Golf:Der Eulen-Drop ist das geringste Problem

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Regenschirm, bitte! Auch der Spanier Sergio Garcia machte am Freitag die Erfahrung: Es herrscht nicht immer gutes Golfwetter in Rio. (Foto: Carlson/AP)

Bei ihrer Premiere nach 112 Jahren spielen die Profis fast schon wieder auf Bewährung.

Von Boris Herrmann

Aus sportlicher Sicht sind die Eulen eine Herausforderung. Es handelt sich um bodenbrütende Eulen, die Brasilianer sagen Corujas. Zwei von ihnen leben an Loch 9. Mindestens eine weitere wurde unweit von Loch 18 gesichtet. Die Teilnehmer des ersten olympischen Golfwettbewerbs seit 112 Jahren wurden angehalten, nach Möglichkeit "um die Eulen herum" zu spielen. Das wäre natürlich das Unkomplizierteste. Falls aber doch mal ein Ball in einer der von Carujas geschaffenen Höhlen landen sollte, so haben die Organisatoren mit dem "Eulen-Drop" entsprechende Vorkehrungen getroffen. Die Spieler dürfen ihren Ball straffrei aus dem Heim der Tiere holen, kurz säubern und aus verbesserter Position weitermachen. Der Amerikaner Robert Condron von der Wettbewerbsleitung nennt das eine "ground rule".

Fast alle Golfplätze der Welt haben solche an ihre natürliche Umgebung angepassten Regeln. In der Tropenstadt Rio spielt diese Umgebung bloß eine besonders dominante Rolle. Auch Dreifinger-Faultiere, Wasserschweine, Kaimane sowie zwei Arten von Giftschlangen leben ja auf dem Gelände der neuen Olympia-Anlage. Condron mag Golfer und Tiere. Er weiß, dass aus Eulensicht auch der Sport eine Herausforderung darstellt.

"Hier leben Wasserschweine, Kaimane und andere Wildtiere. Sie sind gesetzlich geschützt. Bitte helfen Sie, sie zu schützen." Schilder mit dieser Aufschrift stehen überall zwischen den Löchern und Spielbahnen, selbst vor kleinsten Sträuchern und kümmerlichsten Büschen. Das ist bestimmt gut gemeint. Aber natürlich ist es auch ein bisschen zynisch, wenn man bedenkt, dass für den Bau dieses Golfplatzes eines der letzten zusammenhängenden Naturschutzgebiete Rios planiert wurde.

Golf war zuletzt bei den Spielen 1904 in St. Louis im Programm. Damals wurde auch noch im Tonnenspringen, Weitspucken und Sackhüpfen um Medaillen gekämpft. Während diese schönen Sportarten bis heute vergeblich um eine Rehabilitierung kämpfen, sind die Golfer nun also wieder Mitglieder der olympischen Familie. In solch einem Moment ist alles irgendwie historisch. Den ersten olympischen Schlag seit über einem Jahrhundert durfte der Brasilianer Adilson da Silva ausführen. Der Brite Justin Rose, US-Open-Sieger von 2013, ließ dem schon wenig später das erste Hole-in-one der Olympiageschichte folgen. Etwa drei Meter vor Loch 4 kam sein epochaler Ball auf und kullerte direkt hinein. Zum Glück stand kein Wasserschwein im Weg.

Euphorisch gaben sich viele Teilnehmer vorab. "Das hier ist bis jetzt für mich echt das Größte in meiner Karriere", sagte der Deutsche Martin Kaymer. So dachten allerdings nicht alle. Einige der besten Golfer sind gar nicht angereist, darunter die ersten Vier der Weltrangliste. Der Nordire Rory McIlroy garnierte seine Absage gar mit der Bemerkung, er werde Olympia gewiss im Fernsehen verfolgen, allerdings nur die Dinge, die wichtig sind: "Leichtathletik, Schwimmen und Wasserspringen." Offiziell begründeten die meisten ihre Absage mit dem Zika-Virus. Das hält nicht nur der Olympiafreund Kaymer für eine schlechte Ausrede. Zu den wenigen Tierarten, die dieser Tage noch nicht erspäht wurden auf dem Golfplatz von Rio, gehört die Zika-Mücke Aedes Aegypti.

Klar, es gibt nicht die üblichen Preisgelder bei Olympia, aber die gibt es beim Ryder Cup auch nicht. Mit dem demonstrativen Desinteresse seiner Topleute hat der Golfsport jedenfalls alle Klischees seiner Schnöselhaftigkeit erfüllt. Und die 60 Spieler, die trotzdem mitmachen, darunter der Deutsche Alex Cejka, mussten sich schon vor der ersten Siegerehrung fragen lassen, was eine Olympiamedaille unter diesen Umständen wert ist. Auch der Modus wurde als "zu langweilig" kritisiert, bevor es überhaupt losging. Statt auf direkte Duelle wie beim Ryder Cup zu setzen, wird bei Olympia klassisch die Anzahl der Schläge addiert, vier Runden lang. Das Finale der Männer ist am Sonntag, die Olympiapremiere der Frauen beginnt am Mittwoch. Man wird das Gefühl nicht los: Bevor sie richtig angekommen sind, golfen sie wieder auf Bewährung.

Ob Golf dauerhaft im Programm bleibt, gilt keineswegs als ausgemacht. "Eine der Hauptkategorien für die Evaluation ist natürlich die Frage, ob die besten Spieler dabei sind", sagte IOC-Präsident Thomas Bach. Andererseits: Als Tennis 1988 wieder olympisch wurde, war die Begeisterung unter den Topleuten zunächst ebenfalls überschaubar. Inzwischen stellt die Sportart einen erklecklichen Teil der berühmtesten Fahnenträger.

Vielleicht haben die Golfer nur das Pech, dass sie gerade zu jenen Spielen zurückkehren, die dort stattfinden, wo Golf nicht mal eine Randsportart ist - und wo extra ein tauglicher Platz gebaut werden musste. Wer auch immer die Idee hatte, dafür ein Naturschutzgebiet zu zerstören, der hat die Rechnung ohne den organisierten Widerstand gemacht. Zum Auftakt brachten Aktivisten ein Banner an der Anlage an: "Umweltverbrechen #Rio2016", stand da.

Rios Bürgermeister Paes behauptet neuerdings, dass es diesen Naturpark gar nie gegeben habe. Mit dem Golfplatz sei vielmehr eine Brachfläche begrünt worden. Das hohe Eulenaufkommen zeuge von einer neuen Biodiversität - eine Darstellung, die in Kreisen des Golfsportes gerne aufgegriffen wird. Umweltschützer wenden ein, dass der natürliche Lebensraum der meisten Arten zerstört wurde. Sie argumentieren etwa so: Wenn es hier noch Tiere gibt, dann hilft man ihnen bestimmt nicht dadurch, dass man ihnen Golfbälle um die Ohren jagt.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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