Grand Prix in Silverstone:Der Formel 1 droht der Brexit

British Grand Prix 2017

S.O.S. - "Rettet unser Silverstone": Der Protest der Fans manifestiert sich auch auf Betttüchern; digital lautet der Hashtag "#F1belongshere".

(Foto: Andrew Boyers/Reuters)
  • Großbritannien hat 1950 die Formel 1 erfunden und dominiert sie bis heute.
  • Doch es steht es nicht gut um den eigenen Grand Prix, jedenfalls nicht auf dem Silverstone Circuit: Die Veranstalter wollen vorzeitig raus aus ihrem Vertrag.
  • Trotz des hohen Zuschauerinteresses hat der Verein 2015 einen Verlust von 2,8 Millionen Pfund gemacht und im vergangenen Jahr sogar einen von 4,8 Millionen Pfund.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Wer die britische Motorsportseele verstehen will, der muss nach Mittelengland kommen. Die Piste, ein alter Weltkriegsflugplatz, liegt zwischen Wäldern, in denen Robin Hood gelebt haben soll und Dörfern, in denen Inspector Barnaby ermittelt. Zum echten britischen Sommer gehören die Gummistiefel, erst wer vier Jahreszeiten an einem Nachmittag erlebt hat, kennt das volle Grand-Prix-Erlebnis. Direkt über der Einfahrt zur Rennstrecke von Silverstone künden große Lettern vom heiligen Gral: Home of British Motor Racing.

Jeder Buchstabe ist eigentlich ein Ausrufezeichen, vom Stolz jener Nation zeugend, die 1950 die Formel 1 erfunden hat und sie bis heute dominiert. Das eingefügte British ist notgedrungenes Understatement, den Rennsport hatten eigentlich die Franzosen erfunden, schon im vorletzten Jahrhundert. Sei's drum. Der alte Weltkriegsflugplatz, das ist der Nabel der Rennwelt, wie Wembley und Wimbledon an einem Platz. Die Kulisse beim Großen Preis von Großbritannien wird wieder die Marke von 100 000 Besuchern überschreiten. Und trotzdem steht es nicht gut um das Rennen, jedenfalls nicht auf dem Silverstone Circuit: Die Veranstalter wollen vorzeitig raus aus ihrem Vertrag. Ein Brexit auf der Rennstrecke.

Eilig ist der Protest auf Betttücher gepinselt worden: "Rettet unser Silverstone". Digital lautet der flehende Hashtag "#F1belongshere": Die Formel 1 gehört hier her. Der British Racing Drivers Club (BRDC), eine noble Vereinigung von ehemaligen Rennfahrern, hat ausgerechnet diese Woche gewählt, um zu verkünden, dass er sich das Rennen nach 2019 nicht mehr leisten könne, obwohl der Vertrag noch bis 2027 läuft. Trotz des hohen Zuschauerinteresses hat der Verein 2015 einen Verlust von 2,8 Millionen Pfund gemacht und im vergangenen Jahr sogar einen von 4,8 Millionen Pfund, Ähnliches erwartet der Vorsitzende John Grand für dieses Jahr. Deshalb hat er die Option nicht gezogen, und die Entscheidung öffentlich gemacht. Ein Hilferuf.

Der Formel-1-Boss wütet: "Aus Frust andere zu verärgern, hilft der Sache nicht"

Entsprechend groß ist der Aufschrei, aber der neue Formel-1-Boss Chase Carey, der die alten Verträge von Bernie Ecclestone übernommen hat, lässt sich nicht so einfach vorführen. Er ist sauer, dass ihm die Traditionalisten den Aufschwung der neuen Formel 1 vermasseln könnten, ausgerechnet noch auf der Insel: "Aus Frust andere zu verärgern, hilft der Sache sicher nicht." Die Manager der Rennstrecke, die damals den Kontrakt ausgehandelt hatten, sind nicht mehr im Amt. Aber die Antrittsgelder für das Fahrerfeld gelten weiter: Sie begannen mit rabattierten 12 Millionen Pfund im Jahr 2010, in diesem Jahr sollen etwa 17 Millionen fällig werden, bis 2027 steigt die Gebühr auf 27,5 Millionen an. Für Ecclestone waren die BRDC-Herren Amateure in Blazern. Deren Problem sind allerdings eher jener Kredit über 27 Millionen Pfund, der vor sechs Jahren in eine neue Boxenanlage namens The Wing investiert wurde - eine Protzerei, noch dazu am falschen Ende der Strecke gelegen.

Die Veranstalter haben sich mit ihrer Rückzugdrohung in einem Land, in dem 70 Prozent der Rennställe und 80 Prozent der Motorsportindustrie zu Hause sind, nicht nur Freunde gemacht. "Sie haben den Vertrag ausgehandelt, sie wussten, was auf sie zukommt und merken jetzt, dass sie es sich trotz vollem Haus nicht leisten können", sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner, "entweder hätten sie nicht unterschreiben sollen oder ihre Rechnung war schlichtweg falsch. Es wäre ein Schock, wenn wir diesen Grand Prix verlieren." Auch er aber weiß, dass Eigner Liberty Media einige Kompromissvorschläge gemacht hat, im Bemühen, die Historie der Formel 1 zu stärken. "Wir sind sehr stolz auf das britische Erbe", sagt Carey, "wir möchten immer einen WM-Lauf in Großbritannien im Kalender haben." Vielleicht kauft sein Unternehmen sogar die Anlage.

Die Alternative? Ein Rennen mitten in London

Im Poker um die Zukunft des britischen Grand Prix hat Silverstone seit Mitte der Woche schlechtere Karten, seit die neuen Formel-1-Herren mitten in London aktuelle Piloten mit Rennwagen aus verschiedenen Epochen Ehrenrunden um den Trafalgar Square drehen ließen. 19 der 20 Stars waren bei dem Spektakel dabei, und obwohl Lewis Hamilton die PS-Show schwänzte, war das Publikum begeistert. So macht man Image. Londons Bürgermeister Sadiq Khan war sichtlich angetan von dem Spektakel. Sicher ist eine Showeinlage nicht mit einem richtigen Grand Prix zu vergleichen, aber das Vorbild Singapur lockt, wo das Nachtrennen zum Monte Carlo der Moderne geworden ist. "Wir müssten einige Hürden überwinden, aber ich sehe keinen Grund, warum wir zukünftig kein Formel-1-Rennen in London organisieren könnten", sagt Khan, "wenn die Gespräche mit Silverstone kein Ergebnis bringen, können wir reden." Eine Gesetzesänderung im April erleichtert die Durchführung von Autorennen auf öffentlichen Straßen. Damals schon sprach Verkehrsminister Andrew Jones davon, dass London eine "großartige Kulisse" für ein Rennen wäre. Die Frage ist wohl nur, wie hoch die City-Maut für die Formel 1 wäre.

Die Piloten würden allerdings am liebsten in Silverstone bleiben, die neue Rennwagengeneration sorgt für bis zu drei Sekunden schnellere Rundenzeiten. "Mit diesen Autos ist die Strecke absolut unglaublich", schwärmt Lewis Hamilton, "es war ohnehin schon eine der besten Strecken der Welt, aber mit diesem Auto und diesen Kurvengeschwindigkeiten ist es einfach phänomenal. Die beste Achterbahnfahrt überhaupt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: