Gewalt bei Fußballfans:Kritischer Moment im Stadion

1. FC Nürnberg - SpVgg Greuther Fürth

Alles blieb weitgehend friedlich: eine Szene vom Derby zwischen dem 1. FC Nürnberg und Greuther Fürth in der vergangenen Saison

(Foto: dpa)

Ein schwer verletzter H96-Fan, Ausschreitungen von Union-Anhängern: In der Öffentlichkeit verstärkt sich der Eindruck, dass die Fußballfans als solche immer durchgeknallter werden. Doch mit Vorschriften lässt sich das Problem nicht lösen. Nur durch Dialog - und nur mit den Fans.

Ein Kommentar von Boris Herrmann

Es ist noch keine zwei Wochen her, als sich in Berlin eine Sternstunde der Fankultur ereignete. Mehr als 700 Fans von 80 deutschen Fußballklubs diskutierten ein Wochenende lang über sich und ihren Platz in der Welt. Was hängen blieb, war die Botschaft: Sie wollen diese Welt aktiv mitgestalten. Sie wollen, dass der Fußball bunt und stimmungsvoll bleibt, dass er sich nicht vollends der Kommerzialisierung ausliefert, dass er Gewalt und Rassismus keine Chance gibt.

Es war eine hoffnungsfrohe Botschaft. Das Problem war nur: Kaum einer hat sie gehört. Sie ist einer Reihe von schlechten Botschaften zum Opfer gefallen.

In der Kölner Innenstadt wurde ein Mensch lebensgefährlich verletzt, als sich verfeindete Hooligans zur öffentlichen Prügelei trafen. In Stockholm sorgten Fans von Union Berlin und Djurgårdens IF für den Abbruch eines Freundschaftsspiels, als sie auf dem Platz ein Inferno veranstalteten. In Wolfsburg verlor ein Fan von Hannover 96 wohl große Teile seines Gehörs, weil neben seinem Ohr ein Böller explodiert war. Drei Vorfälle aus den vergangenen zehn Tagen sind das, die nichts miteinander zu tun haben - und doch zusammenhängen. Gemeinsam verstärken sie in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass die Fußballfans als solche immer durchgeknallter werden.

Die Fußballfans als solche gibt es natürlich nicht. In den Stadien halten sich vermutlich genau so viele Anständige, aber auch genau so viele Halbseidene und Hirnrissige auf wie draußen im richtigen Leben. Deshalb ist es auch so absurd, zu glauben, man könnte die Welt verbessern, wenn man die Kurven befriedete. Es geht nur umgekehrt.

Die Verbesserung der Welt aber ist ein höchst kompliziertes Unterfangen. Das klappt nicht mit Sonntagsreden oder mit der symbolischen Demonstration staatlicher Stärke. Wenn überhaupt, dann klappt es im Dialog. Deshalb dürfen Verbände, Vereine und Politik jetzt nicht den Fehler machen, die guten Botschaften aus der Fanszene zu überhören. Das Gespräch mit den Wohlgesinnten muss weitergehen. Jetzt erst recht.

Tatsächlich ist die Lage nämlich äußerst kritisch. Denn die Ultra-Bewegung, die von jungen Leuten um die 20 getragen wird, steht womöglich vor einer Spaltung. Der klassische Ultra will die Stimmung verbessern, zur Not auch mit verbotenen Mitteln, aber er sucht keine Gewalt. Nun scheint sich aber eine Teilgruppe aus Ultras herauszubilden, die gezielt Gewalt provoziert, sich gewissermaßen klassisch hooliganistisch verhält.

Diese Gruppe zieht wiederum die längst verschwunden geglaubten Alt-Hools um die 40 Jahre an, und mit ihnen gewinnen auch rechtsradikale Strömungen wieder an Einfluss. Alles Schlechte aus zwei Generationen scheint sich hier zu verbinden.

Der Fußball wird nie in einer heilen Welt stattfinden. Für ihn geht es jetzt darum, die akuten Probleme schonungslos zu benennen und gleichzeitig die vernünftigen Kräfte zu stärken. Damit die nächste Generation der Stadiongänger sich nicht der falschen Seite anschließt.

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