Fußball-WM:Zoff bei Spaniens Elfer-Drama

World Cup - Round of 16 - Spain vs Russia

Diego Costa und Coach Fernando Hierro unterhalten sich angeregt nach dem WM-Aus der Spanier.

(Foto: REUTERS)
  • Nach dem WM-Aus gegen Russland gibt es in Spanien eine Debatte um das Verhalten von Diego Costa beim Elfmeterschießen gegen Russland.
  • Der Stürmer von Atletico Madrid redete nach der Verlängerung auf Kollegen und Trainer ein, seinen Teamkameraden Koke nicht schießen zu lassen.
  • Koke verschoss seinen Elfer - und Costa beharrte danach laut TV-Bildern drauf, es doch vorher gesagt zu haben.

Von Jonas Beckenkamp

Vielleicht hätten Spaniens Nationalspieler sich an den Slogan erinnern sollen, der die Mannschaft auf ihrer Reise durch Russland begleitete. "Zusammen sind wir unbesiegbar", so stand es auf dem Teambus geschrieben - weil heutzutage eben kein Fußballteam mehr irgendetwas ohne Motto unternimmt ("Zsmmn", "Best never Rest" beim DFB). Doch wie sich jetzt zeigt, war es um den Zusammenhalt bei den Spaniern nicht allzu gut bestellt. Das Aus nach Elfmeterschießen im Achtelfinale gegen Russland hat dazu geführt, dass die Selección im Nachgang der WM einige schwere Zerwürfnisse begleiten.

Diego Costa warnt davor, Koke Elfmeter schießen zu lassen

Im Mittelpunkt des öffentlich gewordenen Zoffs steht Stürmer Diego Costa, den Fernsehbilder als großen Zweifler an der Nervenstärke des Kollegen Koke, 26, entlarven. Mittelfeldspieler Koke war beim 3:4 (1:1) nach Penalties am Sonntag neben Iago Aspas einer der beiden spanischen Fehlschützen, als es im Getöse des Luschniki-Stadions von Moskau zum Showdown kam. Als es nach der Verlängerung darum ging, die Schützen zu bestimmen, war bei den Spaniern offensichtlich Panik ausgebrochen.

Costa selbst war bereits ausgewechselt worden, er kam also nicht mehr als Kandidat in Frage - und so musste Trainer Fernando Hierro sich die mutigsten unter seinen Spielern zusammensuchen. Er fand Iniesta, Sergio Ramos, Pique, Aspas und Koke. Doch ausgerechnet bei seinem Vereinskameraden von Atletico Madrid hatte Diego Costa akute Bedenken, die er dem Coach aufgeregt mitteilte. Auf den Fernsehaufnahmen ist zu sehen, wie sich Hierro vor der Auswahl seiner Elfer-Abgesannten mit Kapitän Sergio Ramos und Verteidiger Pique besprach.

Dabei fiel die Wahl auch auf Koke, dessen Schuss-Auftrag der plötzlich zum Co-Trainer mutierte Costa überhaupt nicht gut fand. Es sind skurrile Szenen, die das spanische Fernsehen da zusammengeschnitten hat - und letztlich mit Hilfe von Lippenleserei interpretiert hat. Am Wahrheitsgehalt besteht in Verbindung mit der Körpersprache und Mimik der Beteiligten aber kaum Zweifel. Mitten in all der Anspannung und Verwirrung fragte Ramos schließlich selbst bei Koke nach: "Möchtest du schießen?"

Kokes Einladung an den Torhüter

Der antwortete schlicht "Ja, ja", woraufhin Ramos Coach Hierro mitteilte, dass Koke okay sei. Costa versuchte danach vergeblich, beim Trainer zu intervenieren. Sein aufgebrachtes Flüstern und Tuscheln mit den Kollegen dürfte Koke aber beim Schuss kaum ermutigt haben. Dass sein Versuch, der dritte der Spanier, schließlich der schwächste des Tages war - halbhoch nach links, eine Einladung für den russischen Torhüter Igor Akinfejew - komplettierte das spanische Kuddelmuddel.

Costa, der mitunter nicht den Ruf des eingefleischtesten Teamplayers genießt, schien es geahnt zu haben, auf welcher Grundlage auch immer. Seinen grimmigen Blick zu Trainer Hierro im Moment des Fehlschusses untermalte er mit den Worten: "Ich hab's dir doch gesagt!" Über Costas Eingebung lässt sich nur spekulieren, manchmal bemerken Fußballer untereinander eine latente Unsicherheit - das Gefühl, dass der Kollege aufgeregt ist oder nicht fokussiert, haben sicher schon viele Profis gehabt. Aber Bedenken so offensichtlich zu auszusprechen? Das spricht nicht unbedingt für Costas Integrität.

Nur eines ist im Fall Kokes verwunderlich: Er hat für Atletico Madrid schon einige siegbringende Tore geschossen, er balgte sich im Madrider Derby selbstbewusst mit Ronaldo und gilt auch vom Elfmeterpunkt nicht als Wackel-Kandidat. Den einzigen Strafstoß seiner Karriere hatte er 2012 in einem Freundschaftsspiel der spanischen U23 gegen Ägyptens Nachwuchs sicher verwandelt.

In Spanien geht es bei der Aufarbeitung des Achtelfinal-Aus nun nicht nur um die Zukunft des bald 30-jährigen Angreifers Costa und dessen fehlenden Teamgeist, sondern auch um die Rolle von Trainer Hierro. Er kam nach dem Chaos um den entlassenen Nationaltrainer Julen Lopetegui zwar erst wenige Tage vor dem ersten WM-Spiel der Spanier ins Amt - aber warum er seine Elfmeterschützen nicht studiert und im Voraus bestimmte hatte, ist ein anderer Aspekt dieser Geschichte eines kollektiven Versagens.

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