Großkreutz-Debatte beim DFB:Außer Tresen nix gewesen

Trainingslager Südtirol - Testspiel

Ein Ausflug mit Folgen: Kevin Großkreutz verbrachte eine unschöne Nacht in einem Berliner Hotel.

(Foto: dpa)

Kevin Großkreutz hat an falscher Stelle Wasser gelassen und wurde erwischt. Was treibt Nationalspieler an, die sich danebenbenehmen? Ist das wirklich schlimm? Eine kleine Kulturgeschichte von DFB-Fehltritten, Ausflüchten und Strizitum.

Von Jonas Beckenkamp

Kevin Großkreutz hat in Berlin in eine Hotellobby "uriniert". Man könnte sich den Etikettensprech auch einfach schenken und es sagen, wie es ist: Da hat ein Nationalspieler wildgepinkelt. Und betrunken war er auch noch, dieser Flegel. Das ist natürlich nicht nett. Was sollen denn die Leute denken?

Es ist schon eine Krux mit dem Vorbildsein als Fußballer, zumal heutzutage ja immer so genau hingeschaut wird. Die Verwertungskette geht so: Berühmtheit benimmt sich daneben, Boulevardmedium bringt es zur allgemeinen Belustigung groß raus, Bundestrainer rügt, Betroffener zeigt Reue - oder auch nicht.

Es stellt sich nun die Frage: Warum pinkelt einer in ein Hotel und nicht etwa - wie viele andere - an ein Hotel, zum Beispiel im Hinterhof zwischen die Mülltonnen, wo es keiner sieht? "Das war eine schwere Niederlage, man war sehr frustriert", analysierte Großkreutz, der das 0:2 im Pokalfinale gegen die Bayern mit ein paar Caipirinhas heruntergeschwemmt hatte, "was danach passiert ist, tut mir sehr leid, ich entschuldige mich dafür auch. Es wird nicht mehr vorkommen."

Gnädigerweise nahmen die Verantwortlichen im Verband dieses Entsagungsversprechen an, der BVB-Profi habe sich schließlich im Nationalteam immer einwandfrei verhalten - und darf nun vermutlich auch mit zur WM. Ob Großkreutz bei Herbergsleiter Joachim Löw trotzdem eine Stunde in der Ecke stehen musste oder im Büßergewand trainierte, ist noch unklar - fest steht aber: Wenn der nächste Nationalspieler öffentlich einen Kaugummi auf die Straße spuckt, darf er sich wohl auf einiges gefasst machen.

"Hubba-Bubba-Affäre um Poldi spitzt sich zu", könnte es dann aus der Presse daherhallen. Oder: "Die ganze Wahrheit über Götzes Lama-Attacke". Oder, als Weiterdreh quasi: "Poldi aufgepasst! Wie gefährlich ist es, einen Kaugummi runterzuschlucken?". Überhaupt verwundert es, dass noch niemand die Reinigungskraft vor ein Mikrofon gezerrt hat, die Großkreutz' Schweinerei wegwischen musste.

Mit seinem Fauxpas reiht sich der Dortmunder Pinkelbruder übrigens in die Ahnengalerie verhaltensauffälliger DFB-Größen ein.

  • Vor der EM 2012 sicherte sich Jérôme Boateng den Hauptpreis im nächtlichen Ausschweifen. Der Münchner verschwand mit der Implantat-Expertin Gina-Lisa Lohfink aufs Zimmer. "Er hat gehört, dass ich in der Stadt bin, wollte mich unbedingt kennenlernen", erklärte die Blondine damals der Bild - und irgendwie fühlte man sich an die alte Fußballer-Weisheit erinnert: Muss er probieren.
  • Das wird sich auch Kevin Kuranyi gedacht haben, der 2008 aus Frust über seine Nicht-Nominierung für das Länderspiel gegen Russland in der Halbzeit aus dem Dortmunder Stadion flüchtete. Mit dem Bus. Und leider ohne jegliche Zukunft beim strikten Teamgeist-Prediger Joachim Löw, der den Stürmer seither nie mehr berief.

Uli Stein und der Suppenkasper

  • Nicht viel besser erging es 2006 Christian Wörns, der Jürgen Klinsmanns "Laden auseinander nehmen"-Revolution zum Opfer fiel und dem Bundestrainer "ein ganz linkes Ding" vorwarf - Wörns war damit genauso raus wie ...
  • ... 1994 Stefan Effenberg nach seinem Stinkefinger gegen deutsche Fans bei der WM. Wer jetzt denkt, DFB-Eklats seien eine Sache der Moderne, der sei an weitere historische und zeitgenössische Ausrutscher erinnert.
  • 1986: Uli Stein kanalisiert seinen Frust über sein Dasein als Nummer zwei bei der WM in eine präzise Tirade gegen den "Suppenkasper" Franz Beckenbauer, der einst für, nunja, Suppe geworben hatte. Stein musste nach Hause fahren, der "Kaiser" wirbt seitdem für Weißbier, Handyanbieter und alles, was nichts mit klarer Brühe zu tun hat.
  • 1982: Während der Vorbereitung auf die WM in Spanien logiert der DFB-Tross am Schluchsee im Schwarzwald, der bald in "Schlucksee" umgetauft wird und zum Schauplatz ausufernder Glücksspiel-Eskapaden der Nationalspieler mutiert.
  • Oder 1974: Als Sepp Maier und Uli Hoeneß vom Trainingslager in der trostlosen Sportschule Malente so die Nase voll haben, dass sie sich nachts davonschleichen. Ein Ausflug nach Hamburg zu ihren Frauen endet damit, dass bei der Autofahrt die Bremsen streiken und Maier per Handbremse operiert. Maiers Torwartpranken sind versehrt - Weltmeister werden die Deutschen trotzdem.

Die Kulturgeschichte der DFB-Fehltritte ist ein Sammelsurium an Frustbewältigungen, Dummheiten, Langeweile-Ausflüchten, Pennälerstreichen und Strizitum. Obendrauf ein wenig feuchtfröhlicher Eskapismus und fertig ist das Psychogramm einer Zunft, die eigentlich zu bemitleiden ist. Fußballer stehen unter Dauerdruck, die Erwartungen sind riesig, die Verheißungen groß - gleichzeitig staut sich durch die Eintönigkeit des Alltags allerhand auf. Kein Wunder, dass da mal was daneben geht. Dass man irgendwann den lieben Gott einen alten Mann sein lässt.

Die Hindernisse lauern schließlich überall, das wusste schon der legendäre britische Fußballer George Best, der einst erklärte: "Als ich in den Vereinigten Staaten spielte, wohnte ich in einem Haus direkt am Meer. Ich war nie im Wasser. Auf dem Weg war eine Bar." So wird es Kevin Großkreutz an jenem Abend in Berlin auch ergangen sein.

Er wollte nichts Böses, doch dann landete er unversehens auf der Pokalfeier des BVB im Berliner "Kraftwerk". Was er dort zu sich nahm, musste eben wieder weichen. Ist das jetzt wirklich so schlimm? "Jeder weiß ja, dass unter Alkohol-Einfluss so einiges passiert. Unschön ist nur, wenn es rauskommt", meinte DFB-Kollege Per Mertesacker - dieser herrlichen Zweideutigkeit ist nichts hinzuzufügen.

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