Gegen Polen, Nordirland, Ukraine:"Dann will ich sie schlagen"

Die Vorrunde dürfte für die Weltmeister zum bequemen Prolog werden. Ein Vergleich mit Angstgegner Italien droht erst später - Bundestrainer Joachim Löw gibt sich jetzt schon kämpferisch.

Von Philipp Selldorf

Mancher Kenner hatte gemutmaßt, dass sich Joachim Löw geistig und moralisch in die private Winterpause verabschieden würde, sobald er pflicht- gemäß seine Meinung zum Losentscheid kundgetan hätte. Letztlich war es ja kein allzu erfreuliches Jahr für den Bundes- trainer, nicht nur wegen der dramatischen Geschehnisse im Stade de France in Paris an jenem leider unvergesslichen Freitag, den 13. und wegen der unheilvollen Umstände rund um das ausgefallene Testspiel in Hannover, als die Polizei den deutschen Mannschaftsbus auf dem Weg zum Stadion plötzlich auf offener Straße zur Umkehr dirigierte und in hohem Tempo aus der Stadt führte. Auch die Turbulenzen im DFB, der erzwungene Abschied des von Löw geschätzten Präsidenten Wolfgang Niersbach und die bis zum Schluss zähe und recht glanzlose Qualifikationstour seines Teams sorgten nicht für Erheiterung.

EM-Auslosung in Paris

Er fehlt ihm noch: Weltmeister-Trainer Joachim Löw kommt dem EM-Pokal bei der Gruppen-Auslosung in Paris schon mal sehr nahe.

(Foto: Cyril Moreau/Action Press)

Aber statt nach dem Zeremoniell im Kongresspalast Abstand zu suchen, unternahm Löw mit seinen Getreuen einen kleinen Bummel durch die französische Hauptstadt samt anschließendem Abendessen, und am nächsten Tag reiste er nicht nach Hause Richtung Freiburg, sondern nach Berlin zur Dienstbesprechung mit seinen Assistenten Thomas Schneider und Andreas Köpke. Dort wurde beratschlagt, was zu tun ist, bis die deutsche Elf am 12. Juni um neun Uhr abends in Lille ihr erstes Spiel bei der Europameisterschaft 2016 bestreiten wird. Schon am Samstag in Paris hat Löw angefangen, sich auf diesen Tag zu freuen.

Die Aussicht auf die EM in Frankreich betrachtet er - unabhängig vom allzeit präsenten Sicherheitsthema - als Versprechen: Unter anderem deshalb, weil das Turnier in einem Land stattfindet, in dem außer Fußball und einem angenehmen Klima auch das gute Leben zu Hause ist.

Das Ergebnis der Auslosung rief bei Löw hingegen allenfalls geringfügige Gefühle hervor. "Ich bin weder hochzufrieden noch unzufrieden. Wir nehmen es, wie es kommt", erklärte der 55-jährige Coach, nachdem ihm der Zeremonienmeister David Trezeguet eine Vorrundengruppe mit den Gegnern Ukraine, Polen und Nordirland beschert hatte. Dieser vermeintlich gleichgültigen Bemerkung wohnt ein majestätischer Unterton inne, eine Haltung des "tangiert-mich-nicht". Sie leitet sich aus den maximalen Ansprüchen ab, die auf selbstverständliche Weise im Land des Weltmeisters herrschen und von Löw ohne Bedingungen geteilt werden. Er nimmt die Favoritenrolle nicht an - er setzt sie kategorisch voraus. Emotionale Anteilnahme offenbarte er daher nur, als der fröhliche Monsieur Trezeguet aus der letzten Lostrommel die Kugel mit der Aufschrift "Ukraine" zog. Auch Italien hatte sich noch in der Auswahl befunden, und auf Italien hatte Löw es abgesehen. Anders als Teammanager Oliver Bierhoff ("Wir haben Glück gehabt, Italien wollten wir unbedingt vermeiden.") war Löw enttäuscht, dass sein Wunsch nicht erfüllt wurde. "Ich war zweimal dabei, als wir wichtige Spiele gegen Italien verloren haben. Irgendwann will ich wieder gegen sie spielen, und dann will ich sie schlagen", sagte er.

Das jüngste Turnierspiel gegen Italien fand in Warschau im Halbfinale der EM 2012 statt und brachte den siegesgewissen Deutschen statt der Finalteilnahme eine Heimreise. Mario Balotelli machte das Spiel seines Lebens, Löws Trainerperformance ging hingegen nicht als Meisterstück in die DFB-Fußballgeschichte ein. So kritische Debatten um seine Trainerkunst wie nach diesem 1:2 von Warschau hatte er zuvor noch nie erfahren müssen. Seitdem hat Löw nicht nur mit Italien eine Rechnung offen, sondern auch mit der Europameisterschaft an sich. Auch 2008 hatte die EM ja in der 0:1-Finalniederlage gegen Spanien ein Ende genommen, das substanzielle Unzufriedenheit hinterließ.

Das Turnier in Frankreich schafft für die anspruchsvollen Teams allerdings eine bisher unbekannte Herausforderung. Durch die erhöhte Teilnehmerzahl und den Platzierungsmodus zur K.o-Phase stellt die Vorrunde für die Favoriten und somit auch für die DFB-Elf eine Art Prolog dar. 2012 forderten Holländer, Dänen und Portugiesen die Deutschen von Anfang an, nun droht der Eindruck latenter Unter- forderung, auch wenn sich die deutschen Offiziellen in Paris manch achtungsvolle Äußerung zu den Widersachern abzuringen wussten. Löw erinnerte an die Eindrücke aus der Qualifikation, als er den Polen seinen Respekt aussprach, zeigte sich aber auch über die anderen Kontrahenten gut informiert: "Die Ukraine hat sehr wenige Gegentore bekommen. Sie legen viel Wert auf Defensive und Konterspiel. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Nordirland hat einen eigenen Stil. Die Nordiren spielen körperlich stark, robust, lauffreudig. Sie operieren viel mit hohen Bällen und haben kopfballstarke Spieler."

Der Ernst des Fußball-Lebens droht auch im Achtelfinale kaum, dafür dann mehr oder weniger plötzlich ab dem Viertelfinale. Dann stehen Gegner wie Belgien, Italien oder Kroatien bereit oder - falls die Deutschen als Gruppenzweiter abschließen - Spanien. Und im Halbfinale zeichnet sich die Begegnung mit Frankreich ab. Mit der Vorbereitung auf diesen Ernstfall hat Löw am Sonntag in Berlin begonnen.

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