Griechenland:Ottos Ökonomie

Rehhagel als griechischer Held gefeiert - er will weitermachen, bis er 71 ist

Athen - Alter spielt in Athen nun wirklich keine Rolle. Wo die Akropolis in ihr viertes Jahrtausend geht, was sind da schon die bescheidenen 65 Jahre des Fußballlehrers Otto Rehhagel? Der steht weiter engagiert im Berufsleben; gerade hat sich sein Vertrag um neun Monate verlängert. Und seinen Arbeitseifer im Stadion von Panathinaikos bremst auch nicht, dass längst das Flutlicht erloschen ist. Nach einem letzten Fernsehinterview steht er auf dem Spielfeld und telefoniert, während Ehefrau Beate und seine beiden Spezis aus Kaiserslauterer Zeiten, Robert Wieschemann und Gerhard Herzog, im Dunkel der schmucklosen Sportstätte warten.

Die Besucher aus der Heimat durften erleben, wie der griechische Nationaltrainer südländisch gefeiert wurde. Erst holte Rehhagel bei jeder Unterbrechung Spieler zu sich und wies sie mit Hilfe von Assistenztrainer und Übersetzer Joannis Topalidis an, dann schickte er sie in der Schlussphase der Begegnung mit Nordirland wild gestikulierend nach vorne. Mit Pressing am gegnerischen Strafraum brachten die Griechen ihren 1:0-Sieg über die Zeit. Griechenland qualifizierte sich für die Europameisterschaft, Rehhagel umhalste Verbandschef Vassilis Gagatsis ("Mein Präsident") und spurtete dann aufs Feld. Jeden Spieler nahm er sich zur Brust und erwies, die rechte Hand in die laue Nacht gereckt, auch dem Publikum seine Reverenz. Das dankte überschwänglich und skandierte, intoniert vom Stadionsprecher, fast eine Minute lang ein dunkles "Otto Rächakel".

Nach je drei Meisterschaften und Pokalsiegen sowie dem Europacupgewinn ein weiterer Triumph für den Essener, über den die griechischen Zeitungen schreiben, er wohne "bei Schalke". Als er vor zwei Jahren hier antrat, träumten sie von Platz zwei in der Gruppe und der Chance der Relegation, jetzt haben sie sogar Spanien hinter sich gelassen. "Individuell sind die Griechen sehr stark", lobt Rehhagel. "Ich habe ihnen nur das ökonomische Spiel beigebracht."

Das klappte nicht sofort, nach den ersten beiden Qualifikationsspielen (jeweils 0:2 gegen Spanien und in der Ukraine), stand der Deutsche in der Kritik: Schlagzeilen wie "Ottos Verbrechen" und "Auf Wiedersehen, du Supertrainer!" zeugten von sehr angespannter Stimmung. Die aber ist ins Gegenteil umgeschlagen, seit Rehhagel seine hinlänglich bekannten Ideale durchsetzen konnte. In der Verteidigung habe er von der Vierer- auf eine Dreierkette umgestellt, erklärt er und bringt dann seine traditionelle Lieblingsvokabel ein: "Hier sind früher alle immer voll ins Messer gelaufen. Wir wollen, wie ich schon in Deutschland immer gesagt habe, kontrollierte Offensive."

Die Kontrolle ist lückenlos, sechs Mal nacheinander hat Griechenland zu Null gewonnen. Auch gegen die Nordiren, die in 1242 Qualifikationsminuten nicht ein Tor zustande brachten, hatte Sicherheit Priorität. Den Bremer Angreifer Angelos Charisteas wechselte Rehhagel zur Pause aus, weil er verwarnt und damit in seinen Defensivbemühungen behindert war. Angetrieben von Panathinaikos-Star Giorgos Seitaridis spielten die Griechen klar überlegen, der eher bewegungsfaule Routinier Vassilius Tsartas von AEK Athen traf nach 68 Minuten per Strafstoß, für die vorangegangene Notbremse an Vryzas flog der Ire Mc Cartney vom Feld. Nach noch einer Schrecksekunde nach einem Fehler von Dellas verschafften sich die Griechen 307 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele für den nächsten Sommer einen weiteren sportlichen Höhepunkt.

Auf dem Weg dahin hat Rehhagel außer der neuen Taktik auch andere Korrekturen vorgenommen. Er setzte den Bau eines Trainingszentrums für die Nationalmannschaft durch, die traditionell stark im Schatten der Vereine steht, und speckte den Begleittross ab; insbesondere die Frauen der Funktionäre gliederte er aus. Auch Ehefrau Beate logiert stets in einem anderen Hotel. Der deutsche Trainer hat ein paar Regeln eingeführt, die diesem Land fremd sind, und damit augenscheinlich etwas bewegt: "Wie die Südländer so sind, nehmen sie es mit der Pünktlichkeit nicht so genau und trinken schon mal nachts um eins einen Espresso. Das habe ich abgestellt." Offenbar findet er im Umgang mit den Spielern den richtigen Ton, obwohl er nicht einmal ihre Sprache spricht. Doch Assistent Topalidis übersetzt so gut, dass Joannis Amanatidis vom VfB Stuttgart sagt: "Der redet wie der echte Rehhagel, nur auf Griechisch."

Der Mann im Rentenalter ist noch lange nicht müde. Es ist fast 23 Uhr am Ende einer harten Arbeitswoche, da formuliert Otto Rehhagel noch ein weiteres Ziel: "Ich will arbeiten, bis ich 71 bin. So lange man fit ist und gebraucht wird, sollte man das tun. Ich kann nicht verstehen, dass jemand mit 58 in den Vorruhestand geht."

Tibor Meingast

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