Giro d'Italia:Bademeister, Prosecco-Winzer, Eselzüchter

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Durch den Klassement-Führenden Alberto Contador droht dem Giro d'Italia ein Albtraum.

Birgit Schönau

Er ist 25 Jahre alt und ein Mann mit Vergangenheit. Letztes Jahr hat er die Tour de France gewonnen. Dieses Jahr will die Tour ihn und sein Team nicht haben: Dopingverdacht. Also schickt er sich an, den Girod'Italia zu gewinnen. Seit zwei Tagen fährt der Spanier Alberto Contador im rosa Trikot des Spitzenreiters. Seit zwei Tagen greift das Team Astana, dieses bizarre Konglomerat aus kasachischen Eisenbahnern, luxemburgischen Managern und spanischen (Contador), amerikanischen (Leipheimer), deutschen (der enttäuschende Andreas Klöden) Fahrern, nach dem Gesamtsieg im zweitwichtigsten Radrennen der Welt. 15 Jahre nach Miguel Indurain könnte Contador am Sonntag der zweite Spanier sein, der seine Triumphrunden in Mailand dreht. Es wäre ein Albtraum für den Giro. Aber bitte, sie haben's so gewollt.

(Foto: Foto: AFP)

Vom Strandurlaub zum Giro

Die Organisatoren hatten Astana quasi in letzter Minute, eine Woche vor dem Start eingeladen. Und damit eine entscheidende Chance vergeben, den im letzten Jahrzehnt von vielen Skandalen erschütterten Giro endlich als runderneuerte Veranstaltung zu präsentieren. Ivan Basso, der Sieger von 2006, ist nach seinem halbherzigen Doping-Geständnis gesperrt. Danilo Di Luca, Sieger im Jahr 2007, erhielt auf den allerletzten Drücker eine Starterlaubnis, weil ihm trotz seiner Bekanntschaft zu einem einschlägig bekannten Mediziner nichts nachgewiesen werden konnte. Es hätte also Alberto Contador gar nicht gebraucht, um die Kolonne weiter im Zwielicht fahren zu lassen.

Der Spanier gab sich zu Anfang betont lässig. Er sei aus seinem Strandurlaub zum Giro abkommandiert worden und wisse gar nicht, wie ihm nun geschehe. Der Schmarrn provozierte Riccardo Riccò, Contadors erbittersten Rivalen, zu der sarkastischen Bemerkung, er müsse jetzt also gegen einen "Bademeister" fahren. Il bagnino heißt Contador seitdem in Italien, das ist, verglichen mit Radprofi, eine durchaus ehrenwerte Berufsbezeichnung. Aber der Spanier kann darüber nicht lachen. Von wegen Bademeister, er hat bereits eine kleine Unterarmfraktur und einen höllisch schmerzenden Backenzahn kassiert, Urlaub ist etwas anderes.

Mit dem fast gleichaltrigen Spötter Riccò, der nach dem Bergzeitfahren am Montag 41 Sekunden hinter ihm Platz zwei besetzt, verbindet Contador eine herzliche Abneigung. Die beiden, die das Rennen aller Voraussicht nach unter sich ausmachen werden, ignorieren sich lautstark. Demonstrativ erkundigte Contador sich nach dem Zeitfahren auf der steilen Schotterstraße von Kronplatz in den Dolomiten nach dem Ergebnis des drittplatzierten Gilberto Simoni. Als ob es Riccò nicht gäbe.

"Papà, hoch mit dem Arsch"

Der Italiener hatte es in Kronplatz nicht geschafft, sich aus dem Sattel zu stemmen. Er habe die falsche Übersetzung gewählt, räumte Riccò später ein. "Mein Hinterrad drohte im Schotter wegzurutschen." Contador war besser vorbereitet und konnte seinen Vorsprung um acht Sekunden ausbauen.

agessieger wurde Franco Pellizzotti (Liquigas), lauthals angefeuert von seinem vierjährigen Sohn: "Papà, hoch mit dem Arsch!" Ein schönes Früchtchen - gerade die Stützräder abgelegt und so ein Mundwerk. Nun, beim Giro geht es nicht um gute Kinderstube.

Dem Publikum ist sowieso alles egal. Vier Millionen vor dem Fernseher, an einem Tag, wo überall außer über der Giro-Etappe die Sommersonne schien. 120000 tummelten sich unverdrossen auf der eisigen Piste von Kronplatz, Ski und Rodel gut, Radfahren verrückt. Und alle, fast alle umjubelten Contador, schubsten enthusiastisch Riccò, der sie mit den Armen rudernd verscheuchte wie lästige Fliegen.

Auf der nächsten Seite: Die nettesten Fans hat der sympathischste Fahrer - und ein echter Esel im rosa Triktot.

Die nettesten Fans hat der sympathischste Fahrer. Marzio Bruseghin, Sieger im Zeitfahren von Urbino, Platz sieben der Gesamtwertung, ist hauptberuflich Prosecco-Winzer in der Provinz Treviso. Bei der Siegerehrung rümpfte Bruseghin die Nase über den Champagner, packte eine Flasche Hausmarke aus, dazu ein Proseccoglas - und prostete der Giro-Gemeinde zu. Ein Prost auf die Straßen voller Schotter, Staub und Löcher. Ein Prost auf diesen Giro der Stürze und Pannen. Ein Prost auf die kasachische Eisenbahn. Und auf die Esel dieser Welt.

Ein Esel im rosa Trikot

Bruseghin hat noch einen Nebenjob. Oder soll man sagen: eine Passion? Er ist Eselzüchter. 23 Esel, macht im Jahr übrigens gut 1000 Euro EU-Zuschüsse für die Rettung einer aussterbenden Nutztierrasse. Bruseghins Fans tragen Eselsohren. Sie führen einen echten Esel im rosa Trikot mit sich. Der Esel, ein geduldiges, großäugiges Exemplar der sardischen Rasse, scheint sich wohl zu fühlen in dieser Gesellschaft.

Bruseghin kann den Giro d'Italia leider nicht gewinnen. Er ist kein Bergspezialist. Man möchte so gern den rosafarbenen, sardischen Esel durch Mailand trotten sehen, eine Blume im weichen Eselsmaul. Aber das wird nicht gehen. Ein Bademeister wird ihn bald von der Straße räumen.

© SZ vom 28.05.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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