Golfprofi Martin Kaymer:Hilferuf aus dem Seehaus

U.S. Open - Round One

Golfprofi möchte man sein - oder doch nicht? Martin Kaymer hat Bemerkenswertes zu berichten. 

(Foto: AFP)

Deutschlands bester Golfer erstaunt in München mit einem bemerkenswerten Auftritt: Martin Kaymer lädt zu einer Pressekonferenz, auf der er schonungslos über die Schwierigkeiten seines Lebens als Profi spricht.

Von Gerald Kleffmann

Um elf Uhr tritt Dirk Schimmel vor die zwei Dutzend Journalisten. Er bittet zunächst die Fotografen, nach unten zu kommen, Martin Kaymer warte am Kleinhesseloher See im Englischen Garten. Fünf Minuten später taucht der Tross wieder auf, oben, in dem von Kaymer angemieteten Konferenzsaal des schicken Münchner Restaurants Seehaus. Kaymer setzt sich. Schnauft durch. Sein Medienberater setzt sich schräg hinter ihn. Es wirkt ein wenig, als passe er auf ihn auf.

"So viele Leute hier", Kaymer schaut sich nervös um. "Warum sind wir hier?"

Gute Eröffnungsfrage. Martin Kaymer, 28, aus Mettmann ist Golfprofi und Markenbotschafter eines Autokonzerns. Der beste deutsche Golfer ist nach München gekommen, um wie jedes Jahr an der BMW International Open im GC Eichenried teilzunehmen, die diesen Donnerstag beginnt. Normalerweise wird er, das deutsche Gesicht dieses Sports, von PR- zu PR-Termin gereicht. Aber dies hier ist sein eigener.

"Das ist neu für mich", beginnt er zaghaft, neben ihm liegt ein Papier mit Stichworten. Kaymer, der 2010 ein Major gewann, der 2011 die Nummer eins der Welt war, der 2012 den für Europa siegbringenden Putt im Ryder Cup gegen die USA lochte - er ist vorbereitet. Er ist hier, um sich, wie man bald vernehmen wird, Ballast von der Seele zu reden. Bleischweren Ballast.

Kaymer sendet einen Hilferuf aus.

Der Rheinländer startet seinen Monolog mit einem Streifzug durch die vergangenen zwölf Monate. Er nennt es "einen kleinen Rückblick". Früh fängt er an, sich zu geißeln. Er schildert, wie er von oben abrutschte; zurzeit ist er die Nummer 35 in der Welt. Das ist immer noch gut. Aber Kaymer ist kein Siegspieler mehr. So sieht er sich. Eindrucksvoll schildert er, wie er vor einem Jahr loszog, wie er von Turnier zu Turnier immer unzufriedener mit seinem Spiel und den Ergebnissen wurde - und zu grübeln begann: "Wie komme ich aus diesem Tief?" Er hat dann "getan und gemacht", sagt er im rheinischen Singsang. Einmal rutscht ihm raus: "Da hatte ich die Kacke am Schläger." Er schont sich nicht.

Selbst der "schönste Moment meiner Karriere", als er beim Ryder Cup auftrumpfte, half ihm nicht. Er hatte sich knapp qualifiziert. "Das war ein komisches Gefühl. Ich war zum ersten Mal das schwache Glied." Umso mehr schöpfte er eine "Riesenmotivation" aus seinem Putt, dessen Bild um die Welt ging. Doch rasch zeigte sich: nur ein kurzes Hoch. Bei einem Turnier in Portugal folgt der Tiefpunkt. "Am neunten Loch, das hatte ich nie erlebt, wollte ich nach Hause fliegen." Er fragte sich erschrocken: "Wieso war ich so down?" Vielleicht auch wegen der ersten Schlagzeilen, die nicht mehr so jubelnd waren. Kaymer in der Krise! In der Schwungkrise! "Diesen ganzen Quatsch", sagt Kaymer dazu.

Bis hierhin ist es eine Erzählung, die von einem Sportler handelt, der um die Früchte seiner Arbeit kämpft. Als er Ende 2012 ein Einladungsturnier in Südafrika gewann, schien die Talsohle durchschritten zu sein. Ein Irrglaube.

Kaymer wird jetzt sehr persönlich. Erstaunlich persönlich. Von nun an kämpft er im Seehaus darum, dass ihn die Öffentlichkeit richtig beurteilen möge. "Es ist nicht so einfach, wenn du vier, fünf Monate auf einem anderen Kontinent lebst und alleine bist", sagt er. Sein zweites Zuhause ist Scottsdale, Arizona. Seit er auch fest auf der US Tour spielt, ist er oft in Amerika. Das macht ihm offenkundig zu schaffen. "Weihnachten zu Hause wäre mal schön", sagt er. Er meint Düsseldorf. Und: "Wenn du zwei, drei Wochen in Amerika spielst, ist es immer irgendwie das selbe." Auch fehlten ihm "tiefe Unterhaltungen". Er sagt: "Als Europäer ist es schwierig, sich so wohl zu fühlen, wie ich es in Europa erlebt habe." Nein, sein Leben sei nicht schlecht, wiegelt er ab - doch er klingt, als wäre da jemand höllenunglücklich und ausgebrannt. Als vermeintlich ewig funktionierender Golf-Botschafter von Germany.

"Aufhören? Auf keinen Fall"

Begeistert wie ein Kind erzählt Kaymer dann von Dingen, die er in den USA vermisst, winzigen Erfolgserlebnissen, etwa, wie gut es tut, wenn man selbst Wäsche wäscht und diese wohlriechend duftet. In München sei er an Feldern vorbei gefahren, auf denen Erdbeeren gepflückt werden. "Das hört sich komisch an, aber solche Dinge gibt es in den USA kaum, die vermisse ich." Die Talsohle dieser Beichte scheint nun durchschritten zu sein - ehe eine Frage auftaucht, die bei einen 28- jährigen Profi erstaunen muss: "Gab oder gibt es Überlegungen, mit Golf aufzuhören?"

Vielleicht dämmert es Kaymer in dieser Sekunde, dass seine Gedanken bis hierhin sehr düster klangen. Wie aufgeschreckt antwortet er: "Ob ich aufhöre? Auf gar keinen Fall. Ich liebe Golf." Es ist das erste Mal nach nun 40 Minuten, dass er etwas wirklich Nettes über sich und seinen Beruf sagt.

In diesem Moment ist klar, dass Martin Kaymers Auftritt mehr Hilfeschrei denn Beichte ist. Seine Zuhörer reagieren sofort darauf, und so entwickelt sich ein höchst eigenwilliges Frage-und Antwortspiel. Wer ihm denn helfe? "Es war für mich wichtig, die Gruppe um mich so klein wie möglich zu halten, um mich wohl zu fühlen." Er erwähnt Bruder, Vater, Manager, Medienberater. Bis auf Vater Horst sind alle in diesem Raum. Ob er Hilfe brauche, von einem Mentalcoach? "Das brauche ich nicht, ich will mich nicht auf die Couch setzen. Wenn man sich selbst vertraut, dann braucht man keine Hilfe." Mit einem Mentalcoach, fügt er noch hinzu, werde man "so tief reingezogen, dass man sich nur noch Gedanken macht". Genau so wirkt er jetzt allerdings: Wie ein feinsinniger, intelligenter, junger Mann, der sich plötzlich elementare Fragen zum Leben stellt. Nach dem Sinn.

Heimweh ist sicher kein Gefühl, für das man sich schämen muss, und so trägt Kaymer alles auch mit ziemlich klarer Stimme vor. "Es sind die Kleinigkeiten, die man vermisst", sagt er. Die Sitzung ist nach 55 Minuten immer noch nicht beendet. "Viele denken, dass du ein unfassbar schönes Leben hast. Es ist aber nicht alles Sonnenschein." Er würde Fußballer wie Neuer oder Schweinsteiger beneiden, "die können wenigstens immer zu Hause schlafen". Ja, und nun? "Ich muss meinem Körper und meinem Herz folgen", antwortet er. Auch 2014 wolle er auf der US Tour spielen, aber er wolle den Kalender umstellen und "nicht mehr so lange am Stück in den USA bleiben". Sobald der Erfolg komme, werde er lockerer, bestimmt. Nur: Der Glaube "fehlt noch ein bisschen". Aufhören würde er, wenn er 130. der Welt wäre, sagt Martin Kaymer, und seine letzten Worte wiederholt er, bis sie wie ein Gebet klingen: "Es muss funktionieren. Es muss funktionieren. Es wird funktionieren. Es gibt keine Wahl."

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