Ghana vor dem Spiel gegen Deutschland:Unruhen um die Königsfamilie

Cameron of the U.S. fights for the ball with Ghana's Ayew during their 2014 World Cup Group G soccer match at the Dunas arena in Natal

Auf der heikelsten Position: Jordan Ayew ist erst 22, spielte gegen die USA aber anstelle von Kevin-Prince Boateng, der zunächst draußen blieb.

(Foto: REUTERS)

Wer soll den Deutschen bei Ghana eigentlich gefährlich werden? Die Brüder André und Jordan Ayew verleihen der Mannschaft Stärke. André gilt als weniger begabt, aber zielstrebiger. Der jüngere Jordan hat dagegen ein aufbrausendes Talent - ganz ähnlich wie Kevin-Prince Boateng.

Von Daniel Theweleit, Fortaleza

Die Bender-Brüder sind verletzt, auch Kevin Volland wurde aus dem Kader der deutschen Nationalmannschaft gestrichen, die Profis aus der Jugendabteilung von 1860 München gehörten zweifellos zu den Verlierern der vorweltmeisterlichen Monate. Ein klein wenig Stolz dürfen die Leute aus dem Giesinger Ausbildungsverein trotzdem empfinden, wenn am Samstagabend Deutschland gegen Ghana spielt.

In André Ayew wird nämlich ein Afrikaner dabei sein, der ebenfalls einmal das Trikot der Löwen trug. Der heute 24-Jährige spielte in München, während sein Vater Abédi Pelé zwischen 1996 und 1998 im Bundesligateam des TSV 1860 beschäftigt war. "Das waren wundervolle Jahre, ich erinnere mich sehr gern daran, vor allem an den Trainer Werner Lorant", hat Pelé vor einiger Zeit gesagt.

Als die Bayern 2012 in der Champions League auf Olympique Marseille trafen, ist Pelé mal wieder in München gewesen, um seine mittlerweile erwachsenen Söhne André und Jordan zu sehen, die damals beide für die Franzosen spielten. Und die nun in Brasilien Teil des ghanaischen WM-Projektes sind. Er sei "sehr, sehr stolz" auf seine Jungs, sagt Pelé über seinen erstaunlichen Nachwuchs. Neben dem 24-jährigen André und dem 22-jährigen Jordan gibt es sogar noch einen dritten Sprössling, Rahim, der beim Weltturnier in Südafrika vor vier Jahren im Kader der Black Stars stand.

Die Ayews sind so etwas wie die Königsfamilie des ghanaischen Fußballs. Vater Abédi Ayew, den sie schon als Jugendspieler nur Abédi Pelé nannten, weil sein Spiel Erinnerungen an den legendären Brasilianer weckte, ist der bislang erfolgreichste ghanaische Spieler. Er gewann 1993 als Spieler von Olympique Marseille gemeinsam mit Rudi Völler die Champions League und war zwischen 1991 und 1993 drei Mal hintereinander Afrikas Fußballer des Jahres. Obwohl in diesen Jahren auch Jay-Jay Okocha und George Weah spielten. Und bei der Wahl zum afrikanischen Fußballer des Jahrhunderts landete Pelé hinter Roger Milla und Weah auf Platz drei.

Nun hat der Ayew-Clan neben Jérôme und Kevin-Prince Boateng sowie Yaya und Kolo Touré (Elfenbeinküste) eines der drei Brüderpaare zu dieser WM befördert. Im ersten Spiel, dem 1:2 gegen die USA, standen beide Ayews in der Startelf. André ist auf dem linken Flügel eine zentrale Figur der Black Stars, und er spielt mit Olympique Marseille regelmäßig in der Champions League. "Ich bin mir sicher, dass wir gegen Deutschland ein gutes Ergebnis einspielen, und dass am Ende alles auf die Partie gegen Portugal ankommen wird", sagt er. André war auch der Mann, der den bislang einzigen WM-Treffer des Teams erzielte, "aber das bedeutet mir überhaupt nichts, weil dieses Tor meinem Land keine Punkte einbrachte", erzählt er.

Den stolzen Kevin-Prince Boateng verdrängt

World Cup 2014 - Group G - Ghana - USA

Bruder Andre Ayew schoss den Ausgleich - dennoch verlor Ghana noch das Spiel.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Im Herbst 2011, als die Franzosen Borussia Dortmund in der Vorrunde der Champions League mit 3:0 besiegten, schoss André zwei Tore, die seiner Mannschaft wirklich halfen, Jordan hingegen flog kurz vor Schluss mit einer gelb-roten Karte vom Platz. Der Jüngere der beiden Ayews habe mehr Talent, heißt es, aber ihn bremse sein aufbrausendes Temperament, während André der weniger Begabte sei, der aber seine Talente zielstrebiger ausreizt. Und Vater Abédi sitzt daheim in seinem Anwesen nahe der Hauptstadt Accra, schaut sich die WM im Fernsehen an und spielt die Rolle des Altweisen: "Nicht individuelle Klasse wird bei diesem Turnier der Schlüssel zum Erfolg sein, sondern Teamwork." Was wie eine Phrase klingt, kann in diesem Fall auch als Lobbyarbeit für seine Söhne verstanden werden.

Denn Trainer Kwesi Appiah hat in der ersten Partie den international noch wenig anerkannten Jordan, der in der vorigen Saison von Marseille zum Absteiger FC Sochaux ausgeliehen wurde, auf genau der Position aufgestellt, die auch der stolze Kevin-Prince Boateng gerne gespielt hätte. Diese Personalie steht im Zentrum der inneren Unruhen, von denen das ghanaische Lager in dieser Woche erschüttert wurde. Appiah zog Jordan Ayew dem Individualisten Boateng vor. Die Frage, ob die Entscheidung durch einen Ayew-Familienbonus forciert wurde, steht durchaus im Raum.

Zwar hieß es lange, Abédi Pelé und Trainer Appiah seien zerstritten, weil der heutige Nationaltrainer als Spieler vor dem Afrika-Cup 1992 sein Kapitänsamt an Pelé weiterreichen musste. Aber im vorigen Jahr haben beide demonstrativ Frieden geschlossen, und Pelé spricht inzwischen voller Wohlwollen über seinen Rivalen von einst. Appiah sei "ein großartiger Stratege, und unser Fußball ist im Moment phänomenal", sind Worte des Lobes, die Pelé jüngst als Spielervater und Experte in die Welt sendete. Eine offizielle Funktion hat Pelé in Ghanas Nationalverband aber nicht mehr, er ist heute vor allen Dingen Privatier, engagiert sich für wohltätige Projekte und führt als Präsident den kleinen Klub FC Nania aus der Umgebung der Hauptstadt Accra. Ein Amt übrigens, das ihm vor einigen Jahren großen Ärger bereitete.

Nach einem 31:0-Sieg des damaligen Zweitligisten gegen Okwahu United im Jahr 2007 gerieten der Klub, Pelé selbst und auch seine Gattin unter den Verdacht, das Spiel manipuliert zu haben. Pelé und der FC Nania wurden für ein Jahr aus der Fußballfamilie ausgeschlossen und mit einer hohen Geldstrafe belegt. Die Hintergründe des 31:0 wurden aber nie endgültig aufgeklärt, klar ist nur: Pelé kennt die Abgründe des afrikanischen Fußballs, die sich derzeit im WM-Lager des Nationalteams wieder öffnen. Und von diesem Wissen profitieren ganz bestimmt auch seine Söhne.

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