Kevin Großkreutz.

(Foto: dpa)

Außer Philipp Lahm gibt es im deutschen Fußball keine Außenverteidiger, die den Ansprüchen genügen. So kommt Kevin Großkreutz zu seiner großen Chance, als Rechtsverteidiger mit zur WM zu fahren - obwohl er beim BVB längst auf einer anderen Position spielt.

Von Philipp Selldorf, Stuttgart

Drei Jahre war Kevin Großkreutz, 25, nicht bei der Nationalmannschaft. Menschen mit dem Gedächtnis von Elefanten erinnern sich, dass es bei seinem letzten Besuch so ausgesehen hatte, als ob er künftig ständig wiederkommen werde. Beim 1:1 im Testspiel gegen Italien im Februar 2011 wirkte er, wenn die Archive nicht lügen, relativ überzeugend als Linksaußen mit.

Dann allerdings verschwand Großkreutz wieder, zwar nicht in der Versenkung, aber aus dem Kreis der Nationalmannschaft. Bei Borussia Dortmund behauptete sich Großkreutz in allen Wettbewerben und allen Mannschaftsteilen, das Tor inbegriffen, aber der Bundestrainer hatte keine Verwendung mehr für den Allzweckspieler - bis er ihn nun zum Test gegen Chile wieder eingeladen hat.

Obwohl sich Großkreutz mit aller Kraft vorgenommen hatte, bei diesem Comeback demütig und bescheiden wie ein Bettelmönch vor die Öffentlichkeit zu treten, hat er sich dann doch zu einem gewagten Statement drängen lassen: "Ja, ich will zur WM" - diesen schicksalsschweren Satz hat er tatsächlich gesagt. Er hatte allerdings auch keine Chance, etwas anderes zu sagen, denn Lukas Podolski saß neben ihm und befahl: "Hau's raus, hau's raus!"

Großkreutz wird, so hat ihm das Trainer Joachim Löw angekündigt, gegen Chile als Rechtsverteidiger in der Startelf stehen, aber es ist unwahrscheinlich, dass er weitere drei Jahre auf den nächsten Einsatz warten muss. Eher ist es sogar wahrscheinlich, dass er die Reise zur WM in Brasilien mitmachen darf, weil Großkreutz von einem grundlegenden Problem des deutschen Fußballs profitieren könnte: Es gibt keine Außenverteidiger, die den Ansprüchen eines Teams genügen, das Weltmeister werden soll. Beziehungsweise: Es gibt zwar einen, doch der spielt inzwischen im Mittelfeld, und dass Philipp Lahm auch bei der Nationalelf im Mittelfeld spielen möchte, das hat er am Dienstag in Stuttgart erneut bekräftigt: "Ich fühl' mich wohl auf der Position", hat er gesagt, "es ist was Neues, mir gefällt das. Ich habe jahrelang als Außenverteidiger gespielt, da hat man jede Situation schon erlebt."

Natürlich ist nicht Lahms persönliches Amüsement maßgebend, aber es scheint sich die Meinung durchzusetzen, dass der Kapitän im Mittelfeld noch wertvoller ist als in der Abwehrreihe, was wiederum bedeutet: Wer macht's dann? Der Außenverteidiger-Markt ist ein Mangelmarkt. Hierzu ein exemplarischer Exkurs nach Leverkusen, wo das Management von Bayer 04 seit Jahren an der Frage verzweifelt, wie es die Außenpositionen besetzen soll.

Die Liste der Rechtsverteidiger (Corluka, Carvajal, Castro, Hilbert, Donati) wird nur von der Liste der Linksverteidiger (Kadlec, Boenisch, Stafylidis, Castro, Can, Guardado) übertroffen. Die schnelle Rotation der Kandidaten zeigt, dass es selbst ein führender und anerkannt findiger Bundesligaklub nicht schafft, halbwegs verlässliche Lösungen im eigenen Land zu finden.

Als Lösung für den potenziell vakanten Posten des Rechtsverteidigers hatten Löw und sein Assistent Hansi Flick den Schalker Benedikt Höwedes ausgeguckt. Dieser bekam jetzt die Gelegenheit, vor großem Publikum seine Eignung nachzuweisen, als er gegen Real Madrid (1:6) und Bayern München (1:5) den verletzten Stammspieler Atsuto Uchida ersetzte - die Einladung zum Länderspiel gegen Chile hat dann Großkreutz erhalten, obwohl er beim BVB längst nicht mehr als Rechtsverteidiger aufgeboten wird.

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