Gladbach - Wolfsburg (17.30 Uhr):Auf Schnupperkurs

Gladbach - Wolfsburg (17.30 Uhr): Vergessen nicht, wo sie herkommen: Vor vier Jahren stand Gladbach vor dem Abstieg - jubeln die Fohlen auch gegen Wolfsburg, winkt Platz drei.

Vergessen nicht, wo sie herkommen: Vor vier Jahren stand Gladbach vor dem Abstieg - jubeln die Fohlen auch gegen Wolfsburg, winkt Platz drei.

(Foto: Frank Augstein/AP)

Kann es die Borussia schon mit der legendären "Fohlenelf" der 1970er aufnehmen? Klublegende Rainer Bonhof ist da skeptisch.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Um die Qualität der aktuellen Fußballmannschaft vom Traditionsklub Borussia Mönchengladbach beurteilen und historisch einordnen zu können, bräuchte man idealerweise jemanden, der früher lange für Gladbach gespielt hat - am besten in den goldenen Siebzigern. Man bräuchte jemanden, der, sagen wir, vier Mal Meister und ein Mal Pokalsieger und ein Mal Landesmeister-Europacupsieger mit den Borussen geworden ist und dessen Urteil überdies dadurch unantastbar wäre, dass er 1974 mit der deutschen Nationalmannschaft auch noch Weltmeister wurde. Kurz gesagt: Man sollte den Rainer Bonhof mal fragen, ob die derzeitige Gladbacher Mannschaft eventuell, vielleicht, unter Umständen schon so gut Fußball spielt wie die legendäre Gladbacher Fohlenelf damals in den Siebzigern. Aber wenn man das den Rainer Bonhof fragt, dann antwortet er schroff: "Quatsch! Blödsinn, das Gerede von der neuen Fohlenelf!"

Oh je. Bonhof ist heute Vize-Präsident bei der Borussia, sein überlebensgroßes altes Fußballerfoto hängt (weil er Mitglied der Gladbacher Jahrhundertelf ist) im Stadion am Treppenaufgang zum Block 13 - doch sein Urteil klingt fatal. Allerdings meint Bonhof, 62, es gar nicht so negativ, wie es klingt. Erstens ist er nämlich dieser Tage ebenso recht begeistert von den Gladbachern wie viele andere Beobachter im nahen Umfeld, und zweitens will er mit seinem schroffen "Blödsinn" vor allem sagen, dass man die beiden Gladbacher Mannschaften - jene aus den Siebzigern und die von heute - doch gar nicht miteinander vergleichen kann. "Die Fohlenelf aus den Siebzigern ist 40 Jahre her", sagt Bonhof, "und 40 Jahre - das ist im Fußball ein Quantensprung."

Trainer Favre erinnert gerne an 2011

Lässt man diesen Rainer Bonhof dann erst einmal ins Schwärmen geraten über die aktuelle Fohlenelf, dann kriegt er sich fast nicht mehr ein. Dann lobt er die Mannschaft und den Trainer Lucien Favre und den Sportdirektor Max Eberl und den Geschäftsführer Stephan Schippers. Dann sagt er, "dass wir hier alle fixiert darauf sind, Borussia Mönchengladbach ein bisschen besser zu machen". Und zum Schluss adelt er den Kurs, auf dem der Verein seit einigen Jahren und ganz besonders in dieser Saison sei, als "Schnupperkurs Platz drei".

Dieser "Schnupperkurs" geht jetzt in die entscheidende Phase. An diesem späten Sonntagnachmittag empfangen die Gladbacher den Tabellenzweiten VfL Wolfsburg im heimischen Borussia-Park, und wenn sie die Woche darauf ihr Auswärtsspiel bei Hertha BSC hinter sich gebracht haben, dann haben sie gleich den anderen akuten Mitbewerber im Kampf um den dritten Tabellenplatz zu Gast, Bayer Leverkusen nämlich. Es wird jetzt ernst für die neue Fohlenelf. Sie muss ihre wahre Klasse beweisen, und weil so eine Alles-oder-Nichts-Phase dem Trainer Lucien Favre erfahrungsgemäß ein bisschen zu heiß wird, hat er vor dem Wolfsburg-Spiel mal wieder seine Lieblingswarnung ausgesprochen an all jene, die jetzt vielleicht schon zu viel wollen von dieser jungen Borussia-Mannschaft. Favre hat also mal wieder gesagt: "Man darf nicht vergessen, wo wir vor vier Jahren waren."

Die Heimspiele gegen Wolfsburg und Leverkusen werden Nagelproben

Favre hat ja Recht damit, immer mal wieder daran zu erinnern, dass die Gladbacher, als er sie im Frühjahr 2011 auf dem letzten Tabellenplatz übernommen hatte, gefühlt schon in der zweiten Liga waren. Und doch klingt der Trainer mit seiner steten Erinnerung an 2011 wie eine hängengebliebene Schallplatte. So ambitioniert, ungeduldig und erfolgsfokussiert er nämlich tagtäglich mit der Mannschaft arbeitet, so geduldig, bremsend und abwartend gibt er sich nach außen, um seine Spieler in der Öffentlichkeit bloß nicht unter Druck zu setzen.

Zum Glück braucht er das vor diesen nächsten beiden Heimspielen gegen Wolfsburg und gegen Leverkusen gar nicht selbst zu tun. Zum Glück übernimmt das für ihn die Tabellenkonstellation. Sie wird zeigen, ob die aktuelle Borussia wirklich schon so gut ist wie ihre Tabellensituation oder vielleicht doch eher ein bisschen überbewertet wie neulich, als sie im Sechzehntelfinale der Europa League naiv am FC Sevilla gescheitert ist oder danach, als sie im Viertelfinale des DFB-Pokals am Drittligisten Arminia Bielefeld verzweifelte.

Borussia Mönchengladbach ist vier Jahre nach dem Beinahe-Abstieg jetzt an einem Punkt angelangt, an dem der Klub zeigen muss, ob er wirklich schon wieder zu den Großen des deutschen Fußballs gehört oder ob er vielleicht doch noch ein, zwei Jahre auf dem Rückweg dorthin benötigt. Für Rainer Bonhof ist das allerdings keine Entweder-oder-Frage. Er hält es da eher mit Lucien Favre. Wenn er über die Errungenschaften des bisherigen Saisonverlaufs nachdenkt, dann sagt er: "Wenn man sieht, wo wir herkommen, dann ist das alles schon eine enorme Leistung." Zu einem Vergleich mit den goldenen Siebzigern lässt er sich aber dennoch nicht hinreißen - und das liegt nicht nur daran, dass der Fußball sich seither so sehr verändert hat.

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