Gewichtheber Matthias Steiner:"Ich bin keiner, der Siebter oder Achter werden kann"

Die Leute haben an ihm einen Narren gefressen: Gewichtheber Matthias Steiner überraschte in Peking mit dem Gewinn der Goldmedaille, durch seine rührende Geschichte wurde er der prägende deutsche Athlet der Spiele. Was ist in London möglich? Medaillenchancen geben ihm nur wenige. Er sich jedoch durchaus.

Jürgen Schmieder, London

Die Briten, ja diese Briten, die haben's leicht. Die haben vor den Olympischen Spielen ein paar Athleten dazu auserkoren, Gesichter dieser Spiele zu sein. Die haben sie dann auf die Titelseiten ihrer Zeitungen gepackt oder auf Poster oder in Videofilme. Den Radfahrer Bradley Wiggins etwa, die Siebenkämpferin Jessica Ennis oder den Tennisspieler Andy Murray. Die gewannen dann auch Goldmedaillen, die britische Volksseele - nach den ersten Tagen noch gekränkt - ist mittlerweile fröhlich.

London 2012 - Matthias Steiner

"Ich bin kein 08/15-Athlet": Matthias Steiner.

(Foto: dpa)

Die deutsche Delegation hat es da nicht ganz so einfach gehabt. Wen hätte man zum prägenden Akteur ausrufen können? Den Ruder-Achter, klar, und der hat dann ja auch gewonnen. Aber acht Athleten wirken eben selbst auf einer Titelseite nicht so groß wie ein einziger Sportler. Britta Steffen, auch klar, aber die hat dann eher nicht so gewonnen. Kugelstoßer David Storl, vielleicht, aber der mag das mit den Titelseiten nicht so gern.

Also vielleicht doch Matthias Steiner, dieser freundliche Gewichtheber. Er füllt - man kann das sagen, ohne ihm zu nahe zu treten - schon allein mit seiner Statur eine Titelseite. Er hat ein einnehmendes Wesen, es hat noch keinen Menschen gegeben, der nach einer Begegnung mit ihm gesagt hätte, ihn nicht zu mögen. "Die Leute haben an mir einen Narren gefressen", sagt er, "ich liebe es schon, ein außergewöhnlicher Olympiasieger zu sein."

Vor vier Jahren in Peking, da hatte er insgesamt 461 Kilo nach oben gewuchtet und wurde Olympiasieger. Dazu war diese rührende Geschichte hinzugekommen. Bei der Siegerehrung hielt er ein Foto seiner tödlich verunglückten Frau in die Kameras. Die Geschichte ist oft erzählt worden.

Ich rufe mir das in den Kopf, wenn es darum geht, motiviert zu sein", sagt Steiner, "die Erinnerungen von Peking bleiben natürlich für immer in meinem Kopf, die verdränge ich auf keinen Fall."

"Das Feuer brennt"

Also doch Matthias Steiner als Gesicht der deutschen Mannschaft? Es gibt da nur ein Problem: Er wird keinesfalls erneut 461 Kilogramm schaffen können. "Die Zahlen von früher habe ich nicht mehr", sagt er. Es ist überhaupt nicht vorherzusehen, welche Zahlen er noch hat. Er ist verletzt gewesen in den vergangenen vier Jahren, sehr oft sogar, es war lange Zeit nicht klar, ob er in London überhaupt würde starten können.

"Für mich war klar, mit einem Einriss in der Sehne ist es vorbei", sagt Steiner, "ich habe dann mit dem Arzt gesprochen, und er hat gesagt, dass es knapp reichen könnte. Alleine diese Tatsache hat gereicht. Wenn dann aber noch ein paar Dinge auf mich zugekommen wären, hätte ich es bleiben lassen müssen." Es ist nichts mehr auf ihn zugekommen, also tritt er an.

Am Dienstag um 20 Uhr (MESZ) beginnt der Wettkampf, und offenbar wissen nicht einmal Steiner und sein Trainer Frank Mantek, was er leisten kann. Vor acht Wochen hat er 410 Kilo geschafft, das ist ein schlimmer Wert, als Startgewicht für London haben die beiden indes 445 Kilogramm eintragen lassen. "Das ist schon ein Risiko", sagt Steiner. Die beiden Trainingslager in Österreich seien allerdings gut gelaufen: "Ich bin kein 08/15-Athlet, ich bin nicht so gestrickt, dass ich Siebter oder Achter werden kann."

Der Wettbewerb beginnt mit dem Reißen, das ist seine schwächere Disziplin. 190 oder 195 Kilo wolle er anbieten, dann sei im Stoßen die Tür offen. Nur welche Medaille hinter der Tür liegen könnte, das will Steiner nicht sagen. Die Konkurrenten - Behdad Salimikordasiabi und Sajjad Anoushiravani Hamlabad aus Iran, der Russe Ruslan Albegow, der Ukrainer Artem Udachin und der Südkoreaner Jeon Sang-Guen - sind derzeit stärker als er. Eigentlich.

29 Jahre ist Matthias Steiner alt, er hat wieder geheiratet, einen zwei Jahre alten Sohn. Sein Kampfgewicht beträgt ein wenig mehr als 150 Kilogramm. Trainer Mantek sagt über ihn: "Matthias kann Außergewöhnliches leisten, aber er wird eine richtige Schlacht kämpfen müssen." Steiner selbst sagt: "Ich muss nur versuchen, nicht zu stark in Rückstand zu geraten, und muss aufpassen, dass alles im Rahmen des Möglichen bleibt. Wenn mir das gelingt, bin ich sicher in der Lage, einiges aufzuholen."

Der gebürtige Österreicher Matthias Steiner taugt immer noch dazu, ein deutsches Gesicht dieser Spiele zu sein: "Ich stehe jetzt mehr unter Beobachtung, aber das macht mir nichts aus. Ich selbst sehe mich nicht anders als vor vier Jahren: Ich bin der, der von unten angreifen muss. Das Feuer brennt." Vielleicht ist auch noch interessant zu wissen, dass zumindest von den Briten keine Gefahr droht. Die haben vorsichtshalber mal keinen Athleten geschickt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: