Fußball-Zweitligist Eintracht Braunschweig:Lachnummer war gestern

Torsten Lieberknecht, Eintracht Braunschweig, Zweite Fußball Bundesliga

"Wir waren mal eine Lachnummer": Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht (Archivbild).

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Eintracht Braunschweig startet als Tabellenführer ins neue Zweitliga-Fußballjahr. Der Vorsprung ist so groß, dass einiges schiefgehen müsste, damit der Klub am Saisonende nicht in die Bundesliga aufsteigt. Der Aufschwung hat viel mit Trainer Torsten Lieberknecht zu tun.

Von Carsten Eberts, Hamburg

Wenn Torsten Lieberknecht durch die Straßen von Braunschweig läuft, spürt er den Stolz der Einwohner. Die, so sagt er, könnten ja immer noch nicht glauben, was gerade abgeht. Die Eintracht thront auf Tabellenplatz eins der zweiten Liga, könnte am Saisonende nach 28 Jahren Absenz in die Bundesliga zurückkehren. Der Klub ist das Stadtthema Nummer eins. "Geht es der Eintracht gut, geht es den Menschen in Braunschweig gut", glaubt Lieberknecht.

Den Braunschweigern ging es sogar selten besser. Zwölf Punkte Vorsprung hat die Mannschaft auf den Relegationsplatz, 15 sind es auf den ersten Nichtaufstiegsplatz. 64 Punkte reichten in den vergangenen Jahren stets zum Aufstieg, in der Hinrunde hat die Eintracht bereits 44 gesammelt. Es müsste viel schieflaufen, damit Braunschweig im kommenden Jahr immer noch in der zweiten Liga kickt.

Das weiß auch Lieberknecht. Am Samstag startet seine Mannschaft ins neue Fußballjahr, doch es geht zunächst nicht um den Aufstieg - sondern nur gegen Paderborn. Viele Trainer würden zum jetzigen Zeitpunkt Negativszenarien heraufbeschwören, das böse Wort mit "A" weit wegschieben. Lieberknecht bremst, aber nicht zu sehr: "Der Aufstieg wäre ein Ding, das du gar nicht in Worte fassen kannst, aber wir würden uns nicht dagegen wehren."

"Wir waren auch schon mal eine Lachnummer"

Lieberknecht, Jahrgang 1973, zählt zur Generation erfolgreicher deutscher Jungtrainer. Nicht ganz auf einer Stufe mit dem Mainzer Thomas Tuchel, jedenfalls nicht in der öffentlichen Wahrnehmung, aber doch knapp dahinter. Ein Tüftler, der seine Mannschaft übers Kollektiv zum Erfolg führt, eloquent in der Ansprache. Gelänge im Sommer der Aufstieg mit Braunschweig, wäre es tatsächlich ein großes Ding. Lieberknecht dürfte irgendwann ohnehin in der ersten Liga landen. Aber die Eintracht?

Vor knapp fünf Jahren, im Sommer 2008, wäre der Klub fast verschwunden. Lieberknecht, damals Jugendcoach, hatte die Mannschaft drei Spieltage vor Schluss von Benno Möhlmann übernommen, erst in letzter Sekunde wurde der Abstieg in die Regionalliga vermieden. Lieberknecht glaubt, dass vom einst ruhmreichen Verein mit seinen nicht immer einfachen Fans kaum etwas übrig geblieben wäre. Ähnlich wie es Rot-Weiß Essen oder dem 1. FC Magdeburg erging. Vom Abstiegsplatz der dritten Liga führte der neue Trainer das Team in viereinhalb Jahren zur Zweitliga-Herbstmeisterschaft. "Wir waren auch schon mal eine Lachnummer", sagt Lieberknecht. Auch das gehört zur Braunschweiger Geschichte.

