Grand Prix von Spanien:Wie Verstappen die Formel 1 durcheinander wirbelt

Grand Prix von Spanien: Nicht selten am Tatort, wenn zwei Rennfahrer gleichzeitig aus ihren Autos klettern: Max Verstappen (links, mit Kimi Räikkönen in Singapur).

Nicht selten am Tatort, wenn zwei Rennfahrer gleichzeitig aus ihren Autos klettern: Max Verstappen (links, mit Kimi Räikkönen in Singapur).

(Foto: Mohd Rasfan/AFP)

Max Verstappen gilt als eines der größten Talente der F1-Geschichte. Doch auch in seiner vierten Saison fährt er nicht um den Titel, sondern steht anderen im Weg - und sich selbst.

Von Anna Dreher, Barcelona

Seine Erinnerungen an diese 4,655 Kilometer sind eigentlich gut. Der Circuit de Catalunya wird immer ein besonderer Ort für Max Verstappen bleiben. Dort hat er 2016 mit 18 Jahren und 228 Tagen als mit Abstand jüngster Fahrer sein erstes Rennen in der Formel 1 gewonnen, direkt nach seiner Beförderung vom Talentrennstall Toro Rosso zu Red Bull Racing. Danach wurde er als Phänomen gefeiert. Aber wie viel Wert hat der Blick in die Vergangenheit für einen, der so gerne die Zukunft seiner Sportart prägen will? Verstappen gilt als das größte Talent im aktuellen Fahrerfeld und als eines der größten in der Geschichte der Formel 1. Für ihn zählt besonders, was wird, und nicht so sehr, was war, auch wenn das zusammen hängt. Aber Zurückschauen liegt dem Rennfahrer Verstappen nicht.

Vor dem Grand Prix von Spanien (Sonntag, 15.10 Uhr/Liveticker SZ.de) sitzt Verstappen im zweiten Stock des großen Motorhome seines Arbeitgebers auf einem Barhocker. Der Holztisch vor ihm ist voller Diktiergeräte und Smartphones. Ein paar Minuten vorher hatte dort sein Teamkollege Daniel Ricciardo gesessen und im Gespräch mit Journalisten entspannt gelacht, wie es der Australier im Grunde immer tut. Verstappens Lächeln ist eher angespannt beim Versuch, entspannt zu wirken. Er muss über die jüngere Vergangenheit reden.

"Ich werde versuchen, dass so etwas nicht wieder passiert", sagt der Niederländer, angesprochen auf die Kollision mit Ricciardo in Aserbaidschan vor zwei Wochen, für die überwiegend er verantwortlich gemacht wird: "Ich habe gute Leute um mich herum, die mir Rat geben. Aber egal, wie viele mir etwas sagen, ich bin es, der Entscheidungen treffen muss - auf und neben der Strecke." Um diese Entscheidungen geht es gerade bei Verstappen.

Er fährt jetzt seine vierte Saison in der Königsklasse des Motorsports. Zu diesem Zeitpunkt ähnlich hoch gehandelte Fahrer wie der Heppenheimer Sebastian Vettel und der Brite Lewis Hamilton waren da schon Weltmeister. Inzwischen haben beide vier Titel und führen in dieser Saison die Wertung an. Verstappen hat ein Auto, das technisch durchaus im Stande ist, in das Duell zwischen Ferrari und Mercedes einzugreifen, die Fähigkeiten hat er auch. Es könnte sein Jahr werden. Doch er fällt bislang nur auf, wenn er anderen und dadurch auch sich selbst im Weg steht.

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"Und dann sah ich das Streckenlayout und dachte mir: Ähh...?! Ich kenne Miami ziemlich gut. Es gibt einige bessere Orte, an denen man die Strecke platzieren könnte."

Beim Saisonstart in Melbourne kostete ihn ein Dreher ein besseres Ergebnis als Platz sechs, in Bahrain schlitzte Verstappen seinen linken Hinterreifen bei einem Überholversuch am Wagen von Hamilton auf und fiel daraufhin in der dritten Runde aus. In Shanghai kollidierte er mit Vettel und vor zwei Wochen in Baku mit Ricciardo im Kampf um Platz vier. Das sind viele verschenkte Punkte. Red Bull Racing hat bisher keine Hierarchie seiner Fahrer vorgegeben, erwägt nun aber eine Stallorder: Die Renningenieure sollen eingreifen, wenn sie merken, dass das Duell der beiden wieder ausufern und dem Team schaden könnte. Beide mussten sich vor der gesamten Mannschaft entschuldigen.

Verstappen sorgt seit seinem Start in der Formel 1 für Turbulenzen, in dieser Saison besonders. Im Moment stellen sich viele im Rennzirkus nicht mehr die Frage, wann der junge Provokateur wohl Weltmeister wird, sondern, ob sich da einer gerade die Karriere kaputt fährt.

