golf spielen:More Bang for the Buck

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Amerikanische Golfspieler sind gewöhnungsbedürftig. Ein Erfahrungsbericht von Jürgen Kalwa

Kurz bevor an einem normalen Frühjahrsmorgen im Süden Floridas die Sonne aufgeht, ist die Luft noch angenehm kühl. Tau liegt auf dem Gras. Und der schwache Wind flattert ziellos über die Mangrovensümpfe hinweg und zwischen den großen alten Palmen hindurch, die sich im Licht der Dämmerung auf dem Crandon Golf Course in Key Biscayne von dem subtropischen Grün abheben. Der Platz vor den Toren von Miami gehört zu den besten und schwierigsten in der Gegend, weshalb hier schon seit Jahren die Champions Tour der amerikanischen PGASenioren Station macht. Aber da sich die Anlage in öffentlichem Besitz befindet, kann hier jeder spielen. Keiner fragt nach Handicap oder Club-Mitgliedschaft. Einzige Voraussetzung: das Entrichten von 80 Dollar Greenfee. Die meisten würden gerne in dieser frühen Stunde abschlagen, wenn die Bahnen leer sind und die gepflegten Grüns jungfräulich von der nächtlichen Mahd. Aber die Gelegenheit dazu haben jeden Tag nur ganze vier Spieler. Weshalb die Freude umso größer ist, wenn man am Tag zuvor anruft und als einzelner, als Walk-on, in die erste Gruppe eingereiht wird.

(Foto: Foto: AP)

Amerikaner sind gesellige Menschen und finden zufällige Gruppenbildungen eher unterhaltsam. Als Zufallspartner beim Golf sind sie allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig. Wie etwa jener Zahnarzt aus New York. Der ging am ersten Loch auf dem Crandon Golf Course zielstrebig zum hintersten, dem Profi-Abschlag, und beförderte drei Bälle hintereinander in den halbdunklen Himmel. Er hatte keine Ahnung, wo die Bälle landeten. Das einzige, was er und alle anderen in der Gruppe erkennen konnten, war die Tatsache, dass sie keine 140 Meter weit flogen. Doch er stieg mit unbekümmertem Gesicht in den Golfwagen und formulierte mit lächelnder Miene seine persönliche Golf-Philosophie: "This way I get more bang for the buck." Auf Deutsch: Unser Wegbegleiter hatte überhaupt kein Problem, für seine 80 Dollar das ganze Prinzip Golf auf den Kopf zu stellen. In seiner Buchführung galt: Je mehr Schläge desto besser.

Es wurde eine schleppende Runde

Auch ein amerikanischer Golfer - wenn auch nicht der gewöhnliche: Präsident George W. Bush (Foto: Foto: AP)

Nach drei Bahnen war jede Aussicht auf einen angenehmen Ausflug geschwunden. Von hinten drückte der nächste Flight. Ich plädierte dafür, schneller zu putten und hob meinen Ball auf, um die Sache zu beschleunigen. Doch damit wirkte ich nur wie ein Spielverderber. Zumal sich ein weiteres Mitglied unseres Flights als regelrechter Callaway-Idiot entpuppte. Er war komplett von Kopf bis Fuß und bis tief in die Schlägertasche durchgestylt, fragte aber bei komplizierten Lagen jedes Mal nach den Regeln zu dem Problem. Es wurde eine schleppende Runde.

Männer wie diese gibt es unter den insgesamt rund 28 Millionen aktiven Golfern in den USA zuhauf. Der Grund: 21 Millionen von ihnen gehören keinem Club an. Sie kennen denn auch weder das gesamte Regelwerk noch den gesellschaftlichen Druck, weder die traditionelle Turnierkultur noch den Einfluss eines Pro, also jene Faktoren, die dafür sorgen, dass Golf in seinem traditionellen Rahmen abläuft.

Der ungezwungenere Umgang mit dem Spiel hat durchaus seine positiven Seiten. Was den Clubfreien an Regelkenntnis und Etikette fehlt (sie reden oft auch dann, wenn jemand schlägt oder sich auf seinen Putt konzentriert), ersetzen sie durch positives Denken und aufmunternde Kommentare ("great putt"). Besonders schwächere und übertrieben verunsicherte Golfer profitieren von einer solchen Atmosphäre, in der der Spaß an der Runde wichtiger ist als die exakt gemessene Leistung. Und selbst die läuft durch keinen Extrafilter. In Amerika gibt man seinen Score nach jeder gespielten Runde selber in den Handicap- Computer ein und nicht nur nach einem Turnier. Niemand begegnet dem Rechnungswesen mit jener Skepsis, Strenge und Bedeutung wie im deutschsprachigen Teil Europas.

Fünf Stunden pro Runde sind keine Seltenheit

Doch diese Lockerheit und Entspanntheit ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere: Auf zehntausenden von Golfplätzen überall im Land herrscht jeden Tag ein lähmender Verkehrsstau. Fünf Stunden pro Runde sind keine Seltenheit. Manchmal dauert es noch länger. Andere Unannehmlichkeiten kommen hinzu. Eine Umfrage des zweitgrößten Fachblatts "Golf Magazine" stellte vor ein paar Jahren die Hitparade der Beschwerden zusammen: 79 Prozent klagten über langsames Spiel, 62 Prozent über die mangelnde Bereitschaft, Pitchmarks auf dem Grün auszubessern. 35 Prozent monierten, dass Spieler nur selten den Sand im Bunker harken, während 20 Prozent den generellen Mangel an Regelkenntnis kritisierten und die Unsitte so genannter Mulligans.

Nur wenige erkennen, dass es weitere Fehler gibt. Und die stecken im System. So führt der Einsatz der Carts auf Plätzen, die im Acht-Minuten-Takt abschlagen lassen, nicht etwa zur Beschleunigung des Ablaufs, sondern zur Verlangsamung. Statt dass jeder Spieler zu seinem eigenen Ball geht, fährt man zu zweit im Zickzack über die Fairways und in langen Schleifen rund um die Grüns und hat oft nicht den richtigen Schläger in der Hand, wenn der Wagen weit weg auf dem Betonweg parkt. Fachblätter, die im Namen ihrer Leser um Abhilfe ersuchen, propagieren statt dessen lieber das Konzept von "ready golf" (auch schon mal außerhalb der üblichen Reihenfolge schlagen und putten) und sticheln gegen solche Unsitten wie das akribische Lesen von Puttlinien. An die Golfplatz-Betreiber ergeht immer wieder das Plädoyer, die Fairways breiter zu mähen und die Grüns langsamer zu machen und dort, wo alles nichts hilft, so genannte Marshals einzusetzen, die den daddelnden Spielern mit Nachdruck Beine machen und sie notfalls nach einer Verwarnung vom Gelände verweisen. Ein solcher Fall machte neulich in Fort Lauderdale im Bundesstaat Florida Schlagzeilen, als das Platzverbot für ein Ehepaar vom Stadtrat verhandelt und als vertretbar beschieden wurde.

Bequemer geht's nicht

Das Dilemma hat bereits den einen oder anderen auf die Idee gebracht, einen Golfführerschein nach deutscher Sitte zu entwickeln. Aber niemand rechnet damit, dass es tatsächlich so weit kommt. Zumal der normale, merkantil eingestimmte Amerikaner das Gefühl hat, dass sein Obulus mit dem Entrichten des Greenfees bereits bestritten ist. Am ehesten werden sich Lösungen durchsetzen, wie sie bereits im Golf-Mekka Palm Springs in Kalifornien üblich sind. Dort hat man in den Carts Bildschirme mit GPS Antennen eingebaut, die den Spielern nützliche Angaben über die Distanzen geben und ihnen nach jedem Loch vorrechnen, ob sie in der vorgegebenen Zeit sind. Die Satellitentechnologie aus 20.000 Kilometern Höhe wirkt psychologische Wunder. Denn erstens ist fast jeder Amerikaner ein Computerfan, zweitens kann sich niemand mehr damit herausreden, er wisse nicht, was die Uhr geschlagen hat. Und drittens kann man mit Hilfe des Apparates vom neunten Fairway aus für die kleine Pause unterwegs seinen Hotdog vorbestellen. Bequemer geht's nicht. Kosten für den Club: 60.000 Dollar pro Jahr für die Gerätemiete.

Eine solch teure, durchtechnisierte Zukunft findet jede Menge positive Resonanz. Die Kritiker? "Das sind die gleichen", sagt Nate Yoder vom Golf-Computer-Hersteller Par- View in Florida, "die jahrelang mit denselben Schlägern spielen." Also diejenigen, die wenig Verständnis dafür haben, dass in den USA eine Allianz der Equipmenthersteller und Immobilienfirmen mit ihren durchgeplanten Villenanlagen den Spirit des alten schottischen Spiels umdefinieren - und zwar auf dem Altar des Mammons. Deshalb muten jene Gedanken, die der Mann zum besten gab, der mir an einem nebligen Tag auf dem hügeligen und anspruchsvollen Presidio-Platz in San Francisco zugeteilt wurde, wie reine Nostalgie: "Die ganze Technik entfremdet uns nur von dem, weshalb wir überhaupt Golf spielen. Golf ist eine spirituelle Sache. Und es ist auch so schon schwer genug."

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