Großer Preis von Bahrain:Formel-1-Piloten sollen Fehler machen

Australian F1 Grand Prix

"Ich weiß, dass die Änderungen, die wir vornehmen, nicht für besseres Racing sorgen werden", fürchtet Lewis Hamilton.

(Foto: Getty Images)

Die Formel 1 tut viel, um es den Fahrern schwerer zu machen - die Rennen sollen so abwechslungsreicher werden. Die Piloten frustriert das zunehmend.

Von René Hofmann

Die Regeln bleiben das große Thema in der Formel 1. Das schönste Bild für die absurde Situation hat Sebastian Vettel, 28, gefunden. "Du verkaufst Vanille-Eis. Aber alle, die in deinen Laden kommen, wollen Schokoladen-Eis", sinnierte der viermalige Weltmeister vor dem Großen Preis von Bahrain an diesem Wochenende: "Dann machst du am nächsten Tag den Laden auf. Und was bietest du an? Wieder Vanille-Eis!" Eigentlich, so Vettel, müsse man sich doch "danach richten, was die Kunden wollen". Das aber geschehe nicht, weshalb der Ferrari-Fahrer, der auch ein Sprecher der Fahrergewerkschaft GPDA ist, zu dem Schluss kommt: "Da macht jemand einen schlechten Job. Darauf dürfen wir wirklich nicht stolz sein."

Der Anlass für Vettels Kritik? Das neu eingeführte Format eines Ausscheidungsfahrens in der Qualifikation, das beim Saisonauftakt vor zwei Wochen in Australien gewaltig floppte, weil am Ende keiner mehr fuhr. Das daraufhin von allen Teams einstimmig abgelehnt wurde, das nun aber doch erst einmal bleibt, weil es bei der entscheidenden Abstimmung mit der nötigen Einstimmigkeit schon wieder vorbei war.

Nicht nur Vettel äußert deutlich seine Meinung

Vanille oder Schokolade? Ein Ausscheidungsfahren in der Qualifikation oder vielleicht doch besser keines? In der höchsten Motorsportkategorie wird gerade über viele Fragen wie diese gestritten. Und nicht nur Sebastian Vettel hält mit seiner Meinung nicht mehr länger hinter dem Berg. Mercedes-Mann Lewis Hamilton, in den vergangenen zwei Jahren der Titel- träger, hielt nach seinem zweiten Platz beim Saisonauftakt in Australien ein spontanes Plädoyer, in dem er erst seine Liebe für den Sport vortrug und dann - fast flehentlich - mehr Mitspracherechte für die Protagonisten einforderte. Hamiltons große Befürchtung: "Ich weiß, dass die Änderungen, die wir vornehmen, nicht für besseres Racing sorgen werden."

In Bahrain elaborierte der 31-Jährige nun noch einmal zu diesem Thema. Sein Fazit: "Die Leute lieben die Formel 1 nicht mehr." Und bei den Fahrern drohe das gleiche. Er selbst vermisse es, sich mit seinen Rivalen Rad-an-Rad duellieren zu können, wie das in Go-Karts möglich sei, so Hamilton, der glaubt: Auch dem Publikum fehlt die Kontaktaufnahme. Hamilton sagt: "Die Leute, die sich die Rennen anschauen, wissen nichts über all die unterschiedlichen Knöpfe, an denen wir drehen können. Sie wollen uns kämpfen sehen, sie wollen, dass es raucht - hinten aus den Autos heraus oder wenn wir die Reifen blockieren. Das ist doch, was aufregend ist!"

Hamilton ist kein GPDA-Mitglied. Hinter dem Offenen Brief, den die Grand Prix Drivers' Association nach dem Auftritt in Melbourne den Machthabern schickte, steht er aber, weil auch er der Meinung ist: "Es läuft etwas fundamental falsch." In dem Schreiben warfen die Fahrer dem Automobilweltverband FIA und Vermarkter Bernie Ecclestone vor, sie gingen "die wirklichen Probleme des Sports nicht an" und setzten so "den langfristigen Erfolg der Serie aufs Spiel". Wie zur Bestätigung scheiterte am Tag darauf das Referendum, bei dem das ungeliebte Qualifikationsformat wieder abgeschafft werden sollte - weil die FIA dem Vorschlag der Teams, einfach zum Vorjahresmodus zurückzukehren, nicht folgen wollte.

