Fußball-WM: Ghana - Uruguay:Hand, Latte, Tränen

Die Weltmeisterschaft in Südafrika hat ihr Drama - beim Viertelfinal-Aus gegen Uruguay erlebt Ghana die ganze Grausamkeit des Fußballs.

Christian Zaschke, Johannesburg

Der Elfmeter vor den Elfmetern. Wie oft werden die Ghanaer an ihn denken. In der letzten Minute der Verlängerung hatte Luis Suarez den Ball mit der Hand von der Torlinie geschlagen, 1:1 stand es im Viertelfinale zwischen Ghana und Uruguay. Rot für Suarez, Elfmeter für Ghana. Hätte Asamoah Gyan ins Tor getroffen, wäre die Partie vorbei gewesen, und Ghana hätte als erstes afrikanisches Team ein WM-Halbfinale erreicht. Aber Asamoah Gyan traf nicht ins Tor. Er traf die Latte. So nahm, aus ghanaischer Sicht, das Unglück seinen Lauf.

Uruguay's Luis Suarez saves the ball with his hands during a 2010 World Cup quarter-final soccer match at Soccer City stadium

120. Minute: Luis Suarez weht den Ball mit der Hand ab. Er sollte seiner Elf damit das Elfmeterschießen sichern.

(Foto: rtr)

4:2 gewannen die Uruguayer das Elfmeterschießen, sie bejubelten ihren letzten Schützen Sebastian Abreu, der die Kugel in die Tormitte gelupft hatte, lässig, ohne Nerven, er wird "der Verrückte" genannt. Für die Ghanaer muss es wie eine schlechte Pointe gewirkt haben, dass Gyan im Elfmeterschießen seinen Schuss so sicher versenkte. Hätte er das vorher getan - nicht auszudenken, was in Johannesburgs Soccer City losgebrochen wäre, in Südafrika, auf dem Kontinent. Pathetisch gesagt: Afrikas Hoffnung zerschellte an Suarez' Hand. Hätte der uruguayische Stürmer nicht Torwart gespielt, hätte Ghana gewonnen. Oder wenn Gyan getroffen hätte. So knapp war Ghana dran, die Hoffnung des Kontinents zu erfüllen, nun ist die Mannschaft auf zynischste Weise gescheitert.

Es sagt sich so leicht dahin, man spiele für einen Kontinent. Die Verantwortung ist im Grunde zu groß, der Druck kann eine Mannschaft ganz klein werden lassen. Die Ghanaer waren jedoch in der vergangenen Woche offensiv mit den hohen Erwartungen umgegangen, beinahe gelassen. Und genau so präsentierten sie sich auch auf dem Platz. Der unmenschliche Druck? War ihnen, wenn überhaupt, nur in der Anfangsphase anzumerken. Und wie Richard Kingson, der Tormann, der einst Kingston hieß, zunächst schon wieder in Form war; er war auf bestem Wege, eine der erfreulichsten Gestalten der WM zu werden, und im Grunde ist er das auch trotz seines Fehlers beim 1:1.

Es gab allerdings noch eine weitere erfreuliche Gestalt des Turniers auf dem Platz. Diego Forlan kann zwar nicht damit aufwarten, dass er früher Fortlan oder ähnlich hieß, dafür aber mit gepardendynamischen Läufen durchs Mittelfeld. Bereits nach fünf Minuten zeigte er mal einen, er gewann Meter um Meter und umkurvte nebenbei einige Ghanaer, sein anschließender Pass geriet ihm etwas zu lang. Doch die Ghananer wussten Bescheid: Alles, was sie über die Gefährlichkeit dieses Mannes gehört hatten, war nicht übertrieben.

Eine Kingson-Time zu wenig

Kurz darauf begann eine kleine Privatvorstellung Richard Kingsons. Nach elf Minuten parierte er einen Schuss von Luis Suarez, der sich gegen Isaac Vorsah durchgesetzt hatte. Nach 14 Minuten wehrte er einen Freistoß Forlans ab, allerdings mit leichten Problemen; er faustete den Ball kerzengerade nach oben. Nach 18 Minuten wehrte er mit einem tollen Reflex einen Ball ab, den John Mensah unfreiwillig aufs eigene Tor gebracht hatte. Es war Kingson-Time.

Ghana aktiver

In den folgenden Minuten übernahmen die Ghanaer die Initiative. Einmal noch musste Kingson mit einer erstklassigen Parade einen Schuss von Suarez abwehren (26. Minute), ansonsten erspielte sich nur Ghana Chancen. Asamoah Gyan schoss knapp rechts neben das Tor (31.), Kevin Prince Boateng versuchte einen Fallrückzieher, was exzellent aussah, aber keinen Erfolg brachte (45.). Unmittelbar vor dem Ende der ersten Halbzeit tat dann Sulley Muntari etwas, das in den meisten Fällen zu Augenrollen, Stöhnen und Seufzen auf den Tribünen führt: Er schoss einfach mal aus großer Entfernung - es mögen rund 30 Meter gewesen sein - aufs Tor.

Diesmal aber folgte dem Schuss nicht das Seufzen sondern der Jubel, denn der Ball zischte über das Gras in rechte untere Ecke, Torwart Fernando Muslera war zunächst auf dem Weg in die falsche Richtung gewesen. 1:0 stand es plötzlich für Ghana, sollte tatsächlich erstmals ein afrikanisches Team ins Halbfinale einer WM gelangen? Das Stadion wummerte, brummte und summte erwartungsfroh vor sich hin.

Neben den gepardendynamischen Läufen hat Diego Forlan allerdings noch eine zweite Spezialität. Er tritt eminent gefährliche Freistöße, auch aus 50 Metern Entfernung schießt er bisweilen aufs Tor. In der 55. Minute war die Distanz viel kleiner, der Ball lag nicht weit von der Strafraumgrenze, was höchste Gefahr bedeutete. Forlan schoss den Ball scharf nach rechts, Kingson aber hatte sich früh für die andere Ecke entschieden, ein Fehler mit Folgen. Der Ball flog zum 1:1 ins Netz, Forlan drehte jubelnd ab, Kingson schaute traurig, schuldbewusst. Was nützten die ganzen Paraden nach diesem Fehler, schien er zu denken.

Offenbar hatte ihn die Szene nervös gemacht, einige Minuten später gelang es ihm nicht, den Ball mit dem Fuß zu stoppen, ein Raunen ertönte. Wieder war Kingson-Time, diesmal jedoch nicht so, wie sich der ghanaische Torwart das gedacht hatte. Aber er fing sich. Das war auch nötig, denn die Uruguayer bekamen die Begegnung besser in den Griff. Sie dominierten die reguläre Spielzeit, sie dominierten auch die Verlängerung.

Die besseren Chancen hatte allerdings am Ende Ghana, Gyan scheiterte zweimal knapp (110., 113.), und Boateng vergab in der 118. Minute aus fünf Metern per Kopf die Chance zum Sieg. Es folgte, am Ende vor dem Ende, das Handspiel von Suarez, der Elfmeter von Gyan als Ouvertüre vorm Elfmeterschießen, in dem nicht ein drittes Mal Kingson-Time war an diesem Abend. Kapitän John Mensah vergab, Dominic Adiyiah vergab, und während die Ghanaer fassungslos ins Nichts blickten, wurde Sebastian Adreu von Uruguays Team auf Schultern getragen.

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