Gladbachs Mike Hanke:Zur Not weiß Mutti eine Lösung

Er kocht Linsensuppe für die ganze Familie, lobt seinen Trainer Lucien Favre in höchsten Tönen - und hat sogar mit der Nationalmannschaft noch nicht ganz abgeschlossen: Wie Gladbachs Angreifer Mike Hanke in Vergessenheit geriet und plötzlich wieder einer der besten Bundesligastürmer wurde.

Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

In Mike Hankes Linsensuppe kommen Linsen, Möhren, Kartoffeln, Lauchzwiebeln, Brühe und Mettwürstchen. "Wenn man die Würste vorher anbrät", sagt Hanke, "schmeckt's besonders gut." Die Linsensuppe ist sein Leibgericht. Hanke ist ein begeisterter Hobbykoch. Als kleiner Junge hat er seiner Mutter geholfen, jetzt ist er bei seiner Frau und seinen beiden Kindern daheim in Neuss selbst der Küchenchef.

Borussia Moenchengladbach v FC Schalke 04  - Bundesliga

Hochstimmung in Mönchengladbach: Mike Hanke (links).

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Fast jeden Tag kocht Hanke für alle das Abendessen. "Frei Hand!", sagt er, ohne Rezept. Auch die Linsensuppe hat er nach und nach selbst perfektioniert. Er hat zwar ein paar Kochbücher im Regal stehen, aber er schaut nicht hinein. Wenn er mal nicht weiter weiß, ruft er seine Mutter an. Die kennt immer eine Lösung.

Wenn Hanke auf dem Fußballplatz mal keine Lösung hätte, könnte er seine Mutter kaum behelligen. Aber so weit kommt es nur noch selten. Hanke ist Stürmer bei Borussia Mönchengladbach, und Gladbach ist in der Bundesliga Tabellenzweiter, weil die Spieler neuerdings für fast jede Situation eine Lösung haben. Das liegt daran, dass es beim Gladbacher Spiel im Gegensatz zu Hankes Kochkünsten primär nicht um Improvisation geht. Die Gladbacher haben ein Konzept. Man könnte auch sagen: ein gutes Rezept.

Ausgedacht hat sich das der Trainer Lucien Favre. An seiner Vision vom Fußball hängt der Erfolg von Borussia Mönchengladbach. "Er hat ein sehr klares Rezept", sagt Hanke, "es ist einfach zu verstehen und was dabei rauskommt, schmeckt ziemlich gut."

Hanke hat eine wechselvolle Karriere hinter sich. Bei Schalke und in Wolfsburg hatte er sich einst in die Nationalmannschaft gespielt, zum WM-Kader des Sommermärchens 2006 gehörte er als Reservist. Doch während seiner Zeit danach in Hannover ist er in Vergessenheit geraten.

"Die zwei Jahre in Hannover waren nicht schön für mich", sagt er. Anfang 2011 wechselte er nach Mönchengladbach, "um meine Erfahrungen im Abstiegskampf einzubringen". Der Klassenerhalt wurde knapp geschafft. Ein Dreivierteljahr später kämpft die Mannschaft nun um die Teilnahme an der Champions League. "Damit hätte ich damals nie gerechnet."

Hanke ist mittlerweile 28 Jahre alt, und wenn man ihn erzählen hört, spürt man: So glücklich wie jetzt war er als Fußballer noch nie. "Ich wollte bei Gladbach wieder Fuß fassen, Anerkennung bekommen, zu alter Stärke zurückfinden." Jetzt hat er noch viel mehr. Hanke spielt so gut wie noch nie, träumt von der Qualifikation seines Teams für die Champions League und wird explizit vom Bundestrainer Joachim Löw gelobt.

"Ich habe mit der EM-Teilnahme noch nicht abgeschlossen, aber ich glaube auch nicht, dass Löw jetzt noch einen Spieler mitnimmt, der die ganzen letzten Jahre nicht dabei war", sagt Hanke. Er findet es "legitim, dass Löw den Spielern vertraut, die schon länger dabei sind".

Hankes Schlüssel zum Comeback heißt: Lucien Favre. "Er hat Stärken von mir gefördert, die mir nicht mal bewusst waren", sagt Hanke: "Das Auge für den Mitspieler, das Spielverständnis insgesamt, One-Touch-Fußball und durch all das eine neue Art der Torgefahr." Früher hat sich der Westfale ausschließlich über die Anzahl seiner Treffer definiert. "Da habe ich mich dermaßen unter Druck gesetzt, wenn ich mal vier oder fünf Spiele kein Tor geschossen habe."

Arbeiten für Favres Konzept

Heute sagt er, sein wichtigstes Ziel sei es, für die Mannschaft zu arbeiten. Das gesamte Team hat Favres Konzept verinnerlicht. Die Spieler setzen die eintrainierten Automatismen im Spiel ziemlich gut um. "Weil wir einen Plan haben und genau wissen, was der andere macht, spielen wir einfach, schalten den Kopf aus und handeln intuitiv", erklärt Hanke. "Wir wissen derart gut, wie wir verschieben und attackieren, da kannst du nur noch mit einem Lächeln über den Platz laufen."

Heute geht Hanke, im Gegensatz zu früher, gelöst in ein Spiel. "Ich bin völlig befreit", sagt er mitten im spannenden Titelkampf, als käme er gerade aus der Entschlackung in einem indischen Tempel.

Die mannschaftliche Harmonie auf und neben dem Platz nennt Hanke ungewöhnlich groß. "In Wolfsburg hattest du in der Kabine damals die Argentinien-Fraktion in der einen Ecke, die Holländer in der anderen, dann die Deutschen und den Rest, das war wie in der Fabrik, umziehen für die Arbeit am Band, mehr war da nicht." In Gladbach nun stören nicht einmal die personellen Wechsel - Marco Reus geht im Sommer zu Borussia Dortmund, Roman Neustädter zu Schalke 04 und Abwehrspieler Dante vielleicht zum FC Bayern - die Idylle. "Das glaubt uns keiner, wie locker wir das nehmen", sagt Hanke.

Für den Brasilianer Dante intoniert die Mannschaft in der Kabine gerne das Münchner Vereinslied. "Wir singen Dante öfter mal den 'Stern des Südens' vor und nehmen ihn damit auf die Schippe", erzählt Hanke. Ob Dante bleibt? Hanke weiß es nicht. Aber er glaubt zu wissen, dass einer bleibt, der auch schon mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht wird und dessen Verbleib in Gladbach viel wichtiger wäre: der Trainer Favre.

"Ich bin überzeugt, dass Favre bleibt und glaube, die Chance ist groß, dass wir diesen Erfolg auch in der nächsten Saison haben können", sagt Hanke. Er denkt, Favre wisse die Arbeitsbedingungen in Gladbach zu schätzen. "Wir haben uns als Mannschaft weiterentwickelt und er sich als Trainer. Ich habe das Gefühl, er ist wirklich zufrieden mit dem Umfeld und ahnt, dass er hier etwas Großes aufbauen kann."

Mike Hanke genießt seinen Höhenflug in Mönchengladbach. Der Angreifer hat aber auch zu akzeptierten gelernt, dass Rückschläge dazugehören. Wie beim Kochen. "Ich koche nie nach Rezept", sagt er ja selbstbewusst. Aber nach einer kleinen Pause gibt er zu: "Manchmal schmeckt's auch nicht, dann gibt's halt ein Brot."

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