Fußball: WM-Qualifikation:Viel Luft nach oben

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Nach den Länderspielen gegen Südafrika und Aserbaidschan muss Joachim Löw erkennen, dass seine Elf lange Zeit nicht so spielte, wie er es erwartet. In fast allen Bereichen gibt es Verbesserungspflicht.

Johannes Aumüller, Hannover

Eigentlich ist es keine Kunst, gegen den 139. der Weltrangliste zu gewinnen. Erst recht ist es keine Kunst, gegen den 139. der Weltrangliste zu gewinnen, wenn dieser fast eine Halbzeit lang einen Spieler weniger auf dem Feld hat. Mit 4:0 siegte die deutsche Nationalmannschaft nach Toren von Michael Ballack (13., Foulelfmeter), Miroslav Klose (55. und 66.) und Lukas Podolski (71.) gegen Aserbaidschan, die Hinausstellung des Gäste-Kapitäns Samir Abbasow in der 50. Minute erleichterte den deutlichen Erfolg, und nach der Partie antwortete ein gewisser Berti Vogts auf die Frage nach den deutschen Chancen beim Spiel in Russland: "Der russische Fußball hat zu viel Respekt vor unserem Fußball, äh dem deutschen Fußball."

Miroslav Klose nach seinem Treffer zum 2:0. (Foto: Foto: dpa)

Da war es dann raus, der offiziell als aserbaidschanischer Nationaltrainer tätige Vogts steht also noch immer auf Seiten der DFB-Elf. Wie der Dolmetscher diesen Versprecher den aserbaidschanischen Kollegen übersetzte, ist leider nicht bekannt. Aber jedenfalls war der kurzzeitig wieder als verantwortlicher Angestellter des DFB sprechende Berti Vogts nicht der Einzige, der sich nicht lange mit der Analyse des gesehenen Spiels aufhalten wollte, sondern lieber nach vorne blickte.

Nach vorne, das bedeutet auf Russland, auf den 10. Oktober und das sogenannte Gruppenendspiel. Auf die vielen schnellen und guten Techniker der Russen, auf Andrej Arschawin und Pawel Pogrebnjak - und auf die listige Entscheidung der russischen Verantwortlichen, dieses Spiel auf dem für die deutsche Elf ungewohnten Kunstrasen im Moskauer Luschniki-Stadion auszutragen. Die psychologische Vorbereitung hat längst begonnen, Bundestrainer Joachim Löw versucht, Last von seiner Mannschaft zu nehmen. "Wir stehen nicht unter Druck, sondern die Russen, denn die müssen gewinnen", sagt er.

Einen Punkt liegt die deutsche Mannschaft derzeit vor Russland. In fast jedem Bericht über die deutsche Nationalmannschaft war zuletzt von dem entscheidenden Gruppenspiel zwischen Deutschland und Russland die Rede; streng genommen ist diese Formulierung zwar immer noch nicht richtig, weil auf das Aufeinandertreffen am 10. Oktober noch ein Qualifikationsspieltag folgt, an dem Deutschland gegen Finnland und Russland gegen Aserbaidschan antreten muss. Doch kaum jemand zweifelt daran, dass sich die Frage über Platz eins und Platz zwei der Gruppe in gut vier Wochen in Moskau entscheidet.

Mit welcher Mannschaft Löw dieses Spiel in Russland angehen wird, ist derzeit ziemlich unklar. Das 2:0 gegen Südafrika am vergangenen Samstag und das 4:0 gegen Aserbaidschan waren ob der Qualität des Gegners zwar keine echten Prüfsteine, brachten aber dennoch einige Erkenntnisse - von denen die meisten dem Bundestrainer nicht gefallen dürften.

