Gewichtheben:Der Ehrgeiz des Bären

Rudolf Mang BRD

"Wenn ich mir etwas vorgenommen habe und nicht das erreicht habe, was ich hätte erreichen können, verfolgt mich das": Rudolf Mang.

(Foto: Werner Schulze/imago)

Rudolf Mang war Welt- und Europameister, 1972 gewann er bei Olympia Silber. Am Montag ist er gestorben.

Von Benedikt Warmbrunn

Den Perfektionisten in sich hat Rudolf Mang nie besiegt, er hat ihn auch nie besiegen wollen. Wenn er mehr als 100 Kilogramm wiege, hat er einmal erzählt, "fühle ich mich nicht mehr wie ich selbst"; auch als er schon älter als 60 war, ging er also noch viermal in der Woche in sein Fitnessstudio direkt neben dem eigenen Haus. Unten im Keller hatte er sich eine Brauanlage aufgebaut, 200 Liter durfte er im Jahr brauen, und jeder Liter war ein Experiment, die Suche nach dem perfekten Mix. Mal mit weniger Hopfen, mal mit zusätzlichen Fruchtaromen. Seine Projekte trieben Rudolf Mang an, ob es um das eigene Körpergewicht ging, um Bier oder um olympisches Gold.

Der 5. September 1972 sollte der größte Tag in Mangs noch junger Karriere werden. Bei den Olympischen Spielen in München stand das Finale der Gewichtheber im Superschwergewicht an, und einer der Favoriten war Mang, der 22-Jährige aus Bellenberg, eineinhalb Autostunden von der Halle in München entfernt, genannt: Bär von Bellenberg, wegen seiner dunklen, gekräuselten Haare, seiner tiefen Stimme.

Nach seiner Karriere entwickelte er Fitnessgeräte und braute Bier. Er suchte weiter die Perfektion

Akribisch hatte sich Mang auf diesen 5. September vorbereitet, er hatte täglich mehr als ein Kilogramm Fleisch gegessen, er hatte wie besessen trainiert, er hatte alles unternommen, um 130 Kilogramm zu wiegen; erst viele Jahre später gestand er, dass er in seiner Karriere auch Anabolika genommen hatte: "Ich war kein Heiliger." Sein größter Konkurrent um die Goldmedaille war der Russe Wassili Alexejew, der 1970 bei der Spartakiade sieben Weltrekorde aufgestellte hatte, an einem Abend. Eine persönliche Bestleistung, das wusste Mang, und er könnte Alexejew dennoch besiegen. Er suchte die Perfektion.

Am Morgen des 5. September hörte Mang jedoch auf der Fahrt in die Halle im Autoradio immer wieder eine Meldung: eine Geiselnahme im Olympischen Dorf, in der Nacht zuvor hatten acht palästinensische Terroristen elf Israelis in ihre Gewalt genommen. Mang fuhr weiter. Erst an der Halle sagten sie ihm, dass das Finale nicht stattfinden werde. Wenige Stunden später wusste er, dass es am nächsten Tag stattfinden sollte. Also am Tag nach dem Tag, auf den er so lange hingearbeitet hatte. Mang ging spazieren, ging den Wettkampf im Kopf durch, machte noch einmal all das, was er schon am Tag zuvor gemacht hatte. Es half nichts.

Das Gewichtheben war damals noch ein Dreikampf: Drücken, Reißen, Stoßen. Im Drücken verfehlte Mang seine Bestmarke. Im Reißen auch. Und dann auch noch im Stoßen. Insgesamt kam er auf 610 Kilogramm, Alexejew schaffte 30 Kilogramm mehr, aber das störte Mang nicht. Ihn störte, dass er 20 Kilogramm hinter seiner eigenen Bestleistung geblieben war. Er, der Perfektionist, hatte sein eigenes Ziel nicht erreicht. Noch am selben Abend fuhr er zurück nach Bellenberg. Noch vier Jahrzehnte später sprach er nicht gerne über dieses olympische Finale. Er sagte dann: "Wenn ich mir etwas vorgenommen habe und nicht das erreicht habe, was ich hätte erreichen können, verfolgt mich das."

Kaum ein deutscher Gewichtheber war so erfolgreich wie Mang, im Reißen wurde er 1973 Weltmeister sowie 1971 Europameister, dreimal wurde er deutscher Meister im Mehrkampf. Zweimal stellte er einen Weltrekord auf, 1972 im Drücken auf 230,5 Kilogramm, 1973 im Reißen auf 183,0 Kilogramm. Mang selbst fand dennoch, dass seiner Karriere etwas fehlte. "Wenn mich mein Ehrgeiz einmal gepackt hat, lässt er mich nicht mehr los. Nie mehr", sagte er einmal.

1974 musste er als 24-Jähriger seine Karriere beenden. Die Knie, die Ellenbogen, das Kreuz, alles schmerzte. Mangs Körper war nicht so stark wie sein Ehrgeiz, unter diesen Bedingungen genügte Mang als Gewichtheber nicht mehr den eigenen Ansprüchen. Anschließend eröffnete er Fitnessstudios, er entwickelte Fitnessgeräte. Er blieb ehrgeizig.

Am Montagabend starb Rudolf Mang im Alter von 67 Jahren in seinem Fitnessstudio an einem Herzinfarkt.

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