Horst Hrubesch wählte 4-1-4-1: eine klassische Abwehrkette, davor Johannes Geis als defensiver Mittelfeldspieler und davor eine offensive Viererreihe mit Joshua Kimmich und Emre Can im Zentrum. Hrubesch hatte die deutsche U 21 nie zuvor dieses System spielen lassen. Der Juniorenbundestrainer beharrte über eineinhalb Jahre hinweg auf einem 4-2-3-1, aber dann, am Samstag im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Portugal, entschied sich Hrubesch plötzlich für zwei offensive Mittelblocker namens Kimmich (FC Bayern) und Can (FC Liverpool). Hrubeschs Motivation für diese neue Strategie hatte einen Namen: William Carvalho.
Der portugiesische Mittelfeldspieler Carvalho, 23, ein klassischer Sechser von Sporting Lissabon, hat sich im Halbfinale gegen die als hoher Favorit gehandelte deutsche Mannschaft von Kimmich, Can und Geis nicht aufhalten lassen. Vorangetrieben von Carvalho und seinen variantenreichen Spieleröffnungen, demütigte Portugal die deutsche U 21 mit 5:0-Toren.
Carvalho, 1,87 Meter groß und 89 Kilo schwer, ein bulliger Typ, der keinen Zweikampf scheut, ist von allen 184 jungen Fußballern bei dieser U-21-EM jener mit dem höchsten Marktwert. Allerdings dürften die 22 Millionen Euro, die auf einschlägigen Internetseiten für ihn veranschlagt werden, nicht annähernd der Realität entsprechen.
Carvalhos Ausstiegsklausel in Lissabon (Vertrag bis 2018) soll eher Richtung 50 Millionen Euro gehen. Der in Angola geborenen Fußballer wird mit diversen Premier-League-Klubs in Verbindung gebracht. Sein Berater Jorge Mendes zählt im britischen Fußball zu den einflussreichsten Strippenziehern. Der FC Arsenal und Manchester United gelten als Kandidaten, doch aus Portugal sind auch andere Entwicklungen zu vernehmen. Nach Informationen der Zeitung Corrio da Manha ist auch der FC Bayern an einer Verpflichtung des Defensivspezialisten interessiert. Am Dienstagmorgen griff zudem Sky Sports News HD entsprechende Meldungen auf. Die Frage ist nur, wo der Portugiese im dicht besetzten Münchner Mittelfeld spielen würde.
Ehe er sich mit einem möglichen Transfer beschäftigt, konzentriert sich Carvalho ohnehin auf das Endspiel bei der U-21-EM, in dem Portugal an diesem Dienstag (20.45 Uhr) im Prager Eden-Stadion auf Schweden trifft. Carvalho ist bei dieser EM mit 284 angekommenen Pässen in vier Spielen der aktivste und passsicherste Fußballer aller Teams. Außer Carvalho stehen vier weitere Spieler von Sporting Lissabon im portugiesischen U-21-Kader. Die Akademie des Klubs hat in den vergangenen Jahren nicht nur Nani, Luis Figo und Cristiano Ronaldo hervorgebracht, sondern Dutzende Spieler, die heute über Klubs in ganz Europa verteilt sind.
Seit 2002 haben mehr als 100 Spieler die Akademie (Jahresetat fünf Millionen Euro) verlassen und dem Klub mehr als 100 Millionen Euro Transfererlös eingebracht. 150 Scouts sichten weltweit "Rohmaterial", wie es im Nachwuchskonzept des Klubs heißt. Danach beginnt eine präzise, zielstrebige Ausbildung der besten Talente mit festem 4-3-3-Spielsystem. Carvalho, mit 13 nach Lissabon gekommen, zählt mit seinen nun 23 Jahren längst fest zu Sportings Erstligakader und hat zudem bereits 13 Länderspiele für Portugals A-Nationalteam bestritten, darunter das 2:1 gegen Ghana bei der WM 2014 in voller Länge. Er gilt als Juwel der Sporting-Akademie.
In Brasilien ist Portugal über die Gruppenphase nicht hinausgekommen. Carvalho und U21-Kollegen wie Bernardo Silva (FC Monaco), Joao Mario (Sporting) oder Sergio Oliveira (Pacos de Ferreira) nähren in Portugal die Hoffnung auf eine goldene Generation. Immerhin hat diese Mannschaft nun die Chance, erstmals überhaupt für Portugal die U21-EM zu gewinnen.
Dies war 1994 nicht einmal der legendären Mannschaft mit Luis Figo und Rui Costa gelungen, die damals im Finale 0:1 gegen Italien mit Filippo Inzaghi, Fabio Cannavaro oder Christian Panucci verlor. William Carvalho hat vor diesem Hintergrund am Dienstag in Prag ein ganz verständliches Ziel: "Wir wollen Geschichte schreiben."