Gladbach:Holger Fach löst Ewald Lienen ab

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Nach der 0:2-Niederlage in Hannover sucht Borussia Mönchengladbach neue Perspektiven und feuert den Trainer.

Hannover - Mit der neuen Brille hatte Ewald Lienen bei seinem letzten Dienstauftritt noch Probleme. Mal setzte er die Sehhilfe auf, dann wieder ab. Kniff die Augen zusammen, als erschließe sich ihm nur schwer, was das Blatt Papier mit den frischen Statistiken auswies. Etwa, dass Hannover 96 gegen Borussia Mönchengladbach nicht nur 2:0 gewonnen hatte, sondern 17 Torschüsse abgegeben hatte und die Borussen nur neun. Oder dass 16 Flanken in den Gladbacher Strafraum geflogen waren, in des Gegners aber nur zehn. Kurz: Der Gladbacher Trainer nahm die klare spieltechnische Überlegenheit der Hannoveraner nur verschwommen wahr. "Große Situationen" hatte Lienen dagegen bei seiner Elf erkannt. Etwa, als Obradovic und van Lent nach einer Stunde den Ball binnen 30 Sekunden zweimal gegen den Querbalken setzten, dazu hat er großzügig noch den dritten Lattentreffer durch Kolkka addiert, eine längst abgepfiffene Aktion. Überhaupt habe da "eine andere Mannschaft ein ganz anderes Bild abgegeben" als beim 0:2 gegen Frankfurt, was aber schon deshalb nahe lag, weil der Sonntag zuvor als Tiefpunkt in die Klub-Annalen einging und Lienen gleich sechs Neue in die Elf rotiert hatte. Verständlich, wenn der Trainer verschwieg, dass dies die einzigen "großen Situationen" der Gladbacher gegen die etwas sorglosen 96er waren. Nach vier Niederlagen am Stück sucht man halt nach dem Positiven. Überdies hatte sich Lienen zuletzt gegen allerlei Anwürfe verteidigen müssen: Er stelle Spieler auf falsche Positionen; er kontrolliere die Profis so übertrieben, dass einige nur noch über ihn lachten. Auch war die Frage nach seinem Job schon gestellt worden, weshalb Kapitän van Lent sagte: "Wenn man sieht, was die Woche im Umfeld los war, mag ich gar nicht daran denken, was jetzt passiert."

Es passierte das Übliche. Am Samstag wiegelte Sportdirektor Christian Hochstätter zwar ab: Nur die "zwangsläufige Diskussion" um den Trainer werde es geben, die das Präsidium aber nicht öffentlich führen werde: "Diese Dinge besprechen wir, wenn wir zuhause allein sind." Ansonsten hatte auch Hochstätter "eine geschlossene Einheit" und "Leidenschaft" gesehen, was der neue Torwart Claus Reitmaier ("Eine riesen Steigerung") oder Max Eberl ("Wir waren sehr couragiert") gern bestätigten. Pech nur, dass diese beiden die Niederlage einleiteten. Erst warf Reitmaier den Ball auf den von zwei 96ern bedrängten Kolkka, dann schnappte Eberl dem Keeper die folgende Flanke weg und wehrte zu kurz ab - Christiansen nutzte den Fehler zum 1:0 nach 18 Minuten. Fortan wirbelte Hannover die Borussen mit Hackentricks und anderen Finten so durcheinander, dass mehr als das wegen Trikotzupfens annullierte 2:0 durch Dabrowski (29.) hätte fallen müssen. Nachdem Idrissou (82.) das 2:0 schoss, bilanzierte Hannovers Trainer Ralf Rangnick zufrieden, sein Team habe den ersten Heimsieg "diesmal nicht brutal spektakulär, aber mit Geduld" eingefahren. Die 96-Fans riefen derweil hämisch: "Absteiger."

Am Sonntag hatte diese Furcht auch das Borussen-Präsidium beschlichen. Am Tag nach der Niederlage in Hannover gab der Klub bekannt, dass der 49-Jährige Lienen "mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als Cheftrainer freigestellt" werde. Der Nachfolger stand da bereits fest: Die Übungsleitung übernimmt der ehemalige Erstliga-Profi und Nationalspieler Holger Fach. Der Vorgang ist bemerkenswert: Fach hat erst vor 23 Tagen bei Fußball-Regionalligist Rot-Weiß Essen angeheuert - unter recht pikanten Bedingungen. "Wir mussten ihm bei seiner Verpflichtung die Freigabe ausschließlich für die Borussia zusichern, sonst hätten wir ihn gar nicht bekommen. Ich bin wie vor den Kopf gestoßen", sagte Frank Kontny, der Sportliche Leiter der Rot-Weißen, nach der Meldung am Sonntagmittag - für ihn war es eine Hiobsbotschaft. Einen Tag nach dem 2:0 gegen Dynamo Dresden, seinem dritten Sieg in Folge mit Essen, gab der 41 Jahre alte Fach tatsächlich die Rückkehr nach Mönchengladbach bekannt - das wirkt fast so, als sei da im Stillen etwas vereinbart worden. Hochstätter traut dem langjährigen Chefscout und Amateur-Trainer des Vereins viel zu, obwohl Fach keine Erstliga-Erfahrung hat: "Ich bin absolut überzeugt von ihm. Ich halte ihn für einen sehr guten Trainer."

Lienen war erst am 2. März als Cheftrainer eingestellt worden. Es ist dies die 272.vorzeitige Amtsenthebung eines Bundesliga-Trainers, für Lienen selbst ist es der vierte Rauswurf in seiner Fußballlehrer-Karriere.

Jörg Marwedel

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