Ob sich nach dem Bahrain-Gastspiel in dem Streitpunkt etwas tun wird? Das ist eine spannende Frage.

Die Fahrer sollen mehr Fehler machen

Im Prinzip haben die Fahrer die Nase voll, weil die Serie seit Jahren versucht, mit kosmetischen Tricks ein grundsätzliches Problem zu überschminken: Die 2014 eingeführten Sechszylinder-Turbo-Hybrid-Motoren haben die Formel 1 zwar technisch auf die Höhe der Zeit geholt. Die komplizierten Aggregate haben die Autos aber auch schwer gemacht - und kompliziert zu bedienen. Außerdem sind die Fahrzeuge immer noch aerodynamisch so ausgetüftelt, dass es einem Hinterherfahrenden sehr schwer fällt, zum Überholen anzusetzen. Wer im Windschatten zu viel riskiert, gerät ins Rutschen und ruiniert sich die Reifen. Lewis Hamilton beschreibt das Problem so: "Ich habe hundert Dollar, die ich über 40 Runden ausgeben kann. Wenn ich 90 Dollar für ein Überholmanöver opfere, schaffe ich es nicht bis ins Ziel."

Um für Abwechslung zu sorgen, wurden zuletzt viele Regeln immer wieder neu gefasst - mit einem Trend: den Fahrern wurden viele Hilfen entzogen; sie sollen mehr Fehler machen. Die Neuerungen in diesem Winter sind das beste Beispiel hierfür. Nicht nur das neue Qualifikations- Format stärkt den Zufallsfaktor. Fahr- hilfen per Funk vom Kommandostand aus wurden kategorisch untersagt. Und: Die Kupplung darf beim Start nicht mehr über zwei Hebel betätigt werden. Ein winziger Hebel weniger: Auf den ersten Blick sieht das nach keiner gravierenden Änderung aus. Aber das täuscht: Weil die Technik so komplex ist, kann auch die kleinste Änderung gravierende Auswirkungen haben.

Vettel profitierte von einer Änderung im ersten Rennen

Der zweite Kupplungshebel ließ sich in der Vergangenheit dazu nutzen, Einstellungen zu speichern, wie viel Kraft die Kupplung in dem Moment, in dem die Start- ampel erlosch, an die Hinterräder schickte. Damit fuhren die Autos meistens los, als würden sie alle vom gleichen Marionettenspieler an Schnüren beschleunigt. Dabei ist ein Durcheinander auf den ersten Metern eine der besten Gelegenheiten, um ein aufregendes Rennen zu bekommen.

Das erste Rennen 2016 lieferte dafür einen guten Beleg. Weil Lewis Hamilton vom besten Startplatz aus schlecht loskam und sein Teamkollege Nico Rosberg neben ihm ebenfalls mäßig startete, konnte Sebastian Vettel zwischen den beiden hindurch stürmen und das Rennen über viele Runden offen gestalten, bevor ihn die beiden Mercedes-Fahrer abfingen. Wie es zu dem Coup gekommen war, konnte oder wollte unmittelbar nach dem Grand Prix niemand richtig erklären. Hamilton war sich sicher, dass es nicht an seiner Reaktionszeit gelegen hatte, dass Vettel ihn überrumpeln konnte. Sein Erklärungsansatz: "Meine Räder haben einfach zu stark durchgedreht." Vettel war das recht. Dass die neuen Kupplungsvorschriften aber die ganze Saison beleben - das glaubt er nicht. "Das lässt sich üben", weiß Vettel. Seine Prognose: Nach wenigen Rennen wird es mit den Startschwierigkeiten wieder vorbei sein.

Großer Preis von Bahrain: Arbeitsgerät des Weltmeisters: Das Lenkrad von Lewis Hamilton. Der Titelverteidiger erwischte beim Saisonauftakt einen schlechten Start, der ihn um alle Siegchancen brachte. An diesem Wochenende will er es in Bahrain besser machen.

Arbeitsgerät des Weltmeisters: Das Lenkrad von Lewis Hamilton. Der Titelverteidiger erwischte beim Saisonauftakt einen schlechten Start, der ihn um alle Siegchancen brachte. An diesem Wochenende will er es in Bahrain besser machen.

(Foto: Mercedes/OH)
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