Fußball-WM 2010:Leere Sessel in den Nobelboxen

Die Angst vor leeren Stadien: Mit verzweifelten Appellen versuchen die Fifa und ihre Vermarktungspartner, die Tickets für Firmen und Sponsoren zu verkaufen.

Th. Kistner

Der Brief des Fifa-Ticketbüros, der kürzlich an WM-Kartenhändler erging, kleidete die böse Kunde sehr hübsch ein. "Die gute Nachricht ist", schrieb der Fußball-Weltverband, "dass es noch Tickets für alle Spiele, in allen Stadien!" gibt. Für diejenigen, die es nicht wussten, fügte die Fifa an: "Nicht vergessen, die WM ist ein einmaliges Erlebnis und jedes Spiel wird unvergesslich sein." Als einmaliges Erlebnis jedenfalls gilt unter Experten der Bittbrief an die Unterhändler. "Irre", teilte ein erfahrener Ticketagent der SZ mit, "ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so einen Brief sehen würde. Ich sage: Niemals!"

Fußball-WM 2010: Auf die Fifa und ihren Chef Sepp Blatter kommt das nächste Problem zu.

Auf die Fifa und ihren Chef Sepp Blatter kommt das nächste Problem zu.

(Foto: Foto: AP)

Ähnlich fällt die Reaktion unter deutschen Reise-Veranstaltern aus, die nicht genannt werden wollen, sie bangen um künftige Geschäftsperspektiven. Das restriktive Naturell der Fifa lernten viele ja schon bei der WM 2006 kennen. Aber das Raunen in der Szene bestätigten die Betreiber im Januar selbst - in einem vertraulichen Workshop-Papier des Fifa-Exklusivvermarkters Match für seine Unterhändler aus aller Welt. Die mussten viel Geld bezahlen, um die von Match ausgeheckten Luxustrips verhökern zu dürfen, die in die gläsernen VIP-Boxen der WM-Stadien führen: die sogenannten Hospitality-Pakete, zugeschnitten auf Firmen und Sponsoren.

Unter der Rubrik Verkaufsstrategie sammelt das Papier verzweifelte Appelle, es gilt, irgendwie all die leeren Plätze in den teuren Boxen zu füllen. Geraten wird den Paket-Verkäufern: "Bleiben Sie dran an Firmen, die das Angebot abgelehnt haben - oft ändert sich da noch was, wenn die WM naht." Oder: "Öffnen Sie Ihre Zielgruppe für kleine und mittelgroße Firmen." Oder: "Zielen Sie auf hochvermögende Einzelpersonen, inklusive einzelner Topmanager." Auch sollen "Spielerfamilien und Berater" umgarnt werden, was zeigt, das den Verkäufern nicht die Tickets, wohl aber die Ideen ausgehen.

Doch am Mittwoch wurde der darbende globale Ticketmarkt völlig überrascht. Da verkündete WM-Organisationschef Danny Jordaan, in der just ausgelaufenen Verkaufsphase seien 900.000 Anfragen von Fans eingegangen, die Spiele der Gastgeberauswahl Bafana Bafana dürften ausverkauft sein. Und: Nun seien zwei der 3,1 Millionen WM-Tickets verkauft, sagte Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke. An wen, sagte er nicht. Die Fifa präzisierte dazu auf SZ-Anfrage: Der Großteil sei "direkt an Fans" gegangen, beinhaltet sei zudem die Anzahl der "effektiv verkauften" diversen Pakete.

Dass alle zwei Millionen schon beim Endabnehmer ist, bezweifeln indes nicht nur die Agenten, die beklagen, sie säßen ja selbst auf Bergen solcher Tickets. Zweifel daran müssen auch die Zahlen der letzten Wochen schüren. Mitte Januar erst verursachte Jordaan ein PR-Desaster ("Dies wird die erste WM in der Geschichte, bei der die Gastgeber nicht die meisten Tickets kaufen"), als er weniger als 100.000 verkaufte Karten für alle sechs afrikanischen WM-Teilnehmer vortrug und an die Solidarität der Bafana-Fans appellierte.

Hat das explosionsartig gefruchtet? Gab es gar eine weltweite Kettenreaktion bei den Fans? Explodiert sein muss ja auch das internationale Geschäft. Jüngst setzte der DFB in der Sonderverkaufsphase für die deutschen Gruppenspiele ja nur 1916 Tickets ab - von 21000. Noch kläglichere Zahlen kamen aus dem Ausland. Der Schweizer Verband meldete 706 verkaufte Tickets; das Kontingent betrug 13.565. Die Fifa setzt gern deutlich schönere Ziffern dagegen. Das sieht nach Strategie aus.

Auf der nächsten Seite: Die Gründe für die schlechten Zahlen.

Wie bei der WM 2006

Das monopolistische, personell eng verwobene Verkaufssystem, das die Fifa-Oberen um zwei alte Geschäftsfreunde gestrickt haben - die mexikanischen Tickethändler Byrom -, dürfte auf dem Prinzip der Verknappung von Karten beruhen. Das war sogar bei der WM 2006 in Deutschland so, als plötzlich das aus Sicherheitsgründen angeblich unabdingbare Namensticketing nicht mehr galt, das die Fans monatelang zermürbt hatte: Zehntausende stürmten mit Karten unter fremden Namen in die Stadien.

Da hatten Grau- und Schwarzmarkt funktioniert, die man ja nicht ausschalten, sondern selbst kontrollieren will - damit kein anderer den Reibach macht. Dramatisch wird es, wenn der Kunde bemerkt, dass genug Karten da sind. "Wenn es überall selbst Kategorie-1-Tickets gibt", sagt ein Tour-Agent, "macht das die Hospitality-Programme kaputt."

Dass es gerade um die nicht gut steht, zeigt das interne Match-Papier von Januar. Darin sind selbst für das Finale nur 61 Prozent sogenannter "BSkyboxen" verkauft, rund 2000 Plätze standen demnach noch zum Verkauf. Dieser Trend zieht sich durch das vertrauliche Dossier: An vielen Spielorten waren 60 und mehr Prozent der Nobelboxen verfügbar. Aus den internen Daten lassen sich 115000 unverkaufte Sessel errechnen.

Für Agenten ist klar, dass nicht mal das Finale ausverkauft sei. Ein deutscher Operator sagt, ihm seien kürzlich Endspiel-Karten offeriert worden, zu happigen Preisen. Auch der Brief des Fifa-Ticketbüros schloss "alle Spiele" ein. Starke Risiken lasten also auf den offiziellen Agenten, die 30.000 Dollar nur für den Erwerb dieses Status' zahlen mussten. Anbieter, die nicht mit Match arbeiten, berichten, sie hätten vor Monaten noch juristische Drohungen erhalten für den Fall des für sie verbotenen Handels, nun versuche die Agentur sogar, sie mit Ticketagenten zu vernetzen.

Südafrikas Tourismus beklagt das Desinteresse europäischer Fans. Doch Reisen am Ort sind beschwerlich, sogar für Business-Gäste. Wer in Kapstadt logiert und ein Spiel in Johannesburg sehen will, verlässt das Hotel um 10.30 Uhr und kehrt am nächsten Morgen um 5.30 Uhr heim.

Dazu kommt die Überteuerung. Match und Konsorten bieten Quartiere wie Inlandsflüge zu stark erhöhten Preisen an. Aber auch lokale Airlines verlangen in der WM-Phase ein Mehrfaches der üblichen Preise. Jetzt ermittelt die staatliche Wettbewerbskommission, ihr liegt eine Mail zur Preisabsprache vor. Von einer Fluglinie, die sich Straffreiheit erhofft.

Und was, wenn VIP-Boxen leer blieben? Sie ließen sich nicht so leicht auffüllen wie normale Ränge; das könnte Gäste in Rage bringen, die ein Vermögen für ihre Boxen zahlen mussten. So oder so werden leere Logen bei Übertragungen wohl kaum zu sehen sein. Das Sendesignal produziert eine Tochter der Schweizer Firma Infront, Teilhaber an Match und geführt von Philippe Blatter, Neffe des Fifa-Bosses Sepp.

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