Fußball-WM:Mit der Kraft aus zwei Ozeanen

Lesezeit: 4 min

Es war keine Erschöpfung, die Panamas Spieler nach dem Schlusspfiff zu Boden sinken ließ, sondern Dankbarkeit. (Foto: Victor R. Caivano/dpa)
  • Die Nationalmannschaft Panamas ist nach dem ersten WM-Spiel beseelt - obwohl die Südamerikaner gegen Belgien mit 0:3 verloren haben.
  • Allein die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Russland begeistert Spieler und Fans gleichermaßen.
  • Der mitgereiste Staatspräsident Juan Carlos Varela spricht vom unbezahlbaren Wert des internationalen Auftritts.

Von Javier Cáceres, Sotschi

Den Abend des ersten WM-Spiels in der Geschichte ihres Landes ließen die Spieler Panamas am Montag im Hotel in Sotschi ausklingen. Umringt von Fans, mit denen sie in der Lobby für Erinnerungsfotos posierten, denen sie für die weite Anreise dankten, die sie auf sich genommen hatten. Dabei lebten sie eine Nahbarkeit, von der man nicht mal mehr ahnte, dass es sie noch gibt, seit sich Sportereignisse - vor Jahren schon, beileibe nicht erst in Russland - in Experimentierfelder für Hochsicherheitstrakt-Fetischisten verwandelt haben.

Für 90 Minuten freilich zogen sie sich in einen Konferenzraum zurück - um in Ruhe das Spiel der nächsten beiden Gruppengegner zu studieren, England gegen Tunesien (2:1). Nur einer durfte mit hinein, der nicht zum härteren Kern der panamaischen WM-Expedition zählt: Staatspräsident Juan Carlos Varela, der es sich nicht nehmen ließ, zum ersten WM-Spiel Panamas anzureisen, und hernach genauso euphorisch war wie das ganze Vier-Millionen-Einwohner-Land. Obwohl die Kraft, die den Panamaern zwei Ozeane verleihen, wie es in der Hymne heißt, nicht ausreichte: Belgien siegte 3:0, durch Tore von Dries Mertens und Romelu Lukaku (zwei).

Ein emotionaler Auftritt der Canaleros

"Es war sehr emotional", berichtete Varela. Fünf-, sechstausend Landsleute waren bis an das Schwarze Meer gereist, mit Mambo-Kuhglocken im Gepäck, mit denen sie jene afrokubanische Rhythmen vorgaben, zu denen Frauen und Männer auf der Tribüne tanzten. Als die Hymne erklang, liefen erwachsenen Menschen Tränen die Wangen herunter. Das Präsidialamt habe ihm aus 11 550 Kilometer Entfernung gekabelt, dass "das Land paralysiert" gewesen sei. Und er selbst kommt aus der fast kindlich anmutenden Freude nicht heraus, dass er vor ein paar Tagen in Moskau bei der WM-Eröffnungsgala war, wo er neben Russlands Präsident Wladimir Putin gesessen habe. Viele Staats- oder Regierungschefs hatten Skrupel gezeigt - und waren der Sause ferngeblieben.

"Ich kann ja zu einem offiziellen Besuch nach Russland kommen und mich mit Putin treffen, meine Agenda machen... So wie schon mit Donald Trump, mit China, mit Theresa May", sagt Varela: "Aber zwei Stunden lang neben dem Präsidenten Putin zu sitzen und Plácido Domingo zuzuhören, und dabei über alles Mögliche zu reden, sogar über den Syrienkonflikt und den Weltfrieden, die Wichtigkeit des Dialogs in der Politik, den sozialen Frieden... Das verdanke ich der Selección." Deshalb habe er auch den Spielern gesagt: "Da saß nicht ich, sondern ihr. Ich repräsentiere Euch!" Was auch immer sie davon halten mögen.

In jedem Fall ist er der Nationalmannschaft seines Landes dankbar; der Auftritt in Russland habe einen unbezahlbaren Wert, sagt Varela: "Was die Marketingmaßnahmen kosten würden, um das aufzuwiegen, was Spiele gegen Belgien, England und Tunesien bei der WM bedeuten?"

Das kommt Panama schon gelegen. Im April 2016 belegte ein von der SZ angeführtes Journalistenkonsortium, dass Panama ein Zentrum einer global operierenden Steuervermeidungs-Industrie ist, das Verstöße gegen Steuer- und Geldwäschegesetze sowie gegen UN-Sanktionen deckte. Die Enthüllungen führten in Panama zu strafrechtlichen Ermittlungen. Als Varela das Wortpaar "Panama Papers" hörte, nahm sein Gesicht wohl erstmals an diesem Montag ernste Züge an. "Das wahre Panama ist ein Land mit Menschen, die sich anstrengen und kämpfen, um voranzukommen. Die Panama Papers waren ein punktuelles Thema, das ein Land definieren sollte. Aber Panama ist viel mehr als das. Das Thema der 'legalen Dienstleistungen' (ein in Panama gängiger Euphemismus für die Gründung von Briefkastenfirmen; Anm. d. Red.) stellt nicht einmal 0,1 Prozent unserer Wirtschaft dar. Panama hat den Kanal, Häfen, das Luftfahrtdrehkreuz Amerikas, Tourismus und vieles mehr." Schon einmal hatte er erfahren, dass die Presse auf den Fußball anspringt, nach der WM-Qualifikation Panamas: "Als ich allen Panamaern einen Tag freigab, stand das in allen Zeitungen der Welt." So wie nun das Spiel gegen ein belgisches Team mit Stars wie De Bruyne, Hazard, Courtois oder eben Lukaku und Mertens, das den Spielern so viel Respekt abverlangte.

"Wir sahen sie aus der Ferne. In ihren Mannschaften in Europa. Auf Videos. Und du erschrickst dann natürlich. Aber wenn du sie auf dem Platz siehst, stellst du fest: Sie sind sie nicht anders. Sie haben zwei Beine, zwei Augen, so wie du. Unglücklicherweise haben sie eine Tugend: Sie sind sehr effektiv", erzählte Mittelfeldspieler Gabriel Gómez nach dem 0:3.

Fußball-WM
:Panama entdeckt die "Trendsportart"

Baseball, Boxen, Steuersparer - dafür war Panama bislang bekannt. Doch vor dem ersten WM-Spiel gegen Belgien verschiebt sich etwas. Die Sportlegende des Landes hat damit ein Problem.

Von Boris Herrmann

Er habe vor Beginn der Partie in seiner Brust ein Windrad voller Gefühle verspürt, "so viele unterschiedliche Emotionen, die ich nur erlebt hatte, als meine Kinder, Zwillinge, geboren wurden". Doch das sei verflogen gewesen, als der Schiedsrichter anpfiff. Sie wussten und spürten, dass sie selbst in den grobschlächtigsten und unbeholfensten Momenten als charmant wahrgenommen wurden: Das nahezu voll besetzte Stadion in Sotschi war auf ihrer Seite, auch nachdem Mertens mit einem fulminanten Volleyschuss den Bann brach.

Das vermeintlich schwierigste Spiel haben sie hinter sich

"Dieses Traumtor hat uns ein bisschen zerschlagen", sagte Gabriel Gómez. Doch auch danach hallten die Worte von Trainer Hernán Bolillo Gómez nach, der vor der Partie versprochen hatte, im Falle eines Sieges zwei Flaschen Wodka zu vernichten: "Er hat uns gesagt, dass wir die Chance haben, unser Land würdig zu vertreten, und dass unser Land nur erwarte, dass wir alles geben." Das taten sie: Und doch war es keine Erschöpfung, die sie nach dem Schlusspfiff zu Boden sinken ließ, sondern Dankbarkeit. Später bildeten alle Spieler auf dem Rasen einen Kreis und gingen auf die Knie, "in Demut vor Gott", wie der Spieler Gómez sagte: "Wir haben viel an ihn geglaubt. Er ist immer bei uns." Bei der Chance von Murillo zum Ausgleich - der einzigen Situation, in der Belgiens Torwart Courtois eingreifen musste - war Gott allerdings, so es ihn gibt, wohl mit anderen Dingen beschäftigt.

Auch so gab es ein Lob des Staatschefs. "Ich habe ein sehr strukturiertes Team gesehen, das nicht zusammengebrochen ist", sagte Varela, der wieder einen Feiertag ausrufen dürfte, wenn Panama sein Ziel erreichen sollte: "Wir versuchen, ein Spiel zu gewinnen", verkündete Román Torres, der ganzkörpertätowierte Kapitän mit den Rastalocken. Das soll schon am Sonntag gegen England gelingen, "das härteste Spiel haben wir hinter uns", sagt der Präsident. Gómez verspricht: "Wir werden viel besser sein. Wir wissen jetzt, was eine WM ist."

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Englands Harry Kane
:Die Fans singen: "Da hast du es"

Harry Kane braucht zwei Schüsse für zwei WM-Treffer - und fordert nun sogar Cristiano Ronaldo heraus. Dabei wurde der englische Stürmer von den Fans noch für seine Torlosigkeit verspottet.

Von Sven Haist

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: