Fußball-WM: Joachim Löw:Die letzte Klassenfahrt

Der WM wird der Wandel folgen, vorher genießt Bundestrainer Joachim Löw die Herausforderung bei diesem Turnier. Er muss es niemandem mehr recht machen - außer sich selbst.

Philipp Selldorf

Das Gelände des Luxushotels, das die deutsche Nationalmannschaft während ihres ersten WM-Trainingslagers auf Sizilien bewohnte, umfasste ein Territorium, das ungefähr der Größe von Rheinland-Pfalz, mindestens aber der des Saarlandes entsprach. Mehrere Golfplätze gehörten zu diesem Königreich, Olivenhaine und Südfruchtplantagen, Felder und Wälder. Es gab Zentren für Schönheitspflege und Wohlergehen, Swimming-Pools und einen kilometerlangen privaten Sandstrand, und in den exquisiten Unterkünften standen Betten, die nicht ganz so groß wie das Saarland waren, aber fast.

Fußball-WM: Joachim Löw: Gutgelaunt: Joachim Löw beim Training der deutschen Nationalelf in Südafrika.

Gutgelaunt: Joachim Löw beim Training der deutschen Nationalelf in Südafrika.

(Foto: AFP)

Joachim Löw hat sich zu den üppigen Verhältnissen nicht dezidiert geäußert, weil er auf Sizilien aus aktuellen Gründen meistens über Michael Ballack und dessen Verletzung reden musste, aber es darf als sicher gelten, dass er auf den ganzen Fünf-Sterne-Kram gut hätte verzichten können. Ihm war nur dieses Stückchen Land wichtig, das die Hoteldirektion einige hundert Meter von der Küste entfernt in die Landschaft hatte implantieren lassen. Dieses Grundstück bedeckte ein fein geschnittener Rasen, an seinen Enden waren Fußballtore installiert. Hier lag Löws privates Königreich, hier herrschte er mit Freuden.

Dem Bundestrainer in dieser ersten Woche der Turniervorbereitung bei der Trainingsarbeit zuzuschauen, war ein Vergnügen. Man sah einen glücklichen Menschen. Löw bewegte sich innerhalb seines Ensembles, das er im Flachpass, in der Einleitung des Flankenlaufs und anderen Grundlagen des Fußballs lehrte, wie der Choreograph eines Tanztheaters. Mit beiden Händen gestikulierend demonstrierte er den Spielern, was sie tun und wie sie sich bewegen sollten; oft stoppte er die Übungen, um selbst das richtige Beispiel zu geben. Nicht alles funktionierte gleich, die Proben befanden sich noch in den Anfängen. "Nicht so hopplige Dinger", mahnte Löw den Mittelfeldspieler Piotr Trochowski, und gleich danach trat Lukas Podolski ein ausgesprochen hoppliges Ding in den Strafraum. Löw nahm es hin.

Man war hier zusammengekommen, damit es besser wird, und Löw hat es lebhaft genossen, dass er endlich seinem sportpädagogischen Antrieb freien Lauf lassen durfte. Monatelang hatte er seine Spieler nur von den Tribünen der Bundesligastadien erleben dürfen, er war ein Trainer ohne Mannschaft, und das ist besonders für den Sportlehrer Löw schlimm. Hätte ihn auf Sizilien einer der mitgereisten Reporter als "Hütchenaufsteller" oder "Übungsleiter" bezeichnet, dann wäre das keine Polemik, sondern die Wahrheit gewesen. Es hat Löw zwar gestört, dass er nicht seine gesamte Auswahl beisammen hatte, weil die Spieler des FC Bayern wegen der Teilnahme am Champions-League-Finale nicht abkömmlich waren, aber es hat sein Befinden nicht wesentlich beeinträchtigt.

In diese frohe Zeit platzte die Nachricht von der Verletzung des Kapitäns Michael Ballack. Bis zur definitiven Diagnose hat sich Löw nicht aus der Ruhe bringen lassen, er wirkte immer noch sehr entspannt, aber als er am nächsten Tag die Nachricht vom unwiderruflichen Ausfall des Mittelfeldchefs erhielt, hat er dann doch eine emotionale Reaktion gezeigt. Er hat Ballack für sein Pech bedauert, er hat ausgedrückt, dass "alle sehr, sehr traurig" seien, und natürlich hat er auch gesagt, dass es für die Mannschaft ohne ihren routinierten Anführer schwerer sein werde beim WM-Turnier. Die eigentliche Botschaft allerdings versteckte sich zwischen den Adressen des Mitgefühls und Bedauerns: "Dann rücken andere nach und wachsen über sich hinaus", prophezeite Löw und berichtete: "Von Resignation kann keine Rede sein."

Personelle Veränderungen nach der WM

Daheim in Deutschland sind diese zentralen Mitteilungen nicht richtig angekommen, dort wurde der Verlust des Kapitäns zum Schicksalsschlag erhoben; seit Jahrzehnten habe eine deutsche WM-Expedition keinen so schweren Verlust hinnehmen müssen, hieß es in Zeitungskommentaren, die das ernste Gewicht von Leitartikeln hatten. Ballacks Ausscheiden und die folgenden Trainingslagerunfälle der Kaderspieler Heiko Westermann und Christian Träsch fügten sich in die düstere Stimmung, die seit Monaten um die Nationalmannschaft herrscht.

Zur belasteten Atmosphäre trägt der Tod von Robert Enke einen inneren Schwerpunkt bei, einen anderen bildet der Krach zwischen dem DFB und der Leitung der Nationalmannschaft über die Abfassung neuer Arbeitsverträge. Die Stornierung des Projektes Vertragsverlängerung wirkt bis in die Gegenwart. Während DFB-Chef Theo Zwanziger die von Teammanager Oliver Bierhoff vorgebrachten Forderungen immer noch als unverfroren ansieht, sind Löw und Mitstreiter immer noch erschüttert über die ihrer Meinung nach hinterhältige Informationspolitik des Verbandes. Obwohl sein Verhältnis zu Zwanziger inzwischen wieder besser ist, hat Löw nicht verziehen, dass Bild damals über alle Details informiert worden war.

Seit jener Entzweiung gilt es als sicher, dass sich die personellen Verhältnisse rund um die Nationalmannschaft nach der WM umfassend verändern werden. Es wird einen neuen Trainerstab geben, Bierhoff wird nicht länger Teammanager bleiben, Pressechef Harald Stenger muss gehen, mehrere Teambetreuer, einschließlich des altgedienten Busfahrers, planen ihren Abschied. Über dem Unternehmen Südafrika liegt die Ahnung der abschließenden Klassenfahrt, und dass am Ende ein großes, wehmütiges Lebewohl steht.

Von nahender Sentimentalität ist allerdings nichts zu spüren beim Bundestrainer, und schon gar nichts von der Sorge um den nächsten Job. Was man vor allem an ihm wahrnimmt, ist seine beinahe unverfrorene Entspanntheit und eine in dieser Branche ungewöhnliche Unabhängigkeit, mit der er sich über alle Zwänge und Rituale des Fußballgeschäfts hinwegsetzt. Es kümmert ihn nicht, dass ihn die Leute nicht verstehen, wenn er Kuranyi, Frings und Hummels zu Hause lässt, stattdessen aber Tasci und Aogo, Klose und Gomez mitnimmt. Von Fall zu Fall wirken seine sportlichen Urteile bis zur Exzentrik eigensinnig, manchmal auch stur, aber Löw kann sich das leisten.

Er muss es niemandem mehr recht machen - außer sich selbst, dem Bundessportlehrer Löw. Und jetzt freut er sich darauf, beim Turnier der Weltbesten mit einer Gruppe von begabten Nachwuchsdarstellern anzutreten, in der ein 26-Jähriger den Kapitän und ein 25-Jähriger dessen Stellvertreter gibt. Was nicht nur nach Meinung des Kölner Stadt-Anzeigers aussieht "wie ein klassisches Himmelfahrtskommando", empfindet Löw als schönste Herausforderung seiner Trainerlaufbahn. Sein Vertrauen in seine Spieler ist groß, er lässt sie das spüren, und beim enthusiastisch eingespielten 3:1-Sieg gegen Bosnien bekam das Publikum einen Eindruck davon, dass dieses jugendliche Team sehr empfänglich ist für die positive Ansprache.

Am Ende des zweiten Trainingslagers in Südtirol hatte sich der neue Kapitän Philipp Lahm einen Flaumbart stehen lassen, rührend wirkte dieses Zeugnis der Männlichkeit. Aber sobald er dann anfing zu reden, hörte man auf, auf die Nebensachen zu achten, weil er eigentlich immer etwas Vernünftiges oder Interessantes zu sagen hat. In dieser Südafrika-Mission der DFB-Auswahl, die so viele der klassischen deutschen WM-Traditionen vermissen lässt, steckt womöglich mehr Substanz, als es der Schein erwarten lässt. Joachim Löw hat daran nie gezweifelt.

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