Fußball-WM:Es ist kein Zufall, dass die Schweiz verzagt, wenn es drauf ankommt

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Haris Seferovic ist enttäuscht: Die Schweiz verliert gegen Portugal.

(Foto: dpa)
  • Gegen Portugal verpatzt die Schweiz schon wieder ein wichtiges Spiel und muss nun die Playoffs zur Fußball-WM überstehen.
  • Das kann kein Zufall mehr sein. Hat die Mannschaft ein mentales Problem?

Von Thomas Schifferle, Zürich

Es sah aus, als wäre alles bereit, als bräuchten die Schweizer nur noch den Schlüssel im Schloss zu drehen, um an den Champagner heranzukommen und die Qualifikation für die Fußball-WM 2018 zu feiern. Am Ende aber ließen sie viele Fragen zurück, vor allem eine: Warum wurden sie beim 0:2 in Portugal, im entscheidenden Moment des "Endspiels" um den Gruppensieg, schon wieder Opfer eines Systemausfalls? Zum x-ten Male seit 2006?

"Wir haben zu wenig gespielt", sagte Trainer Vladimir Petkovic, "wir waren zu passiv, wir hätten läuferisch mehr machen müssen. Vielleicht fehlte der Mut." Der Nationalcoach wirkte gefasst, als er seine erste Analyse machte. Was er sagte, war nicht falsch, aber es kratzt nur an der Oberfläche, es beschreibt nicht die eigentliche Ursache, die tiefer liegt: Wieso waren die Spieler mental nicht bereit? Wieso brachen sie nach dem 0:1 zusammen? Wieso waren sie zu keiner Reaktion fähig?

Um das zu beantworten, muss man ein wenig ausholen. Die Schweiz ist im Fußball in den vergangenen Jahren weit gekommen, sie hat sich zwar nicht ins Establishment hochgespielt, aber seit 2004 ist sie regelmäßig bei EM- und WM-Turnieren dabei gewesen, abgesehen von 2012. Diese Bilanz ist hervorragend und steht für die Arbeit, die der Verband leistet und die die Vereine leisten. Die Talent-Ausbildung in der Schweiz ist erstklassig.

Die verwöhnte Schweiz

Davon profitiert die Nationalelf, und sie profitiert von Spieler-Generationen, die mit einem gestärkten Selbstbewusstsein heranwuchsen: zuerst von den Frei, Vogel und Yakin - aktuell von Leistungsträgern wie Torwart Yann Sommer, Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri. Es sind Spieler mit unterschiedlichen Veranlagungen und teilweise eigenwilligem Charakter - und es sind Spieler, die nicht mehr das Gefühl haben, so klein zu sein wie das Land, das sie vertreten.

Eine Qualifikation für die großen Turniere wird inzwischen als Pflicht angesehen, in dieser Hinsicht wurden die Schweizer Fans zuletzt verwöhnt. Und die Spieler selbst denken schon an den nächsten Schritt, reden darüber, sich endlich einmal für ein EM- oder WM-Viertelfinale zu qualifizieren. Daran werden sie nun gemessen, sie beklagen sich nicht darüber, aber sie müssen mit Kritik leben, wenn sie so scheitern und chancenlos sind wie jetzt beim 0:2 in Lissabon. Wenn sie nicht Wort halten, wenn sie nicht mutig sind. Wenn sie zu spüren bekommen, wie deutlich eben doch der Unterschied ist zwischen Cristiano Ronaldo und Shaqiri. Weil der eine eine ganze Mannschaft eine Nummer größer macht und der andere am Abend der Entscheidung nur seinen Fehlpässen hinterherschaut.

Die Frage ist nun: Sind die Schweizer so gut, wie es ihre neun Siege in den ersten neun WM-Qualifikationsspielen suggerierten und wie sie es selbst denken? Oder nicht? Bis zum Portugal-Spiel erfüllten sie die Pflicht mit Überzeugung und Stil. Das 5:2 am vergangenen Samstag gegen Ungarn war der jüngste Beleg dafür, wie souverän sich die Schweizer inzwischen gegen Teams dieser Kategorie durchsetzen können. Aber Ungarn ist nicht Portugal.

Immer wieder flattern die Nerven

Verpasste Chancen, das kennen die Schweizer Fans mittlerweile: Bei der WM 2006 überzeugten die Eidgenossen in den Gruppenspielen, verloren aber in einem kargen Achtelfinale gegen die Ukraine im Elfmeterschießen. Bei der EM 2008 im eigenen Land, nochmals unter Trainer Köbi Kuhn, verzagten sie nervlich schon im Startspiel gegen Tschechien. 2010, mit Coach Ottmar Hitzfeld bei der WM in Südafrika, vergaben sie gegen Chile und Honduras zwei Matchbälle und verpassten das Achtelfinale, das nach dem 1:0-Startsieg gegen den späteren Weltmeister Spanien greifbar nahe war. 2014, nochmals unter Hitzfeld, forderten sie Argentinien in der K.o.-Runde bis zum Letzten - und schrieben das Stück zum Träumen doch nicht weiter. Die EM 2016 in Frankreich, Petkovic war inzwischen Coach, endete mit der bitteren Achtelfinal-Niederlage gegen schlagbare Polen. Und jetzt also Lissabon.

Wer einmal scheitert, kann Pech haben, vielleicht ein zweites, drittes Mal. Doch auf Dauer geht es um Qualität, vor allem um mentale Stärke in Ausnahmesituationen. Und in dieser Beziehung sind die Schweizer Kicker trotz aller Erfolge offenbar immer noch Lehrlinge.

Gegen Nordirland, Irland, Schweden oder Griechenland

Jetzt sind Trainer und Team in den bevorstehenden Playoffs der Gruppenzweiten gefordert (Auslosung am nächsten Montag in Zürich) - vor allem die Achsenspieler der Mannschaft; Yann Sommer, Stephan Lichtsteiner, Granit Xhaka, Xherdan Shaqiri und nicht zuletzt Valon Behrami, der gegen die Portugiesen verletzt fehlte. Bei Trainer Petkovic erinnert man sich jetzt an seine Zeit bei den Young Boys Bern (2008 bis 2011), als sein Team in einem Pokalfinale gegen Sion eine 2:0-Führung verspielte und später in der Meisterschaft sogar einen Vorsprung von sieben Punkten auf den FC Basel. Petkovic muss deshalb jetzt bei der Nationalelf beweisen, dass er auch unter Druck richtig handelt. "In solchen Momenten", hat sein Vorgänger Hitzfeld einmal gesagt, "trennt sich die Spreu vom Weizen, da muss man die Krise überstehen. Nicht jeder kann das."

Hitzfeld traf im entscheidenden Moment meist den richtigen Ton, das muss jetzt auch Petkovic können. Die Playoffs (9. bis 14. November) bieten ihm die Chance, durch die Hintertüre nach Russland zu kommen. "Ich bin überzeugt, dass wir dann viel besser sein werden", sagt er.

Einen Monat hat er Zeit, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Geht es weiter mit Blerim Dzemaili? Oder ist der junge, lange verletzte Schalker Breel Embolo bis dann so fit, um einen Platz in der Offensiv zu übernehmen? Und was ist mit dem Leverkusener Admir Mehmedi, der in Lissabon kraftlos war. Erfüllt Valon Behrami in den beiden November-Endspielen seine Rolle als "Krieger"? Und macht Petkovic alle Spieler bis dahin wieder mutiger?

Nordirland, Irland, Schweden oder Griechenland stehen, je nach Los, der Schweiz im Weg. Die Iren sind feurige Kämpfer, die Schweden Routiniers. Die Griechen von Michael Skibbe, dem früheren Grasshoppers-Zürich-Coach, wären wohl das günstigste Los. Die WM 2018 zu verpassen, wäre für die Schweiz aber eine heftige Niederlage.

Zuerst erschienen im Tagesanzeiger vom 11. Oktober 2017

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