Girondins Bordeaux - Juventus Turin:Ende des Feudalzeitalters

Beim einstigen Patriarchenklub Juventus Turin gibt inzwischen eine bunte, internationale Generation den Ton an - nur der Fußball bleibt schwarz-weiß wie eh und je.

Birgit Schönau

Die neue Juventus ist keine alte Dame mehr. Das sieht man daran, dass sie überall Zweiter ist und trotzdem sehr gelassen bleibt. Fast schon unheimlich gelassen, ganz so, als gefalle sich die Juve plötzlich in der Lauerstellung des Verfolgers, nachdem für diesen Klub allzu lange alle Mittel den Zweck geheiligt hatten, immer die Nummer eins zu sein.

Girondins Bordeaux - Juventus Turin: Dem jungen Trainer Ciro Ferrara bleibt Zeit, die alten Dame nach vorne zu bringen.

Dem jungen Trainer Ciro Ferrara bleibt Zeit, die alten Dame nach vorne zu bringen.

(Foto: Foto: dpa)

Heute ist Juventus Turin Zweiter in der Liga (hinter Inter Mailand) und Zweiter in der Champions-League-Gruppe A, wo die von Ciro Ferrara trainierte Mannschaft am Mittwoch bei Girondins Bordeaux antritt. Ein wichtiges, vielleicht sogar entscheidendes Spiel, aber in Turin redet niemand darüber. Stattdessen ist das Thema: Rassismus. Am Sonntag, beim Heimspiel gegen Udinese Calcio, hatte die Juventus-Kurve wieder einmal den schwarzen Inter-Spieler Mario Balotelli geschmäht, in Abwesenheit. Dazu gab es Pfiffe gegen den Stadion-Sprecher und dessen Ermahnungen zum Fair Play.

Die Kurve kommt noch nicht so ganz mit auf dem neuen Kurs, doch die Juventus-Ultras von rechtsaußen sind das vermutlich letzte Relikt einer Vergangenheit, die die Klubführung gerade mutig und konsequent abzustreifen versucht. Alles, was gestrig, muffig und dumpf ist, soll außen vor bleiben, schließlich hat bei Juventus endlich eine neue, international orientierte Generation das Sagen. Diese Vierziger geben im hoffnungslos veralteten Calcio der Patriarchen allerhöchstens noch beim Kleinstklub Chievo Verona und beim AS Rom den Ton an, aber dort werden sie zunehmend erstickt von einem Berg alter Schulden.

Alte Bekannte im Duell

In der auch ökonomisch kraftstrotzenden Aktiengesellschaft Juventus aber, in der jetzt erstmals auch ein Vertreter der libyschen Anteilseigner im Verwaltungsrat sitzt, ist ein Franzose der Chef: Jean-Claude Blanc, bereits seit drei Jahren Manager, seit Ende Oktober auch noch Präsident. Der erste Ausländer als Präsident eines italienischen Erstligaklubs, ein starkes Signal für neue Offenheit und Modernisierung in einem Verein, der zuvor das Symbol des alten Feudalherrenfußballs war - mit dem Avvocato Agnelli, der im Morgengrauen seine Fußballer aus dem Bett zu werfen pflegte, als müssten auch sie zum Schichtdienst bei Fiat.

Blanc hat viel Ehrgeiz und wenig Allüren, seinen Ehrgeiz hält er im Zaum, die Allüren pflegt er ein wenig, um nicht allzu farblos zu erscheinen im großen Medienzirkus, der die einstmals schillerndste Liga der Welt bis heute geblieben ist. Immerhin begleitet Blanc Juventus zu jedem Spiel - früher war der Fußball gar nicht seine Welt. In Bordeaux, beim Champions-League-Spiel, trifft der 46-Jährige nun seinen Landsmann und Namensvetter Laurent Blanc. Der Trainer von Girondins Bordeaux hat früher mit seinem Turiner Kollegen Ciro Ferrara beim SSC Neapel gespielt. Man kennt sich, schätzt sich und hält den Ball flach.

Niemand in Turin geht davon aus, dass es ein leichtes Match wird. Im Gegenteil scheint der ohnehin schon leise und bedächtige Ferrara von Woche zu Woche mehr Sorgenfalten zuzulegen. Nach alter Juve-Manier schreitet seine Mannschaft mit 1:0-Arbeitssiegen voran, mit einem Fußball, der so schwarz-weiß ist wie die Trikots der Spieler und dessen pragmatische Tristesse selbst den als Riesen-Farbklecks angekündigten Brasilianer Diego immer blasser werden lässt.

Von Arbeitssieg zu Arbeitssieg gewurschtelt

Die Tore für Juve machen, zumal nach dem Verletzungsausfall des Routiniers Trezeguet, die Verteidiger. Chiellini, Grosso (gegen Udinese), allenfalls noch der Mittelfeldterrier Camoranesi. Es wurde viel gezittert in der Champions League, vor allem gegen den FC Bayern, aber auch gegen Haifa, jedesmal war Ferrara vor allem grenzenlose Erleichterung anzumerken. Als könnte er es selbst nicht fassen, dass er es schon wieder geschafft hatte.

Man wurschtelt sich so durch, das ist nun allerdings ganz neu für Juventus. Man arrangiert sich - wie es in Neapel heißt, der Heimatstadt von Ferrara und dem neuen und alten Abwehrdirigenten Fabio Cannavaro. Und vor allem: Man hat Zeit. Hätten früher einmal jene 50 Millionen Euro, die für Diego und den hoffnungslos überschätzten Felipe Melo ausgegeben wurden, mit jedem Punkt Abstand zum Tabellenführer neue Hitzewallungen ausgelöst, so setzt Juventus jetzt demonstrativ auf Nachhaltigkeit. Erst mal sehen, was noch kommt, man steht schließlich erst am Anfang der Saison.

"Ich probiere noch", verkündet Ferrara. "Wir müssen uns Zeit geben", beschwört Blanc. Und gemeinsam lassen Klubpräsident und Trainer Gerüchte abprallen, nach denen Nationaltrainer Marcello Lippi schnellstmöglich zurück zur Juventus will. Als was? Lippi ist über 60, ein Fossil, dem man Respekt zollt, aber keine neuen Verträge schuldet. Jedenfalls heute. Wenn sein Schüler Ferrara in Bordeaux patzen sollte, dann sieht natürlich alles anders aus. Und die dunkle Vergangenheit mit ihren vielen Trophäen schon wieder rosiger.

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