Glückssieg der DFB-Elf:Chile hilft Löw

Deutschland - Chile

Joachim Löw: Zu Recht gemahnt

(Foto: dpa)

"Für einige Spieler war es wichtig, das zu erleben": Bundestrainer Joachim Löw fühlt sich von den enorm starken Chilenen in seinem Weckruf bestätigt. Das Problem der fehlenden Widerstandskraft gegen aggressiv auftretende Gegner nimmt er mit zur WM.

Von Thomas Hummel, Stuttgart

Der Trainer beschloss den Abend mit einer freudigen Nachricht an das Fußballvolk zu Hause: "Wenn wir so spielen wie heute, können wir mit jedem mithalten." Seine Mannschaft habe ein gutes Pressing gespielt, schöne Kombinationen gezeigt und der Spielaufbau sei exzellent gewesen. "Wir sind überzeugt von dem, was wir tun" und "werden eine würdige WM spielen".

Wer wollte Jorge Sampaoli an diesem Mittwochabend in Stuttgart widersprechen? Die meisten Reporter aus Chile stellten vor ihre Fragen den Satz, dass man stolz sein könne auf diese Leistung. Verkehrte Welt, möchte man meinen, hatte die Mannschaft das Spiel doch gerade 0:1 verloren. Doch Sampaoli hatte die in einem Testspiel stärkeren Argumente auf seiner Seite: "Wir haben 80 Prozent des Spiels dominiert, hatten mehr als zwölf Torchancen. Das Ergebnis spiegelt nicht das Spiel wider", sagte er.

Chile war mit ein paar schönen Referenzen nach Deutschland gereist. Gegen Brasilien einmal 2:2, einmal unglücklich 1:2, gegen Spanien erst zum Schluss noch ein 2:2 kassiert, in England 2:0 gewonnen. Dennoch wirkte Oliver Bierhoff nach dem Spiel fast ratlos: "Es war beeindruckend. Wir haben sie stark erwartet, aber nicht so stark", erklärte der Manager der deutschen Nationalmannschaft.

Dieser Länderspieltermin am Ende des Winters hatte den Deutschen zuletzt selten Mut gemacht für ein großes Turnier. 2006 provozierte das 1:4 gegen Italien fast eine Staatskrise, 2010 hatte Deutschland gegen Argentinien beim 0:1 kein einziges Mal aufs Tor geschossen und 2012 setzte es ein 1:2 gegen Frankreich. Auch diesmal scheint eine Partie alles zu verändern. Aus dem fröhlichen Künstlertrüppchen des vergangenen Qualifikationsjahres scheint eine Krisenelf geworden zu sein. Und das drei Monate vor Beginn einer Weltmeisterschaft, über die viele Menschen aus der Branche erzählen, die Deutschen müssen sie gewinnen.

Großkreutz und Schmelzer mit Problemen

Bundestrainer Joachim Löw kann jetzt immerhin behaupten, dass ihn dieser gefühlte Rückschlag nicht überrascht hat. Schon am Montag rief er der Öffentlichkeit zu, dass der Zustand seiner talentierten Mannschaft bedenklich sei. Zu viele Teile des Teams sind geschwächt durch Verletzungen oder Formkrisen. Einige Stützen drohen ohnehin auszufallen wie Sami Khedira, Ilkay Gündogan oder Sven Bender.

Doch selbst Löws Warnungen einbezogen in die Bilanz des Abends, stimmten in einigen Facetten nachdenklich. Wie konnte es passieren, dass eine Mittelfeldzentrale bestehend aus drei Spielern der so gepriesenen "besten Mannschaft der Welt" (auch bekannt als FC Bayern) nach der Pause fast überrannt wurde? Bastian Schweinsteiger baute erheblich ab, was wohl seiner langen Pause geschuldet war. Toni Kroos zeigte eines dieser Toni-Kroos-Spiele, in denen seine Widerstandskraft an Grenzen stößt. Und irgendwann war auch Philipp Lahm den ständigen Attacken der aggressiven Gegner erlegen.

