Fußball-WM: Johannesburg:Unter Angstgegnern

Johannesburg ist Südafrikas wichtigste Wirtschaftsmetropole. Aber das kann das größte Problem dieser Stadt nicht lösen: die brutale Gewalt auf den Straßen.

Arne Perras

Wäre Johannesburg ein Bild, würde es vielleicht aussehen wie ein Werk von Kurt Schwitters. Eine Collage aus zerstreuten Fragmenten, die vordergründig nichts zusammenhält. Scherben und Splitter der Apartheid überlagern sich hier zu neuen Mustern. Harte Übergänge. Nichts fließt ineinander.

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"Johannesburg rocks!" So möchte sich die Stadt während der WM 2010 präsentieren.

(Foto: afp)

Grenzenlos ist nur der Drang der Bewohner, ihr Leben zu sichern.

Max darf keinesfalls fehlen in diesem Bild. Er ist ein wahrer Held, auch wenn er schon seit sechs Jahren tot ist. Johannesburg ehrt ihn, und die Leute stehen am Wochenende Schlange, um ihm wenigstens für einen Moment nahe zu sein Man findet ihn im Zoologischen Garten. Max, der Gorilla, hat hier sein Denkmal.

Lebensgroß und in Bronze gegossen. Die Kinder setzen sich gerne auf seinen Schoß, dann macht Jabulani, der freundliche Photograph, ein Bild, das er den Eltern für zwanzig Rand (zwei Euro) das Stück verkauft.

Das mit Max kam so: Eines Tages im Jahr 1997 sprang ein Mann von der Straße über die Zoomauer und landete im Gehege des Gorillas. Der Eindringling war ein Schwerverbrecher und auf der Flucht vor der Polizei. Max war gleich skeptisch und hat ihm eine gewischt. Aber der Gangster hatte eine Pistole bei sich, er feuerte zweimal und streckte den tapferen Max nieder.

Immerhin konnte der Gorilla den Bösewicht aufhalten, entscheidende Minuten waren das, die der Polizei halfen, um den Gangster festzunehmen. Max war schwerverletzt. Ein Foto im Zoo zeigt ihn auf dem Rücken, ein besorgter Sanitäter hängt ihn gerade an den Tropf. Er kommt in die Klinik, und die besten Chirurgen strömen herbei, um ihn zu operieren. Er erhält Briefe und Geschenke.

Abgerissene Wände

Alle zittern um Max. Doch er schafft es. Die Firma Maxidor, die Sicherheitstore entwickelt, übernimmt bald eine Patenschaft für den Gorilla. Er passt prächtig ins Konzept. Max, der sanfte Riese, "verkörpert unsere Vision", verkündet das Unternehmen. 2004 stirbt der Gorilla schließlich eines natürlichen Todes. Aber der Mythos des Unerschrockenen, der den bewaffneten Schwerverbrecher packte, lebt weiter. Nur Johannesburg hat einen Helden wie Max.

Fußball-WM: Johannesburg: Das Stadion in Johannesburg soll neben der Skyline zum Wahrzeichen der Stadt werden.

Das Stadion in Johannesburg soll neben der Skyline zum Wahrzeichen der Stadt werden.

(Foto: ap)

Nicht weit vom Zoo entfernt liegt das Goethe-Institut. Zum 20. Jahrestag des Berliner Mauerfalls hatten sie hier eine umwerfende Idee. Das Institut beschloss, am 9. November 2009 die Mauer um sein Gelände einzureißen. "Cracking Walls" hieß das Happening und machte von sich reden. Für den deutschen Botschafter Dieter Haller muss es ein aufregender Tag gewesen sein. Er durfte Baggerfahren. Ein Loch hat er in die Wand gerissen, und wer jetzt vorbeifährt am Goethe-Institut in der Jan Smuts Avenue, kann von der alten Mauer schon nichts mehr erkennen.

Johannesburg ist nämlich eine Stadt der Zitadellen, hier werden mehr Wände hochgezogen als abgerissen. Man kann das im Norden der Stadt gut sehen, wo überall neue Wohnkomplexe entstehen, geschützt von mächtigen Mauern. Die Anlagen sehen aus wie große Forts. Die Politik der Rassentrennung gibt es nicht mehr in Südafrika. Mit der Apartheid ist es seit 1994 vorbei. Heute diktiert die Angst, an welchen Stellen die Menschen ihre Grenzen ziehen.

