Gina Lückenkemper über 100 Meter:"Deutscher Sprint ist geil"

16th IAAF World Athletics Championships London 2017 - Day Two

Erstmals unter elf Sekunden über 100 Meter: Gina Lückenkemper.

(Foto: Getty Images)
  • Gina Lückenkemper rennt die 100 Meter unter elf Sekunden - so schnell wie seit 26 Jahren keine Deutsche mehr.
  • Schafft sie es nun ins WM-Finale am Sonntagabend? Zuvor steht ihr Halbfinallauf an.
  • Hier geht es zum Zeitplan der Leichtathletik-WM.

Von Saskia Aleythe, London

Gina Lückenkemper hatte schnell eine Cola gefunden und noch bevor sie die ersten Fragen beantworten musste, hatte sie die Cola auch schon halb ausgetrunken. Einen wachen Geist hat die Sprinterin ohnehin, ihren Vorlauf über 100 Meter bei dieser WM kommentierte sie dann so: "Deutscher Sprint ist geil und deutscher Sprint kann auch was." Sätze, die in Deutschland nur selten zutrafen, in der jüngeren Vergangenheit ohnehin. Aber, so kann man das sehen: Seit Lückenkemper die Tartanbahn erobert hat, ist die Begeisterung zurück.

10,95 Sekunden standen am Ende ihres Vorlaufes über 100 Meter auf der Anzeigetafel, Lückenkemper schlug sich die Hände vors Gesicht, ein bisschen ungläubig, ein bisschen überwältigt. Diese Zeit bedeutete ja mehr als eine persönliche Bestmarke und das Durchbrechen einer Schallmauer. Einmal unter elf Sekunden zu laufen, das ist der Stoff für Sprinterinnenträume, vor allem für deutsche: Zuletzt war die mit Clenbuterol aufgefallene Katrin Krabbe 1991 unter elf Sekunden geblieben.

26 Jahre her also. Lückenkemper, 20, weiß, welche Fragen sie mit ihrer Zeit in London auf sich zieht, "es hat sich in der Trainingslehre einiges getan", sagte sie später im ZDF, "das zeigt, dass solche Zeiten ohne Doping gerannt werden können. Ich weiß, dass ich sauber bin."

"Das war einfach ein geiles Rennen, es hat einfach Spaß gemacht"

Wer sich in den vergangenen Jahren in Deutschland mit Sprint befasste, kam an Lückenkemper nicht vorbei. Wegen ihrer Zeiten und ihrer lockeren Art. Schon mit 16 war sie die drittschnellste Frau im Land, mit 18 wurde sie U20-Europameisterin auf ihrer eigentlichen Lieblingsdistanz, den 200 Metern, die ihr im vergangenen Jahr bei den Senioren EM-Bronze einbrachte. Nervös war sie bei allem nur selten, und natürlich ist da noch die Sache mit der Bratwurst: Dass sie eine solche gerne auch zwischen den Wettkämpfen verdrückt, ist schon fast zum Markenzeichen geworden.

Eine "Sprinterwurst" gab es vor vier Wochen bei der Deutschen Meisterschaft in Erfurt, dann war ihr mit 11,01 Sekunden eine neue Bestzeit gelungen. Einen Lauf unter elf Sekunden hatte sie damals schon angekündigt, "die zehn vor dem Komma kommt dann in den nächsten Jahren ganz bestimmt ein paar Mal". Sie sagt stets, was sie denkt, spricht über Essensvorlieben (Bratwurst) oder dass sie vor dem Rennen gelegentlich an einer Batterie leckt ("Wir sprechen das Nervensystem im Gehirn damit an"). Doch nun in London musste auch sie kurz schlucken, die Glücksgefühle überkamen sie nach dem Blick auf die Anzeige mit ihrer Zeit. "Das war einfach ein geiles Rennen, es hat einfach Spaß gemacht", sagte Lückenkemper.

"Bei 80 Metern dachte ich: Ich liege ja wirklich vorne, ich muss ja wirklich gut sein", erklärte sie. Dann lief sie halt zu Ende und war schließlich Vorlauf-Schnellste von 46 angetretenen Starterinnen, vor Jamaikanerinnen und Amerikanerinnen, die seit jeher den Sprint dominieren. Für gewöhnlich laufen die Besten im Vorlauf nicht mit maximalem Aufwand, Lückenkemper weiß das natürlich. Weiter als bis zum Halbfinale am Sonntagabend dachte sie deshalb noch nicht, "ich muss die Zeit erst mal wieder auf die Bahn bringen". Bis dahin will sie vor allem eines tun: Schlafen. "Auf den Mittagsschlaf morgen freue ich mich jetzt schon tierisch."

Ihr Geheimrezept? "`Ne ruhige Kugel schieben"

In der letzten Phase der WM-Vorbereitung habe sie "eigentlich echt `ne ruhige Kugel geschoben", erzählte sie, sich mit Freunden getroffen, "um was anderes zu sehen und mich über was anderes zu unterhalten". Das Laufen allein kann ihr auch manchmal zur Plage werden. Ruhe und Abschalten ist den vergangenen Monaten zu ihrem Geheimrezept geworden.

Eine ganze Woche hatte sie zwischenzeitlich mit dem Training ausgesetzt, sie kam nicht voran, nach dem Abitur im vergangenen Jahr hatte sich ihr Leben geändert. Sie startete vermehrt bei größeren Meetings in der Diamond League, das waren neue Erfahrungen rund um Reiseorganisation und Wettkampfabläufe. Lückenkemper stresste das, "mein Gehirn stand kurz vor der Kernschmelze", sagte sie ihn Erfurt, auch weil manche Läufe nicht so liefen wie geplant. Lückenkemper ging Reiten und Freunde treffen, dann ging es wieder bergauf. Und in London merkte sie schließlich, dass sie von den Erfahrungen der letzten Monate profitieren konnte. "Im Endeffekt hat sich gezeigt, dass wir da genau den richtigen Weg gegangen sind", sagte sie nun, bei der WM will sie auch noch mit der 4x100-Meter-Staffel antreten.

Einen Bratwurstersatz hat sie in London noch nicht gefunden, die britische Frühstückswurst "habe ich noch nicht probiert, die ist mir ein bisschen suspekt", sagt Lückenkemper. Aber was soll's: Dass sie auch ohne schnell sein kann, weiß sie nun.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: