Fußball-WM:Le groupe ist das Mantra der Franzosen

Fußball-WM: Die französische Nationalmannschaft um Paul Pogba im Trainingslager.

Die französische Nationalmannschaft um Paul Pogba im Trainingslager.

(Foto: AFP)
  • Nationaltrainer Didier Deschamps trimmt die französische Nationalmannschaft darauf, sich als Kollektiv zu verhalten.
  • Dieses "le groupe"-Mantra fußt auf dem Trauma der Weltmeisterschaft in Südafrika 2010, als Teile des Teams streikten.
  • Einziger Störfaktor ist Paul Pogba, der für sich schon mal beansprucht, der "Patron der Mannschaft" zu sein.

Von Oliver Meiler

Alle Nationalmannschaften haben ihre Mythen und Legenden, an denen sie sich aufrichten, wenn es mal nötig ist. Die meisten haben aber auch Traumata, die sie mit sich herumtragen in der ewigen Sorge, sie könnten wie böse Geister wiederkehren. Das Trauma der Franzosen trägt den sperrigen Namen Knysna. So hieß das Trainingslager der Bleus während der Weltmeisterschaft in Südafrika 2010. Damals führten einige Spieler einen affigen Streik auf, blieben einfach im Bus sitzen und machten Trainer Raymond Domenech zum Clown. Sie flogen früh aus dem Turnier, und daheim fragte man sich mit soziologischer und psychologischer Gründlichkeit, ob dieses Team aus Eigenbrötlern nicht ein trauriger Spiegel der französischen Gesellschaft insgesamt sei.

Das ist mittlerweile acht Jahre her. Doch die Erinnerung wirkt derart stark nach, dass jetzt, wo die Franzosen ihr WM-Camp in Istra bei Moskau aufgeschlagen haben, wieder jeder Egotrip des einen oder anderen, vor allem aber natürlich von Mittelfeldhäuptling Paul Pogba, alle Alarmglocken zum Klingen bringt. Knysna und Istra - ist das nicht derselbe Sound?

Der Mannschaft wird eingebläut, dass sie sich als Gruppe, als Kollektiv, zu verhalten habe, und keine Misstöne nach außen tragen möge. Didier Deschamps, der die Bleus seit 2012 coacht, wiederholt das Wort "le groupe" wie ein Beschwörungsmantra und hat offenbar tausend Regeln aufgestellt. Die Spieler sollen nur reden, wenn das vom Verband so vorgesehen ist. Für die Presse ist das natürlich nicht sehr lustig. Die Zeitung Libération schrieb von einer "totalen Gefügigkeit" der Spieler.

Deschamps bleibt stur

Aufgemuckt haben bisher nur die, die "DD", wie der Trainer in Frankreich genannt wird, nicht in den 23er-Kader berufen hat. Vor allem Adrien Rabiot, der junge Mittelfeldspieler von PSG, mochte seinen Ausschluss nicht unkommentiert hinnehmen und löste mit seiner Kritik eine mittlere Staatsaffäre aus. Rabiot sagte, die Entscheidung sei keine sportliche gewesen, er habe mit der Nationalelf abgeschlossen. In Rabiots Deutung hat Deschamps seine persönlichen Vorlieben - und die orientierten sich am Grad der Folgsamkeit. Da ist sie wieder: die Disziplinierung der Gruppe.

Vorgeworfen wurde Deschamps auch, dass er den Ausgemusterten ihr Los nicht direkt mitteilte, sie erfuhren es im Fernsehen, auf TF1, wo der Coach in den Abendnachrichten die Liste vorlas, um 20.22 Uhr, die genaue Uhrzeit wurde notiert. Im Interview mit Le Parisien rechtfertigte sich der Trainer so: "Was hätte ich tun sollen? Sie anrufen? Oder es ihnen ins Gesicht sagen? Die wären mit Kisten voller Tomaten zum Gespräch erschienen." Deschamps gilt als stur und prinzipiengetreu, ein baskischer Dickschädel im besten Sinn.

Trotz Kritik hält er auch an seinem Beschluss fest, Mittelstürmer Karim Benzema nicht mehr aufzubieten, seit sich der mit einer unseligen Geschichte um ein Sexvideo selbst ins Abseits gespielt hatte. Die Nummer "9" von Real Madrid, finden aber viele in Frankreich - inklusive einige ehemalige Teamkollegen Deschamps aus den gloriosen Zeiten - wäre der bessere Stoßstürmer als Olivier Giroud (FC Chelsea). Das denkt natürlich auch Zinédine Zidane. Der hat als Trainer mit Benzema und Real in den vergangenen Jahren drei Mal die Champions League gewonnen.

Zizou und DD: In Frankreich gilt es als ausgemacht, dass Zidane Deschamps als Trainer beerben wird. Dessen Vertrag läuft zwar erst 2020 aus. Doch wenn es nicht ganz so gut läuft in Russland, wie all jene denken, die das junge und talentierte Frankreich für einen der ganz großen Turnierfavoriten halten, dann kommt die Zeit schon sehr viel schneller.