Für seine aggressive, freche und dabei auch grenzwertige, weil teils rücksichtslose Fahrweise wird der 20-Jährige von vielen gefeiert. Von Anfang an hatte er den Spitznamen "Mad Max", drei Grand Prix konnte er bisher gewinnen. Die Fans freuen sich, dass da einer endlich wieder mal richtig Wirbel macht. Im vergangenen Jahr wurde er von den Fans so oft zum "Mann des Tages" gewählt wie kein anderer.

Nach seiner Debütsaison wurde er vom Automobil-Weltverband Fia nicht nur als bester Nachwuchsfahrer, sondern auch als "Persönlichkeit des Jahres" ausgezeichnet. Ein Jahr später setzte Verstappen 78 Mal erfolgreich zum Überholen an, ein neuer Rekord in dieser seit den Achtzigerjahren erfassten Statistik. Dabei ist egal, wer vor ihm im Auto sitzt - wenn er eine Lücke sieht, nutzt er sie. "Max ist fantastisch. Er geht Risiken ein, er geht an die Grenze", sagte der frühere Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, 87, und: "Wir bräuchten ein halbes Dutzend von dieser Sorte."

Verstappen wurde früh mit den Legenden Michael Schumacher und Ayrton Senna verglichen, die sich am Anfang auf ähnliche Weise einen Namen machten - aber eben im entscheidenden Moment ihre Fahrweise gut zu kontrollieren wussten. Dieser Sprung ist Verstappen bisher noch nicht gelungen, sein Stil wird inzwischen vor allem mit harscher Kritik bedacht. Wie sich die Meinung über ihn verändert hat, zeigt auch das Beispiel des dreimaligen Formel-1-Weltmeisters und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden des Mercedes-Rennstalls, Niki Lauda, ganz gut.

"Vernunft scheint sich bei ihm nicht einzustellen"

Der bezeichnete Verstappen einst als Jahrhunderttalent, das alles mitbekommen habe, was man brauche, um in diesem Sport richtig erfolgreich zu sein. Dann aber sagte er Sätze wie den, dass Verstappen in die Psychiatrie gehöre, und zuletzt: "Vernunft scheint sich bei diesem Menschen nicht einzustellen. Normalerweise wächst man an seinen Fehlern. Max aber wird nur kleiner. Er lernt nicht dazu. Das scheint mir auch eine Intelligenzfrage zu sein."

Der sonst so schweigsame Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen soll einst vor seinen Kollegen eine Anklagerede gehalten haben, weil Verstappen sich auch um die ungeschriebenen Gesetze der Formel 1 nicht sonderlich schert. 2017 kollidierten die beiden - in Barcelona. Selbst Verstappens Vater Jos, einst selbst Formel-1-Fahrer, kritisierte ihn nach dem ungestümen Unfall mit Vettel in China. "Max muss in gewissen Situationen mehr nachdenken. Ich bin nicht wütend, eher enttäuscht. Letztlich leidet er selber am meisten."

Es ist nicht so, dass Max Verstappen uneinsichtig wäre. Nach dem Crash mit Vettel suchte er das Gespräch und entschuldigte sich: "Ehrlich gesagt, das war ziemlich scheiße. Ich bin sauer auf mich selbst." Verstappen sagt aber auch regelmäßig: "Andere können mir nicht sagen, wie ich fahren soll." Er werde nicht weniger aggressiv sein, nur die Situation besser beurteilen. Racing sei nun mal so, vorsichtiger fahren mache schließlich langsamer. Also: "Warum sollte ich etwas ändern?"

Seine Karriere war von Beginn an durchgeplant, anders geht es im kostspieligen Motorsport nicht mehr. Entscheidend für Verstappen war sein Vater, selbst ein eher mittelmäßiger Fahrer, der vor allem als Teamkollege von Rekordweltmeister Schumacher in Erinnerung blieb. Sein Sohn sollte besser sein - und wurde es, wenn auch durch teils umstrittene Erziehungsmethoden.

Einmal, erzählte Max Verstappen, hatte er keine richtige Lust. Sein Vater holte ihn an die Boxengasse und schlug ihm mit voller Wucht auf den Helm: "Jeder im Fahrerlager hat das mitbekommen." Danach gewann er das Kart-Rennen und bis 2013 in diesem Sport alles, was zu gewinnen war, als Krönung Welt- und Europameistertitel. 2015 wechselte er schließlich in die Formel 1 als mit 17 Jahren jüngster Fahrer in der Geschichte. Er war sehr früh sehr schnell.

Sebastian Vettel war 23 Jahre alt, als er 2010 Weltmeister wurde. Um auch diesen Rekord zu brechen, müsste Verstappen innerhalb der nächsten drei Jahre die WM gewinnen. Vor dem Auftaktrennen in die diesjährige Europa-Saison hat er als Achter mit 18 Zählern 52 Punkte Rückstand auf den Führenden Lewis Hamilton. Barcelona, sagt er, "könnte ein ganz entscheidender Moment für die Saison sein. Ich bin gespannt, wie jeder auftreten wird." Gespannt sind vor allem die anderen.

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