Die Furcht klebt an vielen Mauern, meist ist sie eckig und blaugelb: "ADT, Armed Response." Das Logo der größten Sicherheitsfirma. Der bürgerliche Bunker besitzt Elektrozaun, Wachhund, Alarmanlage und Kamera, wenn es der Besitzer ernst meint. Und die meisten von ihnen meinen es sehr ernst. "Hide and Seek". Versteck dich oder sie kriegen dich. Archaische Jagd im Dickicht der Stadt. Gewaltverbrechen und brutale Raubüberfälle sind in Südafrika weit häufiger als in den meisten anderen Ländern. Und es sind nicht nur Weiße, die sich so verbarrikadieren. "Wir alle teilen diese Psychose", sagt der Politologe Adam Habib, der im noblen Viertel Rosebank hinter hohen Mauern und Elektrozaun wohnt.

Die Furcht ist ein Regenbogen. Aber der ist in der Bildsprache Südafrikas schon für Höheres reserviert. Symbol der multiethnischen Nation, als die sich Südafrika seit Ende der Apartheid neu erfinden möchte. Das Verbrechen trübt zwar das Bild. Aber die Metropole arbeitet tapfer weiter. Sie lässt sich nicht entmutigen. Es wäre übertrieben, von einer fröhlichen, lockeren Stadt zu sprechen. Aber Depression sieht anders aus. Zu groß, zu weit, zu rastlos ist sie, als dass die Gangster Johannesburg ganz überwältigen könnten. Man erinnert sich noch an die Worte eines Freundes: "In Johannesburg wird Geld verdient, deshalb sind wir doch alle hier. Das hält die Stadt zusammen, sonst nichts." Wenn er recht haben sollte, dann ist Johannesburg im Wesentlichen das geblieben, was es auch in seinen Anfängen vor 120 Jahren schon war: Ein Ort der Goldgräber. Alle auf der Suche nach dem großen Geld und Glück. In jedem Fall ist Johannesburg Afrikas wichtigste Wirtschaftsmetropole, ein gewaltiges Kraftwerk, das die grassierende Kriminalität bremsen, aber nicht stoppen kann.

Wer die Commissioner Street vom Zentrum den Hügel hinauffährt, erreicht die alte Feuerwehr. Der Teer ist hier ein wenig aufgebrochen. Darunter liegen noch die alten Schienen, welche die ersten beiden Goldgräbercamps miteinander verbanden. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. "1906 war der alte Turm das höchste Gebäude der ganzen Gegend", sagt der alte Feuerwehrmann Joshua Mphela.

Von hier aus hielten die Männer Ausschau nach verdächtigem Rauch. Heute ist diese Stadt voller mächtiger Türme, von denen das Carlton Centre im Zentrum alle überragt. 223 Meter, das höchste Gebäude Afrikas.

Monumentale Skyline

South Africa Prepares For FIFA World Cup

Mit zahlreichen Festivals stimmen sich die Bewohner auf die WM ein.

(Foto: getty)

Johannesburg hat eine monumentale Skyline, an die keine andere afrikanische Stadt heranreicht. Und sie hat, weiter draußen, ihre riesigen Townships. In diese Wohngebiete hat man früher die Schwarzen geschickt, sie durften sich nur nach bestimmten Regeln und mit besonderen Ausweisen in Johannesburg bewegen. Heute sind sie alle frei, aber die meisten wohnen noch immer in den Townships. Die Topographie der Apartheid hat den politischen Wandel vielerorts überdauert. Spaltung war das ordnende Prinzip. Keine Stadt kann sich davon schnell erholen. Auch Johannesburg nicht, wo inzwischen - Soweto eingerechnet - mehr als sechs Millionen Menschen wohnen.

Orlando, in der Township Soweto: Ein brauner Backsteinbau. Drinnen hängen Fernseher und große Fotos in schwarz- weiß. Eines der Bilder hat man noch in Erinnerung. Es ging um die Welt. Jetzt, da die Menschen auf dem Foto in Lebensgröße auf einen zurennen, ist es beklemmender denn je. Ein verzweifelter Mann trägt den leblosen Körper eines Jungen. Hector Pieterson, zwölf Jahre alt. Getötet durch eine Kugel des Apartheidapparats. Seine Schwester Antoinette Sitholo rennt nebenher und schreit. Das Bild enstand während des Aufstands in Soweto, 1976. Hier im Museum von Orlando lebt er wieder auf. Und auch der Wahn der Apartheid: "Es ist kein Platz für die Bantu in der europäischen Gemeinschaft, abgesehen von bestimmten Formen der Arbeit." Worte von Henrik Verwoert, 1948. Er war Minister und später Premier des weißen Regimes. Die Häuschen aus früheren Jahren stehen noch in Orlando. In Reih und Glied ziehen sie sich den Hügel hinauf, wie Streichholzschachteln, die man sorgfältig auf ein Stück Pappe aufgeklebt hat. Aber es wird auch viel neu gebaut in Soweto, sogar glitzernde Shoppingcenter wie die Maponya Mall sind hier gewachsen. Die Township verwandelt sich, sie hat jetzt viele Gesichter.