Das Angriffsquartett und die unverhandelbare Reizfigur

Im letzten, ziemlich müden Testspiel in Lyon gegen die USA (1:1) zeigte der umstrittene Giroud mal wieder seine Grenzen. Die Franzosen enttäuschten insgesamt. Einer Niederlage entgingen sie nur knapp, dank eines Tores des neuen Starspielers, Kylian Mbappé (Paris SG), in der 78. Minute. Vor allem in der Verteidigung war man schwach, die Abwesenheit des verletzten Laurent Koscielny (FC Arsenal) wiegt schwerer als gedacht. Die Amerikaner griffen nur selten an, sorgten aber jedes Mal für Chaos.

In der Offensive standen sich Mbappé, Giroud und Antoine Griezmann (Atlético Madrid) ständig auf den Füßen, weil es alle drei ins Zentrum drängte, meist gleichzeitig. Nominell bilden sie aber mit Ousmane Dembelé (FC Barcelona) eines der aufregendsten Angriffsquartette der WM. Deschamps kann es sich erlauben, neben Benzema auch auf Topstürmer wie Ribéry, Coman (beide FC Bayern), Lacazette (Arsenal) und Martial (Man United) zu verzichten.

WM-Kader Frankreich

Tor: Hugo Lloris (Tottenham Hotspur), Alphonse Areola (Paris SG), Steven Mandanda (Olympique Marseille).

Abwehr: Raphael Varane (Real Madrid), Samuel Umtiti (FC Barcelona), Adil Rami (Marseille), Presnel Kimpembe (PSG), Lucas (Atlético Madrid), Benjamin Mendy (Manchester City), Benjamin Pavard (VfB Stuttgart), Djibril Sidibé (AS Monaco).

Mittelfeld: Paul Pogba (Manchester Utd.), N'golo Kanté (FC Chelsea), Blaise Matuidi (Juventus Turin), Nabil Fekir (Olympique Lyon), Thomas Lemar (AS Monaco), Steven N'Zonzi (FC Sevilla), Florian Thauvin (Marseille), Corentin Tolisso (FC Bayern).

Sturm: Antoine Griezmann (Atlético Madrid), Olivier Giroud (FC Chelsea), Kylian Mbappé (Paris SG), Ousmane Dembelé (FC Barcelona).

Die einzige gute Nachricht gegen die USA lieferte jener Herr im Zentrum des Teams, der von sich sagt: "Ich will die Zügel der Mannschaft in die Hände nehmen, ich will ihr Patron sein, auf und neben dem Platz." PP, "Pog", Paul Pogba. Er spielte endlich mal wieder eine ansprechende Partie, eine, die einigermaßen sein protziges Gehabe kompensierte. Das kam in jüngerer Vergangenheit nicht mehr oft vor. Als er unlängst beim Freundschaftsspiel gegen Italien (3:1) ausgewechselt wurde, pfiff das ganze Stadion. Sein Talent ist unbestritten, Anlass zu Debatten gibt aber seine oftmals mangelhafte Bereitschaft, das Talent auch wirklich einzusetzen für das Gemeinwohl.

Der "Show off" Pogba überschattet das Mittelfeld

Pogba ist die Reizfigur der Bleus, der vielleicht einzige, größtmögliche Störfaktor in DD's Kollektivwahn. Wenn Pogba von sich selbst spricht, benutzt er gern die dritte Person Einzahl - majestätisch. Er sagt nicht "ich", er sagt "Paul Pogba".

In den vergangenen Monaten zeigte der Fernsehsender Canal Plus eine Serie, in deren Mittelpunkt der 25-Jährige von Manchester United stand: "Pogba Mondial" hieß das Format, Untertitel: "La PogSérie". In der ersten Episode bestätigte der junge Mann recht hemmungslos alle Vorwürfe, die man ihm macht. Er führte durch sein Haus, das "PogHouse", in dem alles einen Namen hat - seinen: Der Kinosaal heißt "PogCinéma", die Kammer mit den Süßigkeiten "PogCorner", die kleine Fußballbox für zwei gegen zwei mit großen Bildern Pogbas an den Wänden "PP Arena". Er mache jetzt auf "Show off", sagt er zu Beginn, "ein bisschen Floyd Mayweather" - der Boxer mit dem überdimensionalen Ego. An den Ohrläppchen trug Pogba jeweils ein "P".

Deschamps hält trotz allem an ihm fest. Pogba ist unverhandelbar. Manchmal aber droht er ihm ein bisschen mit Corentin Tolisso vom FC Bayern. Der steht in der Regel etwas tiefer als Pogba und ist sich auch nicht zu schade, Abwehrarbeit zu übernehmen, wenn mal wieder Not herrscht hinten. Blaise Matuidi tut das auch, er ist die Verkörperung des Wasserträgers: nie wirklich brillant, aber sehr solide. Für die besten Leistungen ist meist der stille N'Golo Kanté zuständig, der im mächtigen Schatten Pogbas manchmal etwas untergeht. Von allen Mittelfeldspielern ist er der konstanteste und ausdauerndste.

Deschamps übrigens, mittlerweile 49, war zu Aktivzeiten ein beispielhafter Teamplayer. Kein Blender, aber ein Lenker und Denker des Spiels. 1998 und 2000 führte er die Bleus, die als gelungene Integrationskombo "Black-blanc-beur" in die Geschichte eingehen sollten, als Kapitän zum Titel bei den Welt- und Europameisterschaften. Zidane war natürlich der große Held jener Zeit - sehr gesellig und kollektivgetrieben war er aber nicht. Es kursiert die Legende, dass Zidane drei Viertel der Mitspieler in der Umkleidekabine einfach ignorierte und gar nicht erst grüßte.

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