Gladbach lässt Schalke keine Chance:Auf der Überholspur ins Titelrennen

Dritter gegen Vierter, ein Spiel auf Augenhöhe? Von wegen! Borussia Mönchengladbach deklassiert Schalke 3:0. Mit einer fantastischen Leistung überholt das Team von Lucien Favre den Meisterschaftsaspiranten aus dem Pott in der Tabelle und schwingt sich zum ersten Verfolger von Dortmund und München auf.

Sebastian Gierke

Die Geschichte des Spiels war nach 112 Sekunden eigentlich erzählt. Die ganze Geschichte. Patrick Herrmann spielte an der Mittellinie mit Marco Reus einen Doppelpass, überbrückte auf der rechten Seite flugs das Spielfeld. Viel zu flugs für die Schalker. Passte nach innen auf den mitgelaufenen Reus, der nahm den Ball mit dem Rücken zum Tor an, umkurvte drei Schalker und traf aus der Drehung ins lange Eck. Es war Reus' 13. Tor in der laufenden Saison und das schnellste seit sieben Jahren in der Bundesliga. Und: Das Tor war schon zu diesem frühen Zeitpunkt irgendwie verdient.

Borussia Moenchengladbach v FC Schalke 04  - Bundesliga

Marco Reus hat in dieser Saison bereits 13 Mal getroffen.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Vor dem Spiel von Borussia Mönchengladbach gegen Schalke 04 war viel von Spielsystemen die Rede, davon, wie die beiden aktuell so erfolgreichen Trainer Lucien Favre und Huub Stevens ihre Mannschaften spielen lassen. Mit Dominanz und Ballbesitz, mit Wucht und Durchsetzungsvermögen nach vorne, so versucht Stevens seine Schalker agieren zu lassen. Gladbach dagegen spielt in dieser Saison lauernd und schaltet so schnell um, wie man das beim Fernsehen macht, wenn man beim Zappen Dieter Bohlen erblickt, so schnell jedenfalls, wie kein anderes Team der Liga im Moment.

Nach 112 Sekunden hatte sich die Gladbacher Spielphilosophie zum ersten Mal gegen die der Königsblauen durchgesetzt. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben. Am Ende hatte Gladbach 3:0 gewonnen, Schalke in der Tabelle überholt und sich auf Platz drei geschoben, drei Punkte hinter Dortmund, einen hinter Bayern. Nach einer solchen Leistung muss man die Borussia aus Gladbach einfach zu einem ernstzunehmenden Anwärter auf die Meisterschaft erheben.

"Wir haben ein Riesenspiel gemacht. Das war schon beeindruckend", sagte der starke Mike Hanke nach dem Spiel. "Wir haben den Sieg verdient und gut gespielt", ergänzte Reus. Die Schalker dagegen waren geknickt: "Das schmerzt total. In der ersten Halbzeit haben wir kindisch gespielt", erklärte Benedikt Höwedes. Der Schalke-Kapitän stellte fest: "Die erste Halbzeit war einer Schalker Mannschaft nicht würdig."

Tatsächlich überrannte Mönchengladbach in den ersten 14 Minuten die Schalker. Und in der 15. gingen die Fohlen mit 2:0 in Führung. Wieder ein schneller Vorstoß über die rechte Seite, Flanke - und dann zerlegte die Heimelf die Schalker Abwehr nach allen Regeln der Fußballkunst. Tatsächlich ist Kunst der richtige Begriff für die Ballstafette: Mike Hanke, ehemaliger Schalker, spielte Doppelpass mit Herrmann, Mike Hanke spielte Doppelpass mit Juan Arango, Mike Hanke stand alleine vor dem Tor - und schnibbelte den Ball überlegt und elegant aus zehn Metern ins Netz.

Die Schalker Abwehr war anwesend, irgendwie. Vor dem 2:0 sogar in Überzahl. Aber bei den Gladbacher Überfällen, vorgetragen in einem Tempo, als wollten die Spieler der Kälte einfach davonlaufen, wirkten die Defensivspieler der Knappen wie festgefroren. Manchmal sah es aus, als ob man die Schalker in Zeitlupe und die Gladbacher im Vorspul-Modus beobachtete. In ein und derselben Szene. Oder als ob Gladbach mit zwei Spielern mehr auf dem Feld war. Oder als ob Schalke mit einer Jugendmannschaft angetreten wäre. Oder als ob, ja, tatsächlich, als ob der FC Barcelona ein paar seiner Spieler im Winter nach Gladbach ausgeliehen hätte. Es war mehr als ein Klassenunterschied. Zwischen Tabellennachbarn.

Doch nicht nur nach vorne spielten die Gladbacher überragend. Auch in der Defensive ließen sich nichts zu. 50 Gegentreffer nach 20 Spielen standen in der vergangenen Saison noch zu Buche für die damalige Schießbude der Liga. Jetzt hat Gladbach nach 21 Spielen gerade mal zwölf Tore hinnehmen müssen.

Schalke gibt auf

Die Schalker versuchten es schon Mitte der ersten Halbzeit mit Verzweiflung. Jose Jurado schoss ein ums andere Mal aus großer Entfernung den Ball ins Publikum. Juan Arango schoss dagegen in der 31. Minute aus großer Entfernung (knapp 30 Meter) den Ball ins Tor. Vorausgegangen war wieder ein schneller Vorstoß, der Kyriakos Papadopoulos zu einem Foul zwang. Anders waren die Gladbacher an diesem Abend fast nicht zu stoppen. Arango beförderte beim fälligen Freistoß den Ball aus halblinker Position mit links (!) ins rechte Toreck. Ein grandioser Freistoß, der zeigt, warum Arango gerade zum besten Spieler Venezuelas aller Zeiten gewählt wurde - obwohl alle Zeiten noch gar nicht vorbei sind.

Die Gladbacher Fans sangen jetzt, also noch in der ersten Hälfe, in Richtung der Schalker: "Ihr könnt nach Hause fahr'n." Und wenn sie es sich hätten aussuchen können, die Schalker Spieler, sie hätten es wohl nur zu gern gemacht.

Nach der Pause machte Huub - die Null muss stehen - Stevens den Gladbachern dann schon mal vorsorglich ein Kompliment: Er wechselte Jurado aus, der Einzige, der für ein wenig Bewegung in der Schalker Offensive gesorgt hatte, und brachte Abwehrspieler Christoph Metzelder. Aufholjagd? Bedingungslose Offensive? Lieber nicht. Nur nicht noch mehr Tore kassieren, das war Stevens' Plan für die zweiten 45 Minuten. Zumindest der ging auf.

Doch auch in der zweiten Hälfte war es vor allem Marco Reus - wieder einmal -, der den Blutdruck des Schalker Trainers bei jedem seiner Ballkontakt in die Höhe schnellen ließ. Reus spielte, wie so oft in dieser Saison: fantastisch. Im Moment gibt es wohl keinen Spieler in der Bundesliga, der mit einer größeren Leichtigkeit die gegnerischen Abwehrreihen durchsticht. Wie Seife, die man einfach nicht zu fassen bekommt. Wenn er den Ball am Fuß hat, braucht es mindestens zwei Abwehrspieler (oder einen Jermain Jones, der nach seinem hässlichen Tritt gegen Reus im Pokal-Achtelfinale vor genau 52 Tagen immer noch gesperrt ist), um Reus zu stoppen. Doch wenn er dann den Ball nicht mehr am Fuß hat, sondern ihn abspielt, steht - das sagt einem die einfache Mathematik - mindestens ein Gladbacher frei.

Schalke zog sich wohl auch deshalb in der zweiten Hälfte zurück. Aufgabe! Schadensbegrenzung! Was sollten sie auch anderes machen? Die Gladbacher drosselten das Tempo. Was brauchten sie auch anderes machen? Und spielten jetzt plötzlich mit viel Ballbesitz und mit Dominanz. Sie spielten das Schalker Spielsystem. Selbst das funktionierte.

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