Ohne Schutz aus dem Mittelfeld war die Abwehr den Chilenen bisweilen hilflos ausgeliefert. Die Pässe stachen wie Messer durch die Viererkette, die Angreifer kombinierten und dribbelten sich bisweilen bis an den Fünf-Meter-Raum heran. Dem Turm Per Mertesacker war das merklich zu wuselig, das gleiche galt für Marcell Jansen bis zu seiner frühen Verletzung (Außenbandriss im Knöchel).

Den Dortmunder Außenverteidigern Kevin Großkreutz und Marcel Schmelzer merkte man die Verblüffung an, dass ihre Vorderleute im äußeren Mittelfeld nicht wie beim BVB im Eiltempo mit nach hinten sprinteten. Im Eins-gegen-eins hatten beide erhebliche Probleme. Weil das allerdings für alle verfügbaren deutschen Außenverteidiger außer Philipp Lahm gilt, wird sich Joachim Löw was einfallen lassen müssen. Im ersten Gruppenspiel der WM lässt Cristiano Ronaldo für Portugal sicher nicht so viele Chancen aus wie die gastgeberfreundlichen Chilenen in Stuttgart.

Mangel an psychischer Robustheit

Dennoch reagierte Löw nach der Begegnung keineswegs betrübt. Hatte er noch an der Seitenlinie wild mit den Armen gefuhrwerkt und lautstark geschimpft, eröffnete er die Analyse im Presseraum des Stadions mit einem breiten Grinsen. "Mir muss niemand weismachen, dass es nur in Deutschland die besten Fußballer auf der Welt gibt. Andere Nationen schlafen auch nicht", erklärte er. Löw interpretierte das Spiel als Bestätigung seines Weckrufs vom Montag. Der Gegner habe "ein wahnsinnig hohes Tempo angeschlagen. Für einige Spieler war es wichtig, das zu erleben. Zu sehen, was man braucht, wenn man weit kommen will."

Der Abend erinnerte an das Testspiel des FC Bayern vor der Rückrunde bei Red Bull Salzburg. Auch da überraschte ein Außenseiter mit enormem Pressing, führte die Münchner beim 3:0 fast vor. Pep Guardiola gratulierte dem Gegner überschwänglich und dankte ihm später, dass er seinen Leuten die Flausen von der Unbesiegbarkeit ausgetrieben hatte. Seither gewannen die Münchner alle Spiele.

Chile verkörpert von nun an die größtmögliche Bedrohung für die ambitionierten Deutschen. Mit einer ungewöhnlichen Taktik im 3-5-2-System, teilweise mit Manndeckung über das gesamte Spielfeld und einigen sehr dynamischen Extrakönnern wie Alexis Sánchez vom FC Barcelona oder Arturo Vidal von Juventus Turin setzten sie die Gastgeber überall und immer unter Druck. Teilweise schafften sie an vorderster Front eine solche Überzahl, dass sie es selbst nicht fassen konnten, wieso der Ball wieder nicht im Tor gelandet war. Die Deutschen liefen überfordert bis verwirrt umher und rätselten, was sie tun sollten.

Appell an die Fitness

Im besten Fall wird das für Löw dazu führen, dass nun auch der letzte Nationalspieler mit dem Ziel Weltmeisterschaft gemerkt hat, dass allein feine Technik und schönes Passspiel im Zweifel nicht ausreichen werden, um in Brasilien sieben Spiele am Stück zu gewinnen. Noch herrscht Zuversicht und das Vertrauen auf den Feinschliff: "Wir haben uns immer gut vorbereitet auf ein Turnier, vor allem in der letzten Woche. Da mach' ich mir keine Sorgen", erklärte Lahm.

Körperliche Fitness und psychische Robustheit in schwierigen Partien werden sich allerdings schwerlich binnen einer Woche aufbauen können. Insofern appelliert Löw bereits jetzt eindringlich an die Spieler, ihre Körper auf Vordermann zu bringen. Wie er allerdings in Brasilien das Problem der bisweilen fehlenden Gegenwehr beheben, wie er eine Mischung aus Özils und Benders schaffen will, wird spannend zu beobachten sein.

Immerhin darf er insofern freudig auf das Turnier blicken, als dass diese Chilenen weit am anderen Ende des Spielplans auftauchen. Mit diesem unbequemen Gegner dürfen sich in der Vorrunde die Spanier und Niederländer herumschlagen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: