Gelb-rot für Cana:Denkmal unter Beschuss

Gelb-rot für Cana: Ausgerutscht und dann auch noch mit der Hand an den Ball gekommen: Das erste EM-Spiel Albaniens war für Kapitän Lorik Cana früh vorüber.

Ausgerutscht und dann auch noch mit der Hand an den Ball gekommen: Das erste EM-Spiel Albaniens war für Kapitän Lorik Cana früh vorüber.

(Foto: Darko Vojinovic/AP)

Albaniens Kapitän sieht gelb-rot gegen die Schweiz, in der er aufwuchs. Nun fehlt er gegen Frankreich, wo er lebt und spielt. Der Trainer kritisiert ihn hart.

Von Thomas Hummel, Lens

Trainer Giovanni De Biasi reagierte unerbittlich. Die gelb-rote Karte für seinen Kapitän Lorik Cana sei gerechtfertigt gewesen, referierte der Italiener. "Er hätte die rote Karte vermeiden können. Man kann Fehler machen, aber nicht solche wie er. Und sich so von den Emotionen leiten lassen." Das saß.

Lorik Cana ist mit 32 Jahren ein spielendes Denkmal in seinem Land. Rekordnationalspieler, Identifikationsfigur, Abwehrchef. Diese Europameisterschaft sollte der Höhepunkt seiner Karriere werden. Als Anführer einer albanischen Mannschaft, die sich erstmals für ein großes Turnier qualifizierten konnte. In der Vorrunde gegen die Schweiz, wo er zehn Jahre seiner Kindheit verbrachte. Dann gegen Frankreich, das ihn als Jugendlicher aufnahm und wo er nun beim FC Nantes spielt.

Doch jetzt sieht alles danach aus, als hat sich dieser vermeintliche Höhepunkt in einen realen Albtraum verwandelt.

Kein Mitspieler protestiert, das Vergehen ist zu klar

Nach 36 Minuten fliegt ein Pass der Schweizer über ihn hinweg, er führt ein Laufduell gegen den Stürmer Haris Seferovic. Er verzieht das Gesicht, er greift mit der Hand nach dem Gegner, er sieht verzweifelt aus. Er denkt, er ist der letzte Mann, die letzte Rettung für sein Team, wie so häufig. Also legt er alles hinein in diesen Zweikampf. Doch dann rutscht er aus. Reckt im Liegen den Hals, um den Ball mit dem Kopf noch irgendwie aufzuhalten. Als ihm das nicht gelingt, schnellt der Arm hoch und bugsiert den Ball weg. Absichtliches Handspiel. Gelbe Karte. Und weil er zuvor schon ein übermütiges Foul an der Mittellinie begangen hat, zeigt ihm der Schiedsrichter Gelb-Rot.

Kein Mitspieler protestierte ernsthaft, das Vergehen war zu klar. Sie schauten ihrem Kapitän stattdessen stumm hinterher, wie er mit hängendem Kopf den Platz verließ. Sie benötigten eine Weile, um sich daran zu gewöhnen, nun ohne Lorik Cana das erste EM-Spiel der Geschichte ihres Landes bestreiten zu müssen. Sie taten das gar nicht mal schlecht und hätten fast noch den Ausgleich erzielt. Doch das lang ersehnte Duell gegen die Schweiz ging 0:1 verloren. Und Trainer De Biasi schimpfte auf den Kapitän.

Ob es ihn trösten mag, dass er schon Schlimmeres erlebt hat? Lorik Cana war mit seinen Eltern als Sechsjähriger nach Lausanne gekommen. Dort sah ihn Arsène Wenger, der ihn mit 16 Jahren sofort nach London lockte. Cana packte die Sachen, zusammen mit seiner Familie stand er am Flughafen. Doch die Briten ließen die Kosovo-Albaner nicht einreisen, sie hatten kein gültiges Visum. Der Traum einer großen Karriere schien schon beendet zu sein, ehe sie begann.

Der erste Albaner, der sich in großen Ligen durchsetzt

Gerettet hat diesen Traum Paris Saint-Germain. Als der Klub Wind von der Sache bekam, holten die Franzosen die Canas nach Paris, diesmal klappte es. Es folgte eine ordentliche Karriere in Paris, Marseille, Sunderland, Istanbul, Rom und Nantes. Cana war der erste Albaner, der sich in all diesen großen Fußballligen zuverlässig durchsetzte.

Nebenbei bemühte er sich zunehmend um die eigene Nationalmannschaft. Er kannte ja die Gegebenheiten in der Schweiz, dass dort viele Kinder geflüchteter Albaner eine ordentliche Fußball-Ausbildung erhielten. So erzählt beispielsweise Migjen Basha, derzeit bei Como in Italien unter Vertrag, dass ihn Cana eines Tages angerufen habe, um ihn zu überreden, für Albanien zu spielen. "Er hat alles für mich gemacht", sagte Basha, und tatsächlich: Albanien erhielt den Zuschlag. "Er ist als Kapitän geboren, das kam natürlicherweise zu ihm", erklärt Verbandschef Armand Duke. Falls Cana irgendwann will, wird auch das Amt des Nationaltrainers ganz natürlich zu ihm kommen.

Doch zuerst wollte er auf dem Platz noch ein wenig albanische Fußballgeschichte mitgestalten. "Es tut mir leid für ihn", erklärte De Biasi immerhin, "Lorik wird natürlich sehr traurig sein, nicht gegen Frankreich spielen zu können." Er wird dann als Denkmal auf der Tribüne sitzen.

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