Wie schon gegen Südafrika entschied sich der Bundestrainer auch gegen Aserbaidschan nicht für das gewohnte 4-4-2-System, sondern wählte stattdessen ein 4-3-3-Modell, was zur Folge hat, dass sich Löw zwischen Mario Gomez und Miroslav Klose entscheiden muss und einem dieser beiden Angreifer nur ein Platz auf der Bank bleibt. Gegen Aserbaidschan begann Gomez, der aber torlos blieb, und in der 46. Minute kam Klose, der mit zwei Treffern zum 2:0 und zum 3:0 das bereits zornig gewordene Publikum wieder versöhnte und den bereits unruhig gewordenen Löw wieder beruhigte.

Ausgerechnet Klose, dessen Kadernominierung Löw zuletzt massiv hatte rechtfertigen müssen. "Es erübrigt sich, jetzt viel über Miroslav zu erzählen", fasste sich Löw kurz. "Jeder hat gesehen, was für ein torgefährlicher Spieler er ist." TV-Experte Oliver Kahn merkte zwar an, dass auch jeder sehen könne, welch torgefährlicher Spieler Stephan Kießling sei - aber da tat der Bundestrainer so, als würde er nicht zuhören.

Die Besetzung der übrigen Offensivpositionen ist ebenso problematisch. Denn echte Außenstürmer hat Löw nicht in seinem Kader. Der auf der rechten Seite eingesetzte Schweinsteiger ist es ebenso wenig, wie es Podolski, Trochowski oder Marin auf der linken Seite sind. Von Mesut Özil darf man nicht immer einen Auftritt wie gegen Südafrika erwarten, sondern muss altersbedingte Leistungsschwankungen einkalkulieren. Vorteilhaft an dem zuletzt erprobten Modell ist indes die Tatsache, dass das Mittelfeld kompakter steht, wenn sich die Außenstürmer bei gegnerischem Ballbesitz zurückfallen lassen.

Daneben verbleiben unabhängig von der taktischen Ausrichtung in der Offensive immer noch drei offene Feldspieler-Planstellen. Sowohl Thomas Hitzlsperger im defensiven Mittelfeld als auch Heiko Westermann auf dem Innenverteidiger-Posten spielten gegen Aserbaidschan lediglich solide. Und Wolfsburgs Marcel Schäfer hat nach seinem dürftigen Auftritt nun deutlich schlechtere Karten auf einen Außenverteidiger-Posten als zuvor. Als Philipp Lahm auf die linke Seite wechselte und Andreas Beck die rechte Flanke einnahm, wurde das Spiel über die Außenpositionen deutlich konstruktiver.

Bei allen taktischen und personellen Diskussionen gilt es auch, die Einstellung mancher Akteure zu überprüfen. Löws Akteure spielten schlampige Pässe, zeigten im Offensivspiel viel zu wenig Laufbereitschaft und gingen nicht aggressiv genug in die Zweikämpfe. Natürlich passieren solche Aussetzer gegen deutlich schwächere Gegner gerne einmal, aber dennoch war Löw sauer: "Ich habe der Mannschaft in der Pause ziemlich deutlich gesagt, dass ich absolut unzufrieden war. Solche Phasen dürfen wir uns in Russland nicht erlauben."

Taktik, Personalien, Einstellung: Joachim Löw dürfte in diesen beiden Länderspielen vor allem die Erkenntnis gewonnen haben, dass es in fast allen Bereichen der Nationalelf viel Luft nach oben gibt - von den zahlreichen Problemen muss er die meisten bis zum Spiel gegen Russland beseitigen.

Zudem weiß er auch, dass Russlands Trainer Guus Hiddink nicht im Grunde seines Herzens noch ein DFB-Mann ist und dass er gegen die Sbornaja leider auf Berti Vogts verzichten muss. Wenn Deutschland in Moskau spielt, ist Vogts nicht mit dabei, sondern muss beim Spiel von Aserbaidschan gegen Liechtenstein seiner offiziellen Beschäftigung nachgehen. Und eventuell nötig werdende Schützenhilfe am letzten Spieltag gegen Russland möchte er lieber nicht in Aussicht stellen: "Wir werden alles geben, aber ich würde mich nicht auf unsere Hilfe verlassen, denn dann ist man verlassen." Diesmal meinte er mit "uns" tatsächlich die aserbaidschanische Elf.

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