Fußball-WM: Stimmung:Renaissance des Sommermärchens

Deutschland siegt 4:1 - und die Fanmeilen sind wieder so voll wie 2006. Hunderttausende feiern den Viertelfinal-Einzug der deutschen Mannschaft. Und nur ein anderer deutscher Sportler leidet darunter etwas.

Jürgen Schmieder

Wer einen Anhänger der körperlichen Ertüchtigung fragt, welches sportliche Ereignis er mit dem Datum 4. Juli 1954 verbindet, dann wird er wahrscheinlich die Worte "Das Wunder von Bern" zu hören bekommen, schließlich fand an diesem Tag das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Ungarn statt. Dass die Mercedes-Silberpfeile am Nachmittag bei ihrem ersten Rennen in der Formel 1 einen Doppelsieg feierten, wissen wohl nur Motorsport-Experten.

German football fans pose before a 2010 World Cup second round soccer match between England and Germany at Free State stadium in Bloemfontein

Die deutschen Fans wollen die Stimmung von 2006 noch überbieten.

(Foto: rtr)

Wenn in, sagen wir, 30 Jahren vom 27. Juni 2010 die Rede sein wird, dann werden wohl die Worte "Revanche für Wembley" fallen, schließlich gewann die deutsche Elf im Achtelfinale der Weltmeisterschaft mit 4:1 gegen England. Dass an diesem Tag Sebastian Vettel den Großen Preis von Valencia gewann, er am Start den Angriff von Lewis Hamilton gekonnt abwehrte und nun wieder Chancen auf den Gewinn des WM-Titels hat, werden in 30 Jahren wohl nur Motorsport-Experten wissen.

Vettel hat einfach das Pech, dass Deutschland gerade eine Renaissance des Sommermärchens erlebt. Überall strömen die Fans wieder zum Public Viewing: 500.000 Menschen im Berliner Tiergarten, 70.000 beim Fanfest in Hamburg, 60.000 im Münchner Olympiastadion, 35.000 in der Arena in Köln. "Das ist einfach nur unglaublich, vielen Dank an alle Fans in Deutschland", sagte Arne Friedrich nach dem Spiel. "Ich habe Bilder gesehen aus Berlin nach dem Ghana-Spiel, das ist phänomenal. Man würde als Spieler gerne selbst dabei sein, aber das geht natürlich nicht. Ich freue mich riesig für die Deutschen und hoffe, dass die Party noch lange weitergeht."

Jeder TV-Sender und jedes Internetportal fand mindestens zehn Fans, die in die Kameras brüllten, wie geil das alles sei und wie unglaublich und wie unvorstellbar schön. Den ausgelassenen Anhängern machten lediglich die hohen Temperaturen zu schaffen. Wegen der großen Hitze mussten in Berlin zahlreiche Besucher abtransportiert und von Sanitätern medizinisch versorgt werden. Ordner sprühten immer wieder Wasser in die Menge.

Arm in Arm mit einem Engländer

In Hamburg wurden größere Geschütze aufgefahren, die Feuerwehr sorgte mit Löschfahrzeugen bei den schwitzenden Fans für Abkühlung. Mit Autokorsos feierten die Fans das Ergebnis, das der deutschen Nationalelf das Duell mit Argentinien beschert. Das Hupkonzert, das die Fans in der Innenstadt veranstalteten, war selbst im Münchner Osten zu hören.

Auch im Internet zeigen sich die deutschen Fans erfreut - und kreativ. Schon wenige Minuten nach Schlusspfiff gab es Fotos vom Schuss von Frank Lampard, der das 2:2 bedeutet hätte, auf denen die Torlinie mit Hilfe von Graphikprogrammen um den Ball gezogen wurde. "Das ist der Beweis: Der Ball war klar vor der Linie", steht darunter.

Die deutschen Fans scheinen vergessen zu haben, dass dieses Turnier nicht im eigenen oder in einem benachbarten Land, sondern im etwa 9000 Kilometer entfernten Südafrika stattfindet. Vielmehr soll die Stimmung, die vor vier und zwei Jahren herrschte, noch übertroffen werden. Den Menschen in Berlin und Hamburg ist egal, ob das Spiel nun in München, Klagenfurt oder Blomfontein stattfindet - solange die Großleinwand hochauflösende Bilder zeigt und nicht wie beim EM-Halbfinale vor zwei Jahren gegen die Türkei der Strom ausfällt. Erfreulich ist dabei auch, dass es wie schon bei den Fanfesten zuvor keine Ausschreitungen gab. Im Internet kursiert nicht nur das Bild mit der ungewöhnlichen Linie, sondern auch das eines englischen Fans, der nach dem Spiel Arm in Arm mit einem deutschen Anhänger nach Hause geht.

Und auch Sebastian Vettel muss sich nicht grämen ob der mangelnden Beachtung seines Erfolges in Valencia. Zum einen tippte er selbst auf einen 2:0-Sieg der deutschen Elf, zum anderen gibt es ja auch noch den 14. November 2010. Dann findet in Abu Dhabi das letzte Rennen dieser Formel-1-Saison statt - und Vettel hat mit dem Erfolg am Samstag die Chance erhöht, dass dieses Datum als der Tag in Erinnerung bleiben wird, an dem er der jüngste Weltmeister aller Zeiten wird.

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