Fußball-WM: Frankreich - Mexiko:Einheit schlägt Zweckgemeinschaft

Mexiko gewinnt gegen Frankreich mit 2:0 - der WM-Zweite von 2006 steht vor dem Vorrunden-Aus. Trainer Raymond Domenech lässt Thierry Henry trotz Rückstand 90 Minuten lang auf der Bank.

Dieser Pass, der die Franzosen ins Verderben stürzte, sah aus, wie von Zidane geschlagen. Er fand seinen Weg im richtigen Augenblick, mit der richtigen Schärfe zu Javier Hernandez, der ihn sicher zum 1:0 verwertete. Gut möglich, dass Rafael Marquez vom FC Barcelona, der erfahrene Kapitän der mexikanischen Nationalmannschaft, einst auch zu den aufrichtigen Bewunderern des großen Monsieur Zinedine, von Frankreichs früherem Weltmeisterfußballer Zidane, gehörte. Aber jetzt war er, Marquez, der Urheber eines kleinen Meisterwerks, das seiner Mannschaft den Weg zu einem glänzenden 2:0 (0:0)-Sieg ebnete, der für Frankreich fast schon das Aus bei dieser WM bedeutet.

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Auf dem Weg zum 1:0: Javier Hernandez umspielt Hugo Lloris und schiebt den Ball ins Tor.

(Foto: afp)

Die Franzosen sind eine seltsame Mannschaft, sofern man diese blau gekleidete Zweckgemeinschaft überhaupt eine Mannschaft nennen kann. Im Grunde steckt viel drin in diesem Team, technische Finesse, Athletik, Defensivgeschick. Zu ihren besten Zeiten hat die Franzosen ausgezeichnet, dass sie Kunst und fußballerisches Handwerk klug miteinander vereinten, und das Potential, dieses zu tun, hat die Équipe Tricolore immer noch mit ihrer erstklassig besetzten Abwehr und mit Edelkickern wie Franck Ribéry oder Yoann Gourcuff in der Offensive. Aber es gelingt ihnen nicht richtig, ihre Einzelfähigkeiten zusammenzusetzen zu einer Gemeinschaftsleistung, was einerseits an Nationaltrainer Raymond Domenech liegen mag, der mit seiner verschrobenen Art bei den eigenen Leuten nicht immer gut ankommt.

Andererseits liegt es auch daran, dass sich dieses Ensemble keineswegs aus lauter Freunden zusammensetzt, nicht einmal aus lauter Kollegen, die ihre eigenen Interessen hinter die der Gemeinschaft zurückstellen. Schon vor dem 0:0 im ersten Spiel gegen Uruguay forderten einzelne Teammitglieder von Domenech, er möge den früheren Kapitän Thierry Henry von Anfang an bringen, was den gesetzten Offensivspielern bestimmt kein gutes Gefühl gab (Domenech folgte dann auch nicht).

Und vor dem Mexiko-Spiel wurde es kalt um den jungen, hochbegabten Spielmacher Yoann Gourcuff von Girondins Bordeaux, der nicht nur auf dem Feld zuletzt wenig Bindung zur Mannschaft fand, sondern offensichtlich auch außerhalb nur mit seinen wenigen Freunden im Kader ins Gespräch kam, mit Jéremy Toulalan von Olympique Lyon zum Beispiel . "Ich verstehe Yoann nicht", sagte Kapitän Patrice Evra, "um mit ihm zu kommunizieren, muss man mit Toulalan sprechen." Sagt das der Kapitän eines Teams, in dem die Chemie stimmt?

Offensichtlich stimmt sie nicht, und das hat sich auch gegen die Mexikaner gezeigt. Die Franzosen wirkten zunächst etwas agiler als bei ihrem Auftaktspiel gegen Uruguay, auch Chelsea-Stürmer Nicolas Anelka, dem Domenech trotz einer anhaltenden Torflaute so ausdauernd die Treue hält, dass man sich manchmal fragt, ob der Coach Anelkas Phlegma für eine Kunstform hält. Sie erarbeiteten sich auch wieder so etwas wie Feldüberlegenheit. Aber sie wurden nie zwingend.

Auf dem gepflegten Grün von Polokwane entfaltete sich anschaulich der Gegensatz zwischen einer Mannschaft, deren Spieler nicht zueinanderfinden, und einem Team, das eine gemeinsame Idee verfolgt. Am Ende der ersten Halbzeit hatten die Mexikaner jedenfalls einige flotte Angriffe vorgetragen. Carlos Vela zielte volley drüber (8. Minute), Guillermo Franco nach feiner Finte auch (12.) und Carlos Salcido prüfte Frankreichs Schlussmann Hugo Lloris nach einem Sturmlauf von links, dem der französisches Abwehrmann William Gallas vom FC Arsenal nur interessiert hinterherschaute. Das französische Kontrastprogramm umfasste zwei Schüsschen von Anelka und keine Gefahr.

Erst in der 54. Minute durfte sich Mexikos Torwart Oscar Pérez angemessen beschossen vorkommen, als Florent Malouda abzog. Domenech hatte zur Halbzeit reagiert und endlich doch ein Einsehen gehabt mit allen, die das Phlegma Anelkas nicht für eine Kunstform halten. Aber ob der 24-jährige Andre-Pierre Gignac vom französischen Mittelklasseklub FC Toulouse wirklich eine Bedrohung sein konnte gegen die gut sortierte Abwehr Mexikos? Andererseits: Wer sonst? Thierry Henry vielleicht, der frühere Weltklasse-Dribbler, der in dieser Saison eine hartnäckige Krise durchlebt?

Als der Rückstand da war, bot sich den Franzosen immerhin die Chance, jenen Kritikern zu widersprechen, die behaupten, die Blauen 2010 hätten keinen Charakter. Aber ihr Spiel blieb ohne Konturen, Bayern-Profi Franck Ribéry bewies einmal mehr, dass er nur glänzen kann, wenn jemand anders die Regie übernimmt. Und ab der 77.Minute war ohnehin alles vorbei, als Eric Abidal Pablo Barrera in die Seite rauschte. Cuauhtemoc Blanco verwandelte, ein gedrungener Offensivmann aus Veracruz, 37 Jahre alt, kein Edelkicker, aber Teil einer funktionierenden Einheit aus Mexiko.

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