Fußball:Daran kranken die Traditionsvereine

VfB Stuttgart v 1. FSV Mainz 05 - Bundesliga

Künftig nur noch zweite Liga: Christian Gentner und der VfB Stuttgart.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Stuttgart, Bremen, Frankfurt: Viele Traditionsvereine kämpfen ums Überleben. Und daran sind nicht bloß Emporkömmlinge wie Hoffenheim oder Leipzig schuld.

Kommentar von Ralf Wiegand

Angeblich geht es den Traditionsvereinen im deutschen Fußball sehr schlecht. Gerade ist die 53. Spielzeit in der Bundesliga zu Ende gegangen, der 1893 gegründete VfB Stuttgart ist abgestiegen, und die nur sechs Jahre später zur Welt gekommene Frankfurter Eintracht muss gegen den aus dem Jahr 1900 stammenden 1. FC Nürnberg um den Klassenerhalt kämpfen. Die Franken waren mal Fußball-Rekordmeister, den letzten ihrer neun Titel gewannen sie allerdings im Jahr des Prager Frühlings.

Werder Bremen ist diesem Schicksal - also dem Abstieg, nicht den Panzern des Warschauer Pakts, die damals durch Prag rollten - knapp entronnen, was jene Gruppe von Schülern vor 117 Jahren auch nicht gedacht hätte, als sie den "Fußball-Verein Werder" erfand. Alsbald trug der das erste Wettspiel auf einer feuchten Wiese an der Weser aus, vor überlieferten 18 Zuschauern. Den Klassenerhalt des übernächsten Jahrhunderts feierten 42 000.

Die Guten, die Schlechten und die Übermächtigen

Bremen, Stuttgart und Frankfurt gehören zu einer Gruppe von Traditionsvereinen, die sich als "Team Marktwert" aufgestellt hat, um in den kommenden Verhandlungen über die Fernsehrechte am Bundesliga-Fußball höhere Beteiligungen für ihresgleichen rauszuschlagen. Sonst, so die Klage, ginge die Schere zwischen ihnen und den Großen der Liga noch weiter auseinander. (Die Schere ist eine Art sozialdemokratische Allzweckwaffe, im Fußball wie in der Politik.)

Womöglich geht es den Traditionsvereinen aber auch nur deshalb so schlecht, weil es hierzulande fast nur Traditionsvereine gibt. Das ist wohl so in einem Land, das seinen Fußballweltmeistern von 1954 bei der Staatswerdung der Bundesrepublik bisweilen mehr Bedeutung beimisst als den Autoren des Grundgesetzes. Sogar das als Pillendreher-Klub verspottete Bayer Leverkusen wurde schon vor 112 Jahren als "Turn- und Sportverein der Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer & Co." aus der Taufe gehoben. Der VfL Wolfsburg ist seit 70 Jahren auf dem Markt, viel früher ging nicht, da gab es die Stadt dazu noch nicht.

Sogar die TSG Hoffenheim, die von SAP-Gründer Dietmar Hopp gehätschelte Turn- und Sportgemeinschaft aus Sinsheim, gehört zu den Babyboomern des Jahres 1899. Zur Jahrhundertwende sind sehr viele Vereine entstanden, die heute im Überlebenskampf ihre Tradition ins Feld führen.

Bloß: Gegen wen eigentlich? Die Übermächtigen des FC Bayern München, mit einer halben Milliarde Euro Umsatz und fast ebenso vielen Punkten Vorsprung in der Tabelle gerade zum 26. Mal Deutscher Meister geworden, sind selbst der Inbegriff des Traditionsvereins. Die Bayern gibt es lange (seit 1900), sie haben eine bewegte Geschichte und Anhänger aus allen Schichten und Regionen des Landes. Ebenso wie die zweite aktuell sehr potente Kraft, der Ballspielverein Borussia Dortmund - reinste Ruhrpottfolklore seit 107 Jahren, inklusive Scheintod und Wiederauferstehung vor nicht einmal 15 Jahren.

Was die Traditionsvereine wirklich beklagen

Was die abgehängten unter den Traditionsvereinen wirklich beklagen, ist ihr Standort und der Lauf der Dinge. Als Sportvereine in irgendein Stadtviertel hineingeboren, im Fußball zu Amateurzeiten groß geworden, haben sich alle Klubs in den letzten Jahren in Unternehmen verwandeln müssen - sofern sie weiter dabei bleiben wollten, als der Kommerz einmarschierte. Doch für eine Firma ist nicht jeder Standort gleich gut. Nicht überall lässt sich ein riesiges Stadion bauen, nicht überall stehen Konzerne als Sponsoren parat, nicht überall kann das Publikum jeden Preis für Tickets und Fan-Artikel bezahlen, nicht überall gibt es fußballverrückte Spediteure mit Milliardenkonto - und nicht jede Unternehmensführung ist so gut wie die in München oder Dortmund.

Der VfB Stuttgart etwa, in der potentesten Wirtschaftsregion überhaupt daheim, hatte viel bessere Standortfaktoren als Borussia Dortmund. Er hatte aber stets die viel schlechteren Leute. Deren Misswirtschaft lässt sich nun auch nicht durch das Erscheinen des ersten echten Retorten-Klubs in der Bundesliga - das Bonbonwasser-Ballett von RB Leipzig - in Schicksal umdeuten.

Scheichs pumpen irrwitzige Summen in den Markt

Der sportliche ist längst zum wirtschaftlichen Wettbewerb geworden, inklusive aller Verhängnisse und Verheißungen der Globalisierung. Auch das irritiert die Traditionalisten: dass da einerseits ein "asiatischer Markt" ist, der sich für ein Spiel zwischen Köln und Mainz interessieren soll, während gleichzeitig arabische Scheichs aberwitzige Summen in englische Klubs pumpen.

Der argentinische Fußball-Philosoph Jorge Valdano sagte einmal: Fußball ist ein emotionaler Sport, der kein Herz hat. Das zu ändern, werden die deutschen Traditionsklubs kaum mehr schaffen. Sie bräuchten schon eine Welt-Revolution.

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