Fußball-WM 2006:Luftgeist Beckenbauer erreicht den Boden

File photo of a former FIFA executive committee member Beckenbauer

Franz Beckenbauer

(Foto: REUTERS)

Er hatte schon immer ein enges Verhältnis zum Geld. Doch durch die Enthüllungen rund um die Fußball-WM 2006 verliert Franz Beckenbauer seine Schwerelosigkeit.

Kommentar von Lothar Müller

Ein Ehrenamt, das er nicht hatte, bringt den Kaiser zu Fall. Das passt ebenso gut zu der Symbolfigur, die Franz Beckenbauer im Lauf der Jahrzehnte geworden war, wie der zufällige Umstand, dass der Name der Sportwette Oddset, die in der Affäre eine Schlüsselrolle spielt, auf Dänisch "Schicksal" bedeutet. Das ist ein großes, pathetisches Wort. Bei einer Sportwette ist Geld das Schicksal.

Beckenbauer ist mit dem Fußball gewachsen. Und er hat als einer der Ersten begriffen, dass der Fußball, je größer seine gesellschaftliche Bedeutung wurde, zugleich umso mehr an ökonomischer Bedeutung gewann. Beckenbauer gehörte zu den Pionieren, die Werbeverträge für Suppenfirmen unterschrieben und konnte es sich später leisten, für japanische Autofirmen Reklame zu machen, obwohl auf den Trikots des Vereins, dessen Präsident er war, Opel stand. Es hat der Symbolfigur, zu der Beckenbauer wurde, nie geschadet, dass jedermann wusste, ein wie enges Verhältnis zum Geld er seit je hatte und dass er es in rauen Mengen auch außerhalb des Spielfeldes verdiente.

Denn diese Symbolfigur agierte leicht oberhalb des Erdbodens. Anders als in den älteren Schichten deutscher Mythologie war bei ihm der Ehrentitel "Kaiser" nicht mit der Vorstellung seines Reichtums verknüpft, sondern mit Bildern der Schwerelosigkeit. Er hatte sich diesen Titel, Nebenverdienste hin, Nebenverdienste her, redlich auf dem Spielfeld verdient. Dort herrschten andere Gesetze als heute. Beckenbauer wurde, wie Günter Netzer, in jener Ära des Fußballs zum Star, in der man, aus der Perspektive der heutigen Turbo-Athletik gesehen, noch mit einem Minimalaufwand an Bewegung und Kampf erfolgreich sein konnte.

Der Stil, durch den Beckenbauer berühmt wurde, war durch aufreizende Lässigkeit der Bewegungen bestimmt, durch Schlendern statt Sprinten, durch Schlenzen statt Hämmern des Balls. Im Zentrum dieses Stils stand nicht der Gesamtkörper des Fußballers Beckenbauer, mochte er auch Kopfballtore erzielen oder das Bein lang machen. Im Zentrum stand der ansatzlos aus dem Fußgelenk gespielte Pass, der das Spiel öffnet.

1990 erreichte die Symbolfigur den Zenit ihres Kaisertums

Zur Aura dieses Stils gehörte eine Art Unbelangbarkeit und Unnahbarkeit, das Schweben über dem irdischen Gebolze. Durch diese Aura wurde der Kaiser zu einer Figur der Nonchalance, eine gewisse Lässigkeit im Finanziellen wie im Familiären gestand man der Privatperson, die in der Symbolfigur steckte, gerne zu. Die Schwere, das Tiefe und Schicksalhafte, das ein deutscher Kaiser dann aber doch haben muss, gewann Beckenbauer im Sommer 1990 hinzu, als Trainer der deutschen Mannschaft, die pünktlich zur Wiedervereinigung in Rom Weltmeister wurde. Kein Kommentator ließ sich die Versunkenheit entgehen, in der er nach dem Abpfiff einsam übers verlassene Spielfeld wanderte. In diesem Moment der Sammlung und Erdung hatte die Symbolfigur den Zenit ihres Kaisertums erreicht.

Natürlich war Beckenbauer als Trainer der deutschen Nationalmannschaft vom DFB angemessen entlohnt worden. Und es wäre nicht ehrenrührig gewesen, wenn er auch als Chef des Organisationskomitees für die WM 2006 ganz offiziell ein Honorar dafür erhalten hätte, dass er die deutsche Bewerbung repräsentierte, die WM nach Deutschland holte und das "Sommermärchen" als Luftgeist begleitete, der mit dem Hubschrauber von Stadion zu Stadion schwebte. Man kann nur vermuten, warum Beckenbauer, statt eine solche Honorarvereinbarung zu schließen, die Fiktion aufbaute, er übe seine Tätigkeit als Chef des Organisationskomitees ehrenamtlich aus.

Es stimmt schon, Franz Beckenbauer agierte bei der deutschen Bewerbung für die WM 2006 nicht zuletzt als Symbolfigur, als international anerkannter "Kaiser" des Fußballs, aber eben deshalb setzte er viel aufs Spiel, als er sich das vorgebliche Ehrenamt auf eher verschlungenen Wegen fürstlich entlohnen ließ. Der Zusammenbruch dieser überflüssigen Fiktion setzt nun den Schlusspunkt unter die rückwirkende Demontage des Sommermärchens von 2006 durch die immer neue Wendungen nehmenden Enthüllungen über den DFB und die Fifa.

Im Zuge dieser Enthüllungen war dem Kaiser schon seit Längerem die Schwerelosigkeit abhandengekommen. Jetzt hat er endgültig den Boden erreicht, den Gegenmoment zur magischen Stunde in Rom im Sommer 1990, den Zeitpunkt, an dem die Symbolfigur, die sich angesichts unangenehmer Fragen in Schweigen hüllen konnte, abdanken muss. Sie macht jetzt der Privatperson Beckenbauer Platz, die auf einem Spielfeld Rede und Antwort zu stehen hat, auf dem es sehr schwierig ist, öffnende Pässe aus dem Fußgelenk heraus zu schlagen.

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