Johannesburg ist wie eine große Grube der Geschichte: Man kann überall in der Zeit der Apartheid schürfen, aber auch noch viel tiefer. Dann stößt man zunächst auf das Gold, mit dem alles begann. Und wenn man noch weiter zurück geht, ganz weit, dann kommen diverse Schädel zum Vorschein, wie man sie im "Origin's Centre" der Witwatersrand- Universität betrachten kann.

Der Mensch und seine Vorläufer sind hier sauber in dunkle Schubladen einsortiert. Von unten nach oben. Australopithecus, Homo habilis, Homo erectus, Homo sapiens. Schädel in allen Formen und Größen, die man einzeln herausnehmen kann, drehen und wenden. Es sind ja keine Originale, sondern Kunststoffimitate.

Die ganze Ahnengalerie aus nächster Nähe - oder wen man alles dafür hält. Zumindest kommen sie aus Afrika. Für die Wissenschaftler ist die Gegend um Johannesburg ein Paradies. Gerade erst haben sie ganz in der Nähe ein nahezu komplettes Skelett eines Kindes gefunden, das zwei Millionen Jahre alt ist und noch genau erforscht werden will.

Im Stadtradio reden sie aber lieber über einen anderen Schädel, der jetzt ausgegraben wurde: An einer Bahnstrecke in Soweto hat ein Mann die Leiche einer Frau entdeckt. Womöglich ist es die Tat eines Serienmörders, heißt es. Zwei Top-Kriminalisten ermitteln. Und die Lebenden? Mischen sie sich auch mal in einer so tief gespaltenen Stadt? In den Schulen schon, aber nicht überall. In den Büros, wo alle ihr Geld verdienen. Auch mal abends in der Kneipe oder der Disco, wo das Geld wieder ausgegeben wird. Zum Beispiel in Vierteln wie Rosebank oder Melville. Dort mischt sich das Volk von Johannesburg schon bunt durcheinander.

Nicht zu vergessen die großen Einkaufszentren: Im Konsumdrang finden alle irgendwie zueinander, dies ist der große Konsens von Johannesburg. Zumindest bis alle mit ihren Einkaufstüten in der Tiefgarage verschwinden und ihrer Wege gehen. Sandton City ist so ein moderner Einkaufstempel. Ohne Geld kommt man hier natürlich nicht weit, aber manche wandern auch ohne jeden Rand über Rolltreppen und durch das Labyrinth der glitzernden Gänge, blicken hinein in die Fenster von Cartier und Gucci, Daniel Hechter und Hugo Boss.

Sandton City ist die größte Shopping Mall in Afrika, "ein unvergleichliches Einkaufserlebnis", wie die Manager versprechen. In der Tat ist die Stadt hier ganz international. Reiche Afrikaner und Touristen aus aller Welt gehen hier mit ihren Kreditkarten spazieren. Und die Herren der Fifa, die über die Fußball-WM wachen, werden in den nächsten Wochen auch gleich nebenan wohnen.

Gar nicht weit von dieser Glitzer-Mall und den schicken Sandton-Hotels liegt Alexandra, das älteste Township von Johannesburg. Eng, überfüllt und arm. Alex, wie sie es nennen, ist das Einfallstor in die Stadt für alle, die kein Geld haben und sich irgendwie durchschlagen müssen. Hier kann man sich einen Verschlag mieten, ein Dach aus Wellblech, viel mehr ist es nicht. Alex hat einen schlechten Ruf, denn hier, wie auch in anderen Townships, hatte es Attacken auf Ausländer gegeben. Mosambikaner, Simbabwer, Somalier. Sie alle konkurrieren mit den Einheimischen um Jobs.

Aber Alex kann auch anders. Ein Frau erzählt von denen, die dringend eine Unterkunft suchen. Für diese Leute sei der Preis verhandelbar, sagt sie. Er hänge davon ab, was einer hat. "Ubuntu" nennen die Leute das, ein Wort, das nicht so leicht zu übersetzen ist. Es kann vieles beschreiben: Eine Form der Güte, ein Entgegenkommen, ein Gefühl, dass alle doch irgendwie zusammengehören.

Auch das ist Johannesburg, ganz unten.

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