Als Bundesliga-Gründungsmitglied wurde der Klub 1967 überraschend Meister, gewann im Europapokal gegen Juventus Turin, war 1971 in den Bundesliga-Skandal verwickelt. Paul Breitner spielte mal hier, auch war Braunschweig der erste Klub, der Werbung auf die Trikots flocken ließ. Danach ging es bergab. Seit dem Abstieg 1985 dümpelte der Verein zwischen zweiter Liga und Regionalliga. In der Chaosspielzeit 2006/07 leistete sich die Eintracht fünf Trainer. Auch so ein Rekord.

Seltenes Versprechen

Mit Lieberknecht leistete sich die Eintracht nur einen Trainer in den letzten fünf Jahren. Der kommt aus dem Südwesten, aus Bad Dürkheim in der Vorderpfalz. Er hat für fast alle namhaften Klubs in der Region gespielt. Seine Karriere als Fußballer führte ihn von Kaiserslautern über Mannheim, Mainz und Saarbrücken nach Braunschweig. Dort hat Lieberknecht eine neue Heimat gefunden.

Manchmal verstehen die Leute in Niedersachsen seinen singenden Pfälzer Dialekt nicht, selbst wenn er sich bemüht. Auch mit dem Humor ist es nördlich des Harzes nicht immer leicht. Doch Lieberknecht fühlt sich wohl. "Handlungsreisender in Sachen gefallene Traditionsklubs" hat ihn das Magazin 11 Freunde einmal genannt. Seinen Vertrag hat er kürzlich bis 2015 verlängert.

Die Frage ist, ob die Braunschweiger Entwicklung nicht zu rasant verläuft. Und ein weiteres Jahr Zweitklassigkeit dem Team guttun würde. Lieberknecht hat keine bekannten Namen in seiner Mannschaft, am ehesten noch Stürmer Domi Kumbela. Stattdessen spielt da ein gut geöltes Kollektiv mit großer taktischer Disziplin. "Manche fragen sich, was wir da oben zu suchen haben", weiß auch Lieberknecht. Verfolger Hertha BSC muss an guten Tagen schauen, welcher Topstürmer diesmal auf der Bank sitzt. Solche Probleme hat Lieberknecht nicht. Seine prägenden Spieler heißen Ken Reichel, Mirko Boland oder Dennis Kruppke. Der Trainer glaubt: "Viele nehmen uns immer noch nicht ernst."

Seltenes Versprechen an die Spieler

Lieberknecht würde den Aufstieg trotzdem mitnehmen. Wer weiß, ob sich so schnell die Gelegenheit noch mal bietet. Der Verein sei bereit, sagt er, beziehungsweise tut einiges dafür. Am Stadion wird mächtig gebaut, die Haupttribüne wird umgestaltet. Manchmal muss Lieberknecht lachen, wenn er in Ruhe reden möchte - und doch wieder ein Presslufthammer dazwischenbrüllt. Bis zum Herbst soll das Gröbste geschafft sein. Der Verein macht sich infrastrukturell fit für die Zukunft.

Von einer langfristigen Option in der ersten Liga spricht trotzdem keiner. Eher von einem Abenteuer. Die Bundesliga erlebt schließlich gerade, wie ein kleiner Traditionsklub unter großem Jubel in die erste Liga gestürmt ist - und nun abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz hängt. Er verfolge die Entwicklung bei Greuther Fürth aus der Ferne, sagt Lieberknecht, werde aber keine Ratschläge erteilen.

Lieber gibt er seinen Profis ein seltenes Versprechen: Gelingt der Aufstieg, plant der Klub keinen großen Umbruch. "Ich würde jeden einzelnen Spieler mitnehmen", sagt Lieberknecht. Quasi als Belohnung. Vier oder fünf neue Spieler, die für Liga eins nötig wären, würde er gemeinsam mit Sportchef Marc Arnold auch so im Kader unterbringen. Die Chance, in der großen Bundesliga zu spielen, will er niemandem verwehren.

Niemandem, der mitgeholfen hat, dass Eintracht Braunschweig wieder ein Gesprächsthema ist.

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