Fußball-WM: Michael Ballack:Boateng vor Gericht?

Der Berater des verletzten Michael Ballack droht Foulspieler Kevin-Prince Boateng mit einer Klage wegen Körperverletzung. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Fußballprofi vor Gericht verurteilt wird.

Michael König

Eigentlich spricht der Rechtsanwalt und Spielerberater Michael Becker für seinen Mandaten, Michael Ballack. Aber am Dienstag sprach er den Fußballstammtischen der Nation aus der Seele, als er über das Foul von Kevin-Prince Boateng sagte: "Meiner Meinung nach handelt es sich nicht nur um einen hinterhältigen Tritt, sondern um Körperverletzung mit Ansage", sagte Becker. Die nach Rache dürstenden Fans, die sich zu Tausenden in Facebook-Gruppen wie "Boateng umhauen!" angemeldet haben, werden es gerne gehört haben.

Fußball, Michael Ballack, Kevin-Prince Boateng; dpa

Foulspieler Kevin-Prince Boateng: Nur "grobe Regelwidrigkeiten" werden vor Gericht als Körperverletzung gewertet.

(Foto: Foto: dpa)

Boateng vom FC Portsmouth hatte Ballack, seinen Gegenspieler vom FC Chelsea, im englischen Pokalfinale gefoult. Dabei erlitt Ballack einen Riss des Innenbandes und einen Teilriss der Syndesmose im rechten oberen Sprunggelenk und musste ausgewechselt werden. Die Fußball-WM in Südafrika wird der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft vor dem Fernseher verfolgen. Boateng bekam für sein Foul eine gelbe Karte. Er wird bei der WM dabei sein - der gebürtige Berliner spielt für Ghana, das Land seines Vaters.

Für eine große Mehrheit der deutschen Fußballfans ist das eine schreiende Ungerechtigkeit. Dass der Ballack-Berater Michael Becker den Foulspieler Boateng nun als "uneinsichtigen Gewalttäter" bezeichnet und mit "strafrechtlichen und zivilrechtlichen Konsequenzen" droht, ist eine Genugtuung. Aber ist es auch realistisch? Ja und nein.

Es hat tatsächlich Fälle gegeben, in denen Fußballer wegen eines Fouls vor Gericht zu Geldstrafen oder sogar Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Ein prominenter Fall spielte in den Niederlanden, wo der Fußballprofi Rachid Bouaouzan in Diensten des Zweitligisten Sparta Rotterdam am 17. Dezember 2004 seinen Gegenspieler Niels Kokmeijer von Go Ahead Eagles Deventer so übel foulte, dass dessen Karriere im Alter von 26 Jahren beendet war.

Der damals 24 Jahre alte Foulspieler Bouaouzan erhielt vom niederländischen Fußballverband eine Sperre von zwölf Spielen, später wechselte er zu Wigan Athletic in die englische Premier League. Für ihn schien die Sache glimpflich zu verlaufen. Doch der verletzte Spieler zog vor ein ordentliches Gericht - und bekam recht. 2008 verurteilte der Oberste Gerichtshof der Niederlande Bouaouzan zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Droht Boateng eine ähnliche Strafe, wenn der Ballack-Berater ernst macht? "Der Fußballplatz ist kein rechtsfreier Raum, auch wenn Boateng das offensichtlich annimmt", sagte Rechtsanwalt Michael Becker.

Grundsätzlich gilt: Wer an einem Fußballspiel teilnimmt, der nimmt das Risiko einer Verletzung durch einen Gegenspieler in Kauf. Im Juristendeutsch heißt das: Er willigt in die Verletzung ein. Dem Verursacher dieser Verletzung droht deshalb kein Ungemach. Es sei denn, er hat sich in der Szene regelwidrig verhalten.

An der Regelwidrigkeit der Boateng-Attacke auf Ballack besteht kein Zweifel - der Schiedsrichter hatte ein Foul erkannt und ihm die gelbe Karte gezeigt. Für eine Klage wegen Körperverletzung reicht das aber nicht aus. "Die Regelwidrigkeit muss schwerwiegend sein. Nur dann kann eine Klage Erfolg haben", sagt Jochen Fritzweiler, Sportrechts-Experte aus Burghausen. Was als "schwerwiegend" eingestuft wird, ist rechtlich umstritten. Nicht alles, was im Fußballdeutsch als "grobes Foul" bezeichnet wird, gilt vor Gericht als Körperverletzung. "Das ist ein rechtlicher Grenzbereich", sagt Fritzweiler.

"Hier gut, da aua!"

Für den Ballack-Berater bedeutet das: Er muss vor Gericht darlegen, dass Boateng nicht nur gefoult, sondern böse gefoult hat. Dabei kann er die Fernsehbilder zu Rate ziehen und den Schiedsrichter als Zeugen anhören lassen. Fordert er Schadenersatz - der Ballack-Berater spricht von finanziellen Verlusten in siebenstelliger Höhe durch entgangene Sponsorengelder und Prämien -, muss er entsprechende Verträge vorlegen und seine Forderung begründen. Die endgültige Entscheidung obliegt dann dem Richter.

Es gibt Beispiele, in denen Fußballer nachträglich finanziell entschädigt wurden. Der englische Profi Matty Holmes erhielt 2004, sechs Jahre nach seinem Karriereende, 375.000 Euro zugesprochen. Ein Gericht verurteilte den australischen Nationalspieler Kevin Muscat zur Zahlung dieser Summe, weil Holmes durch dessen Tritt einen Beinbruch erlitt und seine Laufbahn beenden musste. Der Torwart Joseph Didulica von Austria Wien bekam im Jahr 2006 nach einem Foul eine Geldstrafe in Höhe von 60.000 Euro aufgebrummt.

Auch im Amateurfußball kommen immer wieder üble Fouls vor Gericht. 2008 wurde ein Hobbyspieler im niedersächsischen Northeim zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt, weil er im Freundschaftsspiel zweier Kreisklassenteams einen Gegenspieler angegriffen und ihm Schien- und Wadenbein gebrochen hatte.

Im Profi-Fußball sind derartige Abrechnungen vor Gericht allerdings selten. "Wenn es überhaupt so weit kommt, dann einigen sich die Versicherungen der Profis außergerichtlich auf Schadenersatz", berichtet der Sportrechtler Fritzweiler. Oft wird die Angelegenheit ohne Gerichtsstreit beigelegt - mit einer Entschuldigung des Sünders und versöhnlichen Worten des Opfers. Während sein Berater noch schäumte, sagte Ballack, er sei "nicht der Spieler, der nachkartet". Boateng hatte sich zuvor entschuldigt: "Es tut mir leid. Es war keine Absicht. Ich komme einfach zu spät und treffe ihn voll. Es sah dumm aus."

Der Fußballbetrieb mit Verbänden, Funktionären - und letztlich auch die Spieler - können allerdings kein Interesse daran haben, mit einem Gerichtsprozess ein Exempel zu statuieren. Wenn schon ein Nebendarsteller wie Matty Holmes eine sechsstellige Summe erhält, was wäre da für einen Superstar wie Ballack an Schadenersatz fällig? Das könnte für den einen oder anderen schnell ruinös werden.

In der Folge würde es sich jeder Fußballer doppelt und dreifach überlegen, ruppig in einen Zweikampf zu gehen. Das kommt womöglich der Fairness zugute, ist mit der Entwicklung des modernen Fußballs zu einer immer schnelleren und härteren Spielweise aber nicht kompatibel.

So werden auf Fußballplätzen wohl auch in Zukunft Sprüche wie der von Jens Jeremies zu hören sein, der nach einem Foul an Patrick Vieira zu dem Franzosen gesagt haben soll: "Siehst du die Mittellinie? Kommst du rüber, macht es aua! Da drüben gut, hier aua!"

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