Großer Preis von China:Völlig durchgedreht im Dreikampf

F1 Grand Prix of China

Und dann jubelt plötzlich er: Daniel Ricciardo beim Rennen in China.

(Foto: Getty Images)

Von Philipp Schneider

Lange suchen musste er nicht, schon kurz nach der Zieldurchfahrt hatte Sebastian Vettel den Mann gestellt, der ihm das Rennen vermiest hatte, noch in der Boxengasse traf er auf Max Verstappen, den hin und wieder mal uneinsichtigen Niederländer. Vettel und Verstappen standen sich gegenüber. Sie stierten sich aber nicht an wie Henry Fonda und Charles Bronson am Ende von Sergio Leones Western "Spiel mir das Lied vom Tod", sie plauderten einfach. Der Showdown fiel aus, weil der hin und wieder mal uneinsichtige Verstappen eine Woche nach seinem Crash mit Lewis Hamilton in Bahrain unheimlich einsichtig war.

"Ich bin sauer, das Rennen war am Ende scheiße. Hab' mit Seb geredet: Es war meine Schuld", sagte Verstappen.

Dem war wenig hinzuzufügen. Auch nicht von Vettel, der beim Großen Preis von China von der Pole Position gestartet war und die längste Zeit vor seinem WM-Rivalen Hamilton gelegen hatte. Ein zu spät angesetzter Reifenwechsel vertrieb ihn zunächst von der Spitze des Feldes, ehe ihn zwölf Runden vor Schluss dieser extrem unterhaltsamen Sause in Shanghai Verstappen von der Strecke räumte: bei einem wirklich hyperaktiven Vorhaben, sich am Ende der langen Geraden auf der Innenseite der Spitzkehre an Vettel vorbeizuschieben. Verstappens Red Bull traf den Ferrari an der Seite, beide Autos drehten sich, die Fahrer verloren Plätze, Vettels Rennwagen wurde beschädigt, er rutschte von Rang zwei auf sieben ab, wurde am Ende Achter. "Man hat gesehen, dass es auf seine Kappe geht. Im Endeffekt hat es unser beider Rennen zerstört", klagte Vettel, "ich hatte Glück, überhaupt noch weiter fahren zu können."

Vettels Glück war zudem, dass sich auch Hamilton nicht sehen ließ auf dem Podium von Shanghai. Der Weltmeister, der ein düsteres Wochenende in China erlebte, wurde nur Vierter - hinter dem Sieger Daniel Ricciardo sowie Valtteri Bottas und Kimi Räikkönen. Den Schampus verspritzten Fahrer aus drei unterschiedlichen Teams, von Red Bull, Mercedes und Ferrari. Drei Fahrer, die in ihren Garagen entweder als Helferchen behandelt werden, oder sich regelmäßig anhören müssen, dass der jüngere Kollege doch wesentlich talentierter sei als man selbst. Insofern hat Daniel Ricciardo, der acht Jahre älter ist als Verstappen, 20, seinen Sieg in Shanghai ganz besonders genossen. "Ich gewinne keine langweiligen Rennen", sagte der Australier nach der sechsten Zieldurchfahrt als Führender in seiner Karriere. Fürwahr.

Sein Resultat sei ein "Desaster", sagte Hamilton: "Irgendwas ist passiert." Die Frage ist nur: was?

Die drei überraschenden Gäste auf dem Podium taugten auch als Sinnbild für die gerade einmal drei Rennen alte Saison, bei der sich abzeichnet, dass sie alles andere als langweilig werden dürfte. Diesmal boten Verstappen und Ricciardo eine Vorstellung, die von den Konkurrenten genauestens studiert werden wird: Sie starteten von den Plätzen fünf und sechs und waren wegen ihrer aggressiven Zwei-Stopp-Strategie auf ihren frischeren Reifen gegen Ende des Rennens nicht zu halten.

Gibt es noch einen Dreikampf zwischen Ferrari, Mercedes und Red Bull?

Bei Mercedes hatten sie bislang zu keiner Zeit der Saison den Eindruck hinterlassen, als hätten sie nicht auch in diesem Jahr wieder das schnellste Auto im Feld erdacht und produziert. Dieser Eindruck galt in Melbourne, er galt in Bahrain, er galt, obwohl Sebastian Vettel beide Rennen im Ferrari gewann. Hamilton wurde in all der Zeit nicht müde, immer wieder zu betonen, der technische Vorsprung auf die Scuderia zu Saisonbeginn sei weitaus geringer, als man meinen könne. Dann kam der Samstag. Von da an war alles anders.

Mit neuen Reifen fahren die Red Bulls allen davon

Im Qualifying war Vettel um 0,53 Sekunden schneller als Bottas, der rasantere der beiden Mercedes-Piloten. Hamilton musste sich bei Temperaturen von nur zwölf Grad im zweiten Silberpfeil mit dem vierten Platz begnügen. Woher dieser immense Vorsprung plötzlich kam, weswegen Hamilton seine Reifen anders als Vettel nicht auf Betriebstemperatur hatte bringen können, das war das große Rätsel. Der Verdacht kam auf, Ferrari habe sein Auto speziell auf die im Vergleich zum Sonntag wesentlich kühleren Temperaturen abgestimmt, um auf Kosten des Renntempos in der Qualifikation zu glänzen. Nur glänzte Hamilton dann auch im Rennen nicht.

Sein vierter Platz sei ein "Desaster", sagte Hamilton. "Ich hatte keine Pace. Am Freitag war ich noch schnell. Und dann ist irgendwas passiert." Die Frage ist: was? Und: Warum passierte das mit dem Auto des Kollegen Bottas nicht ebenfalls?

Mercedes-Boss Toto Wolff räumte ein, dass es seinem Team in China nicht gelungen sei, die Reifentemperatur in den Griff zu bekommen. "Im Qualifying blieben die Reifen zu kalt, im Rennen haben sie überhitzt", sagt Wolff. Doch auch Hamilton sei nicht ohne Schuld, befand Wolff: "Wie das Auto war auch er nicht in der besten Verfassung an diesem Wochenende."

In der ersten Reihe parkten die Ferraris, in der zweiten die Mercedes, in der dritten die Red Bulls. Nach der Qualifikation war die Welt der Formel 1 noch hübsch geordnet. Die erste Kurve in China eignet sich vortrefflich zum Überholen. Räikkönen kam schneller weg als Vettel, was den Deutschen in die unangenehme Situation brachte, seine Position gegen den Teamkollegen zu verteidigen. Der Finne wurde dabei so gebremst, dass er seinen Landsmann Bottas im Mercedes vorbeiziehen lassen musste. Und der von Position fünf gestartete Verstappen nutzte seine Chance, erst Hamilton und dann noch Räikkönen hinter sich zu lassen. "Sorry, dass ich einen Platz verloren habe. Aber Kimi war ziemlich aggressiv", funkte Hamilton. Da lag er schon zehn Sekunden hinter Vettel.

Vorentschieden wurde dieses Rennen nach einem Drittel. Nach 18 Runden fuhren die zwei Red-Bull-Piloten erstmals an ihre Versorgungsstationen - zeitgleich. Hamilton kam eine Runde später an die Box, wechselte auf die härtest mögliche Mischung, um das Rennen durchzufahren. Eine Runde später kam der zweitplatzierte Bottas, der damit Vettel unter Druck setzte, der sich erst später neue Gummis aufziehen ließ. Als Vettel mit seinem Ferrari zurück auf die Strecke fuhr, sah er Bottas vor sich um die Kurve biegen. Nach den strategischen Fehlentscheidungen von Mercedes in Melbourne und Bahrain gab es endlich mal wieder eine strategische Entscheidung von Mercedes, die funktionierte. Vor den Stopps, vor Bottas' Undercut, hatte der Finne drei Sekunden hinter Vettel gelegen. "Wir hatten das Rennen im Griff", sagte Vettel, "wir haben uns da vertan."

Hamilton rutscht noch vom Podium

Vettel hing nun fest hinter Bottas, die Hälfte des Rennens stand noch aus. Höchste Zeit also für ein Wunder. Oder zumindest ein Safety Car.

Dieses bestellte unfreiwillig Pierre Gasly, der seinem Teamkollegen Brendon Hartley in den Toro Rosso rummste. Auf der Strecke lagen Teile, das Feld rückte hinter dem Dienstwagen von Bernd Mayländer zusammen. Als wieder beschleunigt werden durfte, lag Hamilton auf Rang drei hinter Bottas, weil sich Verstappen, genau wie sein Teamkollege Ricciardo, geistesgegenwärtig einen neuen Satz Reifen hatte anschrauben lassen. Das Tempo, das die Red Bulls daraufhin fuhren, konnte niemand mitgehen. Erst überholte Ricciardo Hamilton. Dann rollte Verstappen vorbei am Weltmeister, ziemlich sicher wäre er noch Zweiter geworden.

Hätte er nicht noch den langsameren Vettel abgeräumt.

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