Fussball-WM 2006:Die neueste Version des DFB

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Redete viel, erklärte wenig: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • DFB-Präsident Wolfgang Niersbach versucht zu erläutern, was es mit der dubiosen Millionen-Zahlung vor der WM 2006 auf sich hat.
  • Er liefert jedoch kaum befriedigende Antworten.
  • Seine Version wirft vielmehr neue Fragen auf.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Wolfgang Niersbach muss nur gerade nach vorne blicken, dann hat er wieder das Ereignis vor sich, das in der allgemeinen Wahrnehmung mal ein Sommermärchen war, das aber derzeit für die größte Affäre in der Geschichte des nationalen Fußballs steht.

Er sitzt im Sepp-Herberger-Raum in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), auf der gegenüberliegenden Seite haben die Designer irgendwann zwei große Fotos aufgehängt: Eine Feier in einem gefüllten Stadion und eine jubelnde deutsche Nationalelf sind darauf zu sehen, aufgenommen während der Fußball-WM 2006.

Niersbach, 64, ist hier, weil er etwas erklären möchte. Seit einer Titelgeschichte des Spiegel vor einer Woche fragt sich die Nation, was es mit einer ominösen Zahlung von 6,7 Millionen Euro durch den DFB an den Fußball-Weltverband (Fifa) auf sich hat, ob es schwarze Kassen gab und ob das Geld eingesetzt worden ist, um Stimmen zu kaufen für den Zuschlag für die WM 2006.

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Und während der DFB-Chef referiert, drängt sich eine Parallele auf. Vor einer Woche hatte sich der Verband mit einer dürren Pressemitteilung erklärt. Er wusste, dass am nächsten Tag ein umfangreicher Text mit gravierenden Vorwürfen erscheinen würde. Und nun sitzt Niersbach da, und es hat den Anschein, als wäre dies der letzte Versuch, die Deutungshoheit über das Thema zu gewinnen. Wieder im Wissen darum, dass die nächsten Enthüllungen bevorstehen?

Mehr neue Fragen als Antworten

Niersbach redet sehr lange, aber sein Vortrag führt eher zu neuen Fragen und neuen Ungereimtheiten, als dass er klare Antworten gibt. Seine Darstellung geht jetzt so: Mit der im Juli 2000 erfolgten Vergabe der WM 2006 habe das alles nichts zu tun.

Nach dem Zuschlag habe es zwischen dem DFB und der Fifa Diskussionen über einen Organisationszuschuss gegeben. Im Januar 2002 sei es zu einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Franz Beckenbauer, damals Chef des Organisationskomitees (OK), und Fifa-Präsident Sepp Blatter gekommen. Dieser sei mit einem Zuschuss von 250 Millionen Franken (damals 170 Millionen Euro) grundsätzlich einverstanden gewesen, habe aber darauf verwiesen, dass die Fifa-Finanzkommission zustimmen müsse.

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Deren Antwort: Geht in Ordnung, aber nur wenn es zuvor als Sicherheit eine Überweisung über zehn Millionen Franken (6,7 Millionen Euro) an die Fifa gibt. Beckenbauer habe das Geld vorstrecken wollen, aber sein Manager Robert Schwan sei dagegen gewesen. Darum sei der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus ins Spiel gekommen und habe das Geld an die Fifa-Finanzkommission überwiesen.

Knapp drei Jahre später stand die Rückzahlung an. Es war geplant, vor der WM eine Eröffnungsgala stattfinden zu lassen; in diesem Kontext sollten 6,7 Millionen Euro als Beteiligung an die Fifa fließen. Ein paar Monate später war klar, dass die Gala ausfällt. Die Summe habe niemand zurückgefordert, weil es schon erhebliche Organisationskosten gegeben habe. Irgendjemand habe gesagt, dies fürs Erste so zu belassen, weil ohnehin noch die Schlussrechnung mit dem Weltverband anstünde. Und ob das Geld von der Fifa weiter an Louis-Dreyfus floss, wisse er nicht, sagt Niersbach.

Das ist die neueste Version des DFB. Falls sie stimmt, hätten einige Beteiligte ein massives Problem. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sie stimmt?

Niersbachs Verteidigung fußt letztlich auf einem einzigen Gespräch: Am Dienstag saß der DFB-Chef in Österreich mit Beckenbauer zusammen. Und drei Schlüsselfiguren sind verstorben: Beckenbauers früherer Manager Schwan, der angebliche Darlehensgeber Louis-Dreyfus und der Argentinier Julio Grondona, langjähriger Chef des Fifa-Finanzkomitees. Belege, etwa für die Überweisung von Louis-Dreyfus an den Weltverband, kann auch niemand vorlegen. Auch aus hohen DFB-Kreisen ist zu hören, dass viele ein mulmiges Gefühl mit dieser Erklärung hätten.

Nur wenige Stunden nach Niersbachs Auftritt gibt es die ersten Widersprüche. Blatter lässt mitteilen, er sei mit dem DFB/WM-Thema "nicht vertraut", und suggeriert, es habe das Vier-Augen-Gespräch mit Beckenbauer so gar nicht gegeben. Die Fifa widerspricht Niersbachs Version an mehreren entscheidenden Stellen: Zum einen sagt sie, dass ihre finanzielle Unterstützung für ein OK üblicherweise nicht an eine finanzielle Vorleistung gekoppelt sei. Zum anderen sei die Finanzkommission nicht berechtigt, eine solche Zahlung zu empfangen. Und zum dritten erklärt sie auch noch, 2002 sei überhaupt keine Zahlung von Dreyfus registriert worden. Auch ein damaliges Mitglied des Finanzkomitees teilt im Vertrauen mit, es höre von so einem Vorgang das erste Mal.

Diese Aussagen sind sehr ernst zu nehmen. In der Fifa haben sich die Machtverhältnisse verschoben. Blatter hat nichts mehr zu sagen und ist abgetaucht; er meidet sogar vertraute Wege und Plätze in Zürich, wo er früher immer anzutreffen war. Stattdessen haben vor allem die Anwälte der US-Kanzlei Quinn Emanuel das Kommando - und diese ziehen einen deutlichen Trennstrich zur Version des DFB.

Manchmal nickt er den Journalisten zu

Es gibt so viele Fragen in Niersbachs Version, und als er diese Fragen bei der Pressekonferenz hört, zuckt er oft mit den Schultern. Manchmal nickt er den Journalisten zu, als wolle er sagen: Genau diese Fragen, die stelle ich mir auch. Er sagt: Wer genau die Gespräche geführt habe, das wisse er nicht. Oder: "Ich hatte davon keine Kenntnis." Oder einen umständlichen Satz wie: "Ich kann auch nicht definitiv ausschließen, dass da eine handschriftliche Notiz von mir auf irgendeinem Vorgang war."

Einen einzigen Fehler räumt Niersbach ein. Er hätte sein Präsidium schon früher über die Umstände dieser Zahlung über 6,7 Millionen Euro informieren müssen. Dies war erst vergangenen Freitag geschehen. Niersbach sagt, dass er über die Hintergründe der Transaktion in diesem Juni etwas erfahren habe, woraufhin er eine interne Prüfung veranlasst habe - von der allerdings im DFB kaum jemand etwas wusste. Dann aber könnte Niersbach wenigstens in diesem Punkt etwas Klarheit verschaffen: Von wem und wie genau erhielt er die Information? Die Antwort: Dies sei unter sehr merkwürdigen Umständen geschehen, die er jetzt nicht darlegen